Bücher

Blick zurück

Eine kleine Zeitreise machen wir mit den Erinnerungen von Hans Schnyder, der im Kindergartenalter anfangs der Sechziger Jahre zwei Sommer mit seinem Vater und Vetter auf der Alp Aueren ob Netstal verbrachte. Manchmal etwas weit ausschweifend und dann wieder berührend detailreich nimmt uns Schnyder mit an den kargen Esstisch, unter die feuchten Hudlen der wenigen Kleider, zwischen die Arbeitsklauen seines Vaters, mit zum langwierigen Hüten auf die Weide und auch zu Momenten von Zufriedenheit. Das Buch ist keine Dokumentation, auch wenn Glarner Mundartausdrücke und Flurnamen – soweit möglich – erklärt werden. Es ist ein spannendes Zeitzeugnis (durch die Brille der Erinnerung gesehen) und man staunt, wie einfach die Älpler vor nur einem halben Leben lang gelebt haben. gh

Hans Schnyder:
Abendweide

Das einfache Leben auf einer Glarner Alp
 
231 Seiten, gebunden
Verlag Baeschlin, Glarus 2013
ISBN 978-3-85546-256-8
CHF 34.00
www.baeschlin.ch

Nicht unamusant, aber unnötig

Erlebnisberichte von Einsteiger ins Alpleben scheinen en vogue. Man kann froh sein über jedes Buch, dass geschrieben, aber nicht veröffentlicht wird. «Schäferstunden» wurde leider. Selbsterzähler ist ein Fotograf, dessen Firma pleite ging, was ihn dazu bewog, das Abenteuer seines Lebens zu wagen: die Alp. Mit dem Rüstzeug an Erfahrung von vier Schafen im heimischen Garten zieht er los auf eine Schweizer Alp mit tausend Schafen. Der geneigte Leser erfährt so einiges an «wissenswerten» Tipps: Die Schafe futtern Enziane, es wird von oben nach unten geweidet, Feuerzeuge funktionieren auf der Alp nicht, Gämsen stehen in der Schweiz unter Artenschutz und dürften nicht gejagt werden. Ärgerlich neben den Falschaussagen sind die völlig unecht verdialekten Reden der schweizerdeutschen Bauern oder dass Hunde, Tochter, Alpmeister alle einen Namen haben, nur die Freundin, die er schweren Herzens für die Alpzeit verlassen musste, heisst bis weit ins Buch nur Freundin. Nicht unamusant das Ganze, aber unnötig auf jeden Fall. gh

Joe Rißmann und Claudia Nehm:
Schäferstunden

Mein Leben als Hirte auf der Alp
 
206 Seiten, gebunden
Lübbe Verlag, Köln 2013
ISBN 978-3-7857-2474-3
CHF 24.50

Knowhow aus Austria

Tobias Micke, Journalist und Stadtmensch, verspürte den Drang, auf einer «Alm» den Draht zur Natur und sich selbst zu finden und arbeitete deshalb drei Sommer lang als Hirte auf einer Kuhalp in Kärnten. Er schreibt frisch von der Leber weg, wie er seine Hirtstelle gefunden hat, wie man eine Kuh von Hand richtig melkt, was ihm über den Einsamkeitskoller hinweg geholfen hat, wie ein österreichischer Älpler kocht und welche Experimente er beim Käsen weiterempfehlen kann. Es mag uns seltsam anmuten, dass man in Österreich morgens mit dem Fahrrad zu seiner Herde radelt, aber Micke scheint sich in seinen drei Jahren Alp einiges Knowhow zugelegt zu haben. Seine «Hirtentipps» jeweils am Ende jeden Kapitels sind dementsprechend ernst zu nehmen, auch wenn die Selbstironie durch die Seiten pflüttert wie frische Fladen ab der Kuh. Das Buch wendet sich in erster Linie an Neugierige und Alpneulinge. Doch auch erfahrenen Hirten kann dieser Ratgeber durchaus positiv auf die Lachmuskulatur wirken. ln

Tobias Micke:
Mistviecher

Wie ich ausstieg, um Kühe zu hüten
 
253 Seiten, Taschenbuch
Droemer Knaur, München 2012
CHF 14.90
ISBN 978-3-426-78551-5

z’Alm gehen

Lassen wir mal den Titel beiseite und reden wir schon gar nicht über den Untertitel, ausser mit einem Satz: Wer das wahre Leben kennt und sogar in Worte fassen kann, dem misstraue ich, auch wenn es eine Frau ist, und vor allem, wenn sie noch so übertrieben glückselig vom Cover lächelt. Damit aber hat sich meine Kritik. Ich habs gern gelesen, wie sich Michalke auf ihrer ersten Alm sperrig der Hütte, den Bauern, den Tieren nähert und wie sie sich von ihrer anfänglichen Ungeschicklichkeit zur «wahrhaften» Sennerin mausert. Sie schreibt präzise, geradlinig und mit viel Selbstironie, das ist erheiternd, unterhaltend und manchmal sogar lehrreich fürs eigene Leben. Wer das z’Alm gehen besser bleiben lässt – weil er dort nicht hinpasst –, aber trotzdem Bergluft schnuppern will, ist mit der Lektüre gut bedient. gh

Karin Michalke:
Auch unter Kühen gibt es Zicken

Das wahre Leben auf der Alm
 
272 Seiten, gebunden
mit einigen Bildern und Rezepten
Piper Verlag, München 2012
ISBN 978-3-89029-413-1
CHF 28.90
www.piper.de

Schafhirt auf der Greina

Eine Schäferidylle ist Leo Tuors Buch nur für kurze Momente. Sein Giacumbert Nau erfreut sich zwar an den Prozessionen der Schafe, verhöhnt aber jene der Menschen. Tours Buch ist sinnliche Brachialpoesie in rätoromanisch und deutsch über das Leben eines Schafhirten auf der Greina. Giacumbert lässt seine Galle erzählen von den falschen Herren, von den falschen Pfaffen, von den falschen Bauern, von der heimtückisch wahrhaftigen Greina, von den Schafen, die Perlenschnüren gleich entlang den Hängen ziehn, von zu lauten Munggen. Durch die Hütte ziehen Nebel und stieben Schneeflocken, da bringt Albertina Feuer und Gerüche aus einer anderen Welt, und die Schafe ziehen weiter ihre Schnüre... Ein Klassiker der rätoromanischen Bergliteratur, erstmals erschienen 1998 im Octopus Verlag. gh

Leo Tuor:
Giacumbert Nau

Bemerkungen zu seinem Leben
rätoromanisch und deutsch
 
Limmat Verlag, Zürich 2012
gebunden
ISBN 978-3-85791-679-3
CHF 38.50
www.limmatverlag.ch

Am einen Ort

An einem eng umgrenzten Ort kann man Ordnung in seinem Leben schaffen. Nicola Reiter verbringt acht Wochen auf einer Schweizer Berghütte, zusammen mit dem Hüttenwart Pius. Reiter schreibt Tagebuch, fotografiert täglich vom selben Standort die Aussicht (meistens grau) und erstellt eine akribische Liste aller Hütteninnereien. Ab Tag neun notiert sie neben Wetter und Anzahl Gästen auch den Countdown bis zur Heimreise. Ihre Auseinandersetzung mit sich selber, mit Pius und den Gästen, liest sich unerwartet spannend. Gerade weil nicht viel passiert, bekommen alltägliche Dinge wie ein Telefonat mit dem sich entfernenden Freund in Dubai, der Wetterbericht oder das Drücken des falschen Knopfes beim Fernseher ihre Bedeutung. Ein schmuckes Stück Buch, ein Geheimtipp. gh

Nicola Reiter:
Firn

Aufzeichnungen am Gletscher
 
256 Seiten, mit SW-Fotos
gebunden, Lesebändchen
Spector Books, Leipzig 2012
ISBN 978-3-940064-38-7
CHF 37.90
www.spectorbooks.com

Experiment Alp

Die Alp gehört heute als Event zur eigenen Biografie: «Das musst du mal gemacht haben, so einen Alpsommer...» Die Kulturwirtschafterin Daniela Nuber zieht gemäss ihrem inneren Antrieb aus der Stadt auf eine Österreicher Alm, erlebt, was wir alle auch erlebten beim ersten Mal: Es kann hart sein und es kann schön sein. In einem mit Tipps und Erfahrungen erweiterten Tagebuch beschreibt sie ihre Gefühle und Erlebnisse mit den Tieren, den Nachbarälplerinnen, der Hütte, der Küche, der Aussicht und der Reinigung in mancherlei Hinsicht. Das ist angenehm zu lesen und wird mit vielen Bildern unterhaltsam dargeboten. Eine hilfreiche Lektüre für Alpneulinge, die es noch gar nicht sind. gh

Daniela Nuber:
Mein Almsommer

Von der Stadt in Berge
 
Ulmer Verlag, Stuttgart 2012
ISBN 978-3-8001-7795-0
CHF 35.40 | EUR19.90
www.ulmer.de
http://almsommer.wordpress.com/

100% authentisch

Pia’s Zauber spricht aus jeder ihrer Zeilen. Eine Wanderin zwischen den Welten. Nicht nur den realen, sondern auch denen jenseits des Schleiers, den geistigen. Sie gewährt uns Einblicke in die abenteuerliche Welt einer «echten» Älplerin, in ihre Gefühle, Gedanken und sogar ein wenig in ihre Seele.
IHR LEBEN, kompromisslos und echt, geerdet und mit sich im reinen.
Wer könnte das schon von sich behaupten? (Johanna Glas)

Pia Solèr:
Die Weite fühlen

 
weissbooks Verlag, Frankfurt am Main, 2011
ISBN 3-86337-009-0
CHF 21.90 EUR 15.–
www.weissbooks.com

Menschen am Berg

Acht Geschichten und Reportagen über Menschen, die am Berg leben oder eine Beziehung zu den Bergen haben, darunter ein Portrait der Älplerfamilie Wehrli aus dem Jura: «Die Tiere und der Berg brauchen uns. Es ist ja sonst keiner da.» Exakte Beobachtungen von Menschen am Berg, die von ihm gefangen, begeistert oder einfach mit ihm unumstösslich verbunden sind. Ein hübsches Stück Buch, ein manchmal wehtuend melancholisches Stück Literatur, eine schlussendlich persönliche Annäherung der Autorin an den Berg, den sie in der Kindheit verabscheut hat.

Eigentlich müsste das schief gehen, wenn eine Städterin in die Berge zieht um Menschenleben schriftlich zu fixieren. Da müsste es kitschig, heimelig und donnergrollend werden. Aber Melanie Mühl recherchiert die Fakten und schmückt ihre Geschichten mit teilnehmenden Respekt vor den Menschen, die ihr schlussendlich doch fremd bleiben. Unsere Buchempfehlung. (gh)

Melanie Mühl:
Menschen am Berg


Nagel & Kimche, Zürich 2010
ISBN 978-3-312-00453-9
CHF 26.90

Im Fadenkreuz

Die Jäger waren mir als Älpler nie besonders lieb, machen sich in der Hütte breit, tun einem mit Bier schön, um dann zu sagen, wo man mit dem Vieh weiden soll, feldstechern einem am Tage bis ans stille Örtchen nach. «Settembrini» ist ein Buch über die Jäger, über die Jagd, über das Töten und Entschwinden. Etwas genauer über die Zwilingsonkel von Leo Tuor, die unstandesgemäss ihren Homer gelesen haben und ihrem Neffen das Jagen und Schiessen beibringen als sei es die Essenz des Lebens. Ein Buch voll treffsicherer Weisheiten mit Schüssen schelmischen Augenzwinkerns. Rauh, bissig, närrische, träff.

Kostprobe: «Jäger und Hirt seien in ihren tiefsten Innern Heiden etwa gleichen Kalibers (...). Für beide sei das Kreuz eine rein praktische Einrichtung. Dem Jäger ein Faden linksrechts und einer von oben nach unten, im Schnittpunkt ein Tier. Dem Hirten eine senkrechte Holzlatte zum Ableiten des Blitzes und eine waagrechte zum Aufhängen der Hosen.» Nicht das mir jetzt die Jäger symphatischer wären, aber nun habe ich ein Buch, dass ich ihnen schenken kann, in der Hoffnung, sie werden mitlachen. gh

Leo Tuor:
Settembrini

Leben und Meinungen
 
Limmatverlag, Zürich 2011
ISBN 978-3-85791-624-3
CHF 38.–
www.limmatverlag.ch

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