Bücher

Blaise Hofmann: Die Kuh im Dorf lassen

Von hier und dort

Schön! Endlich ein Buch des Hirten, Weinbauern und Lehrers Blaise Hofmann auf Deutsch. In der Romandie wurde er durch sein Buch «Estive» bekannt, eine scharfsinnige Auseinandersetzung mit dem Beruf des Schafhirten. Im aktuellen Buch ranken seine Gedanken um die Unvereinbarkeit von BäuerInnen und StädterInnen. In Notizen, Gesprächen und geschichtlichen Rückblicken versucht Hofmann zu verstehen, wieso die Verständigung von hier und dort so schwierig ist. Dabei ist er kaum anklagend, dafür oft ironisch, manchmal etwas ratlos – für uns Leser­Innen ist das unterhaltend, erhellend und wir lernen, dass Klischees nicht einfach überwunden werden können. Zu einem «guten» Ende kommt es im Buch natürlich nicht, dafür wären wir aus der Stadt und vom Land verantwortlich. (gh)

Blaise Hofmann
Die Kuh im Dorf lassen
oder die Herausforderungen einer nach­haltigen Landwirtschaft in der Schweiz

Taschenbuch, 188 Seiten
Atlantis Literatur, Zürich 2024
978-3-7152-5037-3, CHF 24.90

www.atlantisliteratur.ch

Urs Mannhart: Luchs

Granitschädel und Luchstatzen

In den Berner Oberländer Bergtälern werden erbitterte Fehden ausgetragen, die quer durch ganze Dörfer, Sippschaften, Familien gehen. Jäger und Schafhalter gegen Naturschützer und Stadtromantiker stehen als Prototypen für die verfeindeten Lager. Ein Wilderer schickt die vier abgehackten, blutigen Pfoten eines Luchses ans zuständige Bundesamt. Die Boulevardmedien heizen die Stimmung an. Julius Leen, dreadlockstragender Zivi im Luchsprojekt, gerät zwischen sämtliche Fronten. Nicht nur die Stumpen der Granitschädel rauchen. Eine unheilvolle Bierwette führt zu einem Wettjagen.
Haudegen, Linke und Nette, gewilderte Luchse und Wissenschaftler begegnen sich in der Beiz und am Berg, werden von konträren Ideologien und Lebensformen gelenkt und bilden damit einen spannenden Stoff zu dieser vielseitigen, erhellenden und anheimelnden Geschichte über die wiederangesiedelten Luchse in der Schweiz. (gh)

Urs Mannhart
Luchs

Hardcover mit Lesebändchen
komplett revidierte Ausgabe 2023
Bilgerverlag, Zürich
978-3-03762-106-6, CHF 35.90

www.bilgerverlag.ch

Urs Augstburger: Das Tal der Schmetterlinge

Rasant und explosiv

Es gibt Bücher, die reissen einen weg aus den Gedanken an geblähten Käse, weg vom Groll im Team, weg von den Beigen ungespaltener Holzklafter, weg von Moderhinke und Lippengrind, hin an einen Ort, den man bis zur letzten Seite nicht verlassen will. Augstburgers Bücher sind so, in seinen Bergromanen verwebt er unversöhnliche Familiendramen, politische Intrigen, aktuelle gesellschaftliche Konflikte und tragische Liebesgeschichten zu Spinnennetzen, in denen man strampelnd hängen bleibt.
Nicht anders im «Tal der Schmetterlinge»: Die Explosion eines Munitionsdepots der Armee zerstört 1950 das Bergdorf Althäusern. Das Dorf wurde wieder aufgebaut, doch auch siebzig Jahre später lauern noch Geheimnisse und Granaten in den Grüften. Dem allem kommt die Wissenschaftlerin Meret Sager – unterwegs im Auftrag eines unbekannten Investors, bei Althäusern ein energieautarkes Dorf zu planen – allmählich auf die Schliche. Nebenbei wird eine leidenschaftliche Jugendliebe ausgerollt, es verenden Hunderte von Forellen, Corona blinkt zuweilen auf und eine Alp stürzt ab. Rasantes Kopfkino. (gh)

Urs Augstburger
Das Tal der Schmetterlinge

Hardcover, 384 Seiten mit Lesebändchen
Bilgerverlag, Zürich 2023
978-3-03762-103-5, CHF 36.00

www.bilgerverlag.ch

Flurina Pothoven: Schafe am Horizont

Von Zweifel bis Erfahrung

Flurina Pothoven erzählt authentisch, persönlich und sehr ehrlich aus ihrem Leben als Schafhirtin. Man erfährt von ihren vielfältigen Erlebnissen als noch unerfahrene, junge Frau bei ihrem ers­ten Hütetag auf der Winterweide bis hin zum Alpabzug nach ihrem sechsten Alpsommer, bei dem sie als gestandene und überzeugte Schafhirtin dasteht. Die Autorin lässt uns dabei ebenso an ihren Ängsten, Zweifeln und ihrer Unwissenheit als Anfängerin und den damit verbundenen typischen Stress­situationen teilhaben wie auch an ihren Erfolgserlebnissen und Erkenntnissen als Hirtin, die mit der Zeit über sich selbst hinauswächst.
Einfühlsam erzählt sie von den ihr anvertrauten Schafen, dem täglichen Hüten, von den schlechten Unterkünften, von der mangelnden Wertschätzung gegenüber Schafhirtinnen, dem fehlenden Wasser, von guten Nachbarhirten, von ihrer Angst um die Tiere, vom Kontrollverlust, von unterstützenden, aber auch gemeinen Bauern und nebenbei auch von ihren Gedanken zu Freiheit, Unabhängigkeit und Vergänglichkeit. Ein Buch, das weder dramatisiert noch beschönigt, sondern schlicht und einfach erzählt, wie es mit den Schafen am Horizont so sein kann. Doris Theiner

Flurina Pothoven
Schafe am Horizont

Gebunden, 236 Seiten
Books on Demand 2023
978-3-7578-8201-3, CHF 46.90

buchshop.bod.ch

Plinio Martini: Nicht Anfang und nicht Ende

Heimatroman ohne Kitsch

Der Autor Plinio Martini (1923–1979) wuchs mit seinen sieben Brüdern unter anderem im Val Bavona im Tessin auf. Sein Leben lang unterrichtete er als Lehrer. Im Jahr 2023 wäre er 100 Jahre alt geworden, dies nahm der Limmat-Verlag zum Anlass, sein Erfolgsbuch «Nicht Anfang und nicht Ende» neu zu verlegen.
Der Autor erzählt die Geschichte von Gori, der in einem kleinen Dorf im Maggiatal aufwächst. Ein Leben geprägt von Armut und Hunger. Hin- und hergerissen zwischen Bleiben oder Gehen wandert er schliesslich nach Amerika aus. Das Buch erzählt von Emigration, verlassenen Dörfern, bitterer Armut und der Landwirtschaft im Tessin. Durch Gori erleben wir hautnah eine individuelle Lebensgeschichte in einem Stück Schweizer Historie. Dem Autor gelingt es, die feinen Gefühle und Zwischentöne der Protagonisten aufzunehmen und die schweizerische Sozialpolitik gegen die Armen und Migranten zu thematisieren. Dadurch wird das Buch zu einem differenzierten Heimatroman, fern allen nostalgischen Kitschs. (jm)

Plinio Martini
Nicht Anfang und nicht Ende

Gebunden, 240 Seiten
Limmat Verlag, Zürich 2023
978-3-85791-495-9, CHF 32.00

www.limmatverlag.ch

Philipp Gurt: Graubündner Totentanz

Kriminell-kitschige Geschichtsstunde

So kitschig Buchtitel und Bild daherkommen (eine Frau in strahlend weissem Kleid – die Sennerin? – steht bei Sonnenuntergang am Berg), so wird es textlich auch auf den ersten fünfzig Seiten. Irgendwie weiss das Buch nicht recht, was es sein soll: Dokumentarisch und lästig sinnlich wird beschrieben, wie es auf einer Alp am Calanda Mitte 1900 zugeht, es wird jemand im Käskessi ermordet und auch an Erotik an den Berghängen spart Philipp Gurt nicht.
Als ich das Buch schon entnervt weglegen will, geht es so richtig los: Mit rasender Geschwindigkeit stürze ich in einen historischen Kriminalroman, bin mittendrin beim grossen Waldbrand 1943 und tauche erst auf den letzten Seiten wieder auf in meiner eigenen Realität. Als Älplerin finde ich «Graubündner Totentanz» ein wenig zäh, ich habe ja eine Ahnung davon, wie es früher als Sennerin war auf der Alp. Trotzdem würde ich den Calanda-Krimi allen empfehlen, die leichte und spannende Lektüre bevorzugen, und jenen, die mehr erfahren wollen über die spannende Geschichte von Chur. Anja Wittmann

Philipp Gurt
Graubündner Totentanz
Landjäger Caminada und die Sennerin

Broschur, 320 Seiten
Kampa Verlag 2023
978-3-311-12067-4, CHF 21.50

www.kampaverlag.ch

Schöne Landwirtschaft

Rico Kessler und seine Frau Claudia Staubli bewirtschaften seit mehr als zwanzig Jahren einen Bauernhof im Baselbieter Jura. Wobei er immer wieder betont, dass sie die ausgebildete Landwirtin und Betriebsleiterin ist. Kessler selbst arbeitet Teilzeit für Pro Natura. Das Buch zeigt uns eine Landwirtschaft, die keine zerstörten Agrarwüsten schafft, sondern ökologische Vorzeigeprojekte hervorbringt, wie z. B. neue Hecken für den Neuntöter.
Persönliche Beobachtungen und hofeigene Naturschutzinitiativen werden in einen grösseren Kontext von Agrarpolitik, historischen Entwicklungen und ökologischen Sachverhalten gestellt. Und doch liest sich das Buch wie ein modernes Märchen: worin sich keine persönlichen Dramen abspielen, niemand scheitert, auch wenn die knallharte Agrarpolitik Bauernfamilien in finanzielle Abhängigkeiten drängt und die kapitalistische Marktlogik die Welt regiert. Zum Glück, denn Rico Kessler und Claudia Staubli besitzen den notwendigen Idealismus weiterzumachen. (jm)

Rico Kessler
Stolze Kühe, krumme Rüebli
Unser Leben als Kleinbauern

Gebunden, 160 Seiten, 28 farbige Abbildungen
Hier und Jetzt 2022
ISBN 978-3-03919-557-2
CHF 41.90

www.hierundjetzt.ch

Die Kuh kraulen

Haben Kühe eine Persönlichkeit oder sind sie gar eine? Urs Mannhart jagt dieser Frage nach und macht dabei den Spagat zwischen persönlichen Erlebnissen und aktuellen Forschungen.
Beim Lesen wird klar: Die Frage ist zumindest in der Forschung nicht so leicht zu beantworten, schon gar nicht mit einfachen Experimenten oder seitenlangen Fragebogen. Wenn man wissen will, wie oder wer ein Tier ist, braucht es Zeit und die Bereitschaft, dies überhaupt wissen zu wollen. Letzteres scheint nicht das Ziel jedes Bauern und Bundesamts, denn Kühe ohne Persönlichkeit sind leichter zu enthornen, zu überzüchten und zu verwursten. (lp)

Urs Mannhart
Lentille
Aus dem Leben einer Kuh

Broschur
Matthes & Seitz, Berlin 2022
ISBN 978-3-7518-0809-5
CHF 25.90

www.matthes-seitz-berlin.de

Karges Leben

Es ist Sommer 1954, auf der Alp Preda-Sovrana im Val Madris GR. Mit mehreren Haselstecken bewaffnet zieht der damals zwölfjährige Autor als Hüterbub auf die Alp, wo er sich am ersten Tag im Schneetreiben verliert. Im Rückblick erzählt er in einfacher Sprache von seinen Erlebnissen, es fehlt ihm an Erfahrung, an Regenkleidung und ein richtiges Bett hat er auch nicht. Man erfährt vom kargen Leben der Älpler, vom unwirtlichen Wetter, vom fluchenden Kuhhirten Giovanni und schauerlich kochenden Senn Cabalzar. Das Heimweh drückt schwer und am Ende schwört sich Alfred: Auf diese Alp gehe ich nie mehr! Drei Jahre später bricht er den Schwur und ist erneut Hirt auf der Alp Preda-Sovrana. (bs)

Alfred Götz
Sommer auf der Alp
Sommer 1954

Gebunden, 60 Seiten, diverse historische Bilder
Books on Demand 2021
ISBN 978-3-7543-7345-3
CHF 25.90

www.bod.ch

Nichts für Älpler

Jedes Jahr gibt es auf dem Buchmarkt mindestens ein Déjà-vu, dieses Jahr sieht es so aus: eine sympathische Frau mit Huhn auf dem Arm auf dem Titelbild und der Titel lautet «Auf der Alm. Vom Glück des einfachen Lebens». Es ist ein Buch, dessen Inhalt jede aus dem Stegreif erzählen kann, die mehrfach einen Sommer auf der Alp verbracht hat. In jeweils individuellen Varianten, die gleichen Erfahrungen: Wie das ist, Kühe in den Stall zu bugsieren, die da nicht reinwollen. Wie entspannend die Glocken, wie faszinierend die Geburt eines Kalbs, wie anstrengend die Arbeit, wie beglückend der Kaffee auf dem Bänkli und der Mittagsschlaf im Heu.

Also sprich: Es ist wirklich kein Buch für Älplerinnen. Aber es ist trotzdem ein Buch, das seine Berechtigung hat. Über was sonst soll man schreiben und lesen in einer Welt, die ausserhalb der Landwirtschaft grösstenteils völlig am Rad dreht. (Ach, ich vergass, in der Landwirtschaft ja ebenfalls.)

Die Fotos sind hart an der Kitschgrenze (manche in der Redaktion sagen auch: weit drüber), die Schilderung wenig überraschend und der Verlag tut bei der Vermarktung sein Übriges, um auch ja kein Klischee auszulassen.

Schön wäre gewesen: etwas mehr Kontroverse, ein bisschen mehr Kanten, ein bisschen weniger Komfortzone. Aber meine Güte, wer noch nie einen Sonnenuntergang hinterm Hüttli fotografiert hat, wer kleine Kinder mit Kälbern kein bitz süss findet, der schreibe eben selber ein Buch. So ein richtig nüchternes, trockenes, ironisches. Ob’s besser wird, ist eine noch offene Frage. (sd)

Julia Barbarino
Auf der Alm

Vom Glück des einfachen Lebens

Gebunden, 272 Seiten
Ludwig Verlag 2021
978-3-453-28137-0
www.penguinrandomhouse.de

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