Bücher

Das Buch der Bücher

2403. Dies ist die Anzahl Publikationen, die der «Alpenforscher» Werner Bätzing in einer Bibliografie versammelt hat. Stand Oktober 2021. Sein Buchverzeichnis umfasst den gesamten Alpenbogen, die Bücher sind primär nach Land geordnet, in zweiter Linie nach Region. Der jeweilige Eintrag wird mit einem Etikett «Fachgebiet» ergänzt, zusätzlich hilft ein Personen- und Sachregister Publikationen zu finden. Doch erst mal blättert man wahllos drauflos. Oder sucht irgendein unbekanntes Werk, um zu prüfen, ob Bätzing es kennt und man ihm vertrauen kann, die definitive Alpbücher-Bibliothek geschaffen zu haben. Hat er. Auch wenn eine Bibliografie natürlich nie endgültig ist.

Doch wer braucht so ein Ding? Hat das einen Nutzen? Wissenschaftlich gesehen auf jeden Fall, als Bettlektüre wohl weniger. Bätzings Anliegen ist: Er möchte das kulturelle Wissen sichtbar und erfassbar machen. Sein Ziel: Der Alpenraum wird in der Bevölkerung und in der Politik verstärkt wahrgenommen. Er plädiert für eine länderübergreifende Alpenorganisation, um das zukünftige Leben in den Alpen europaweit zu diskutieren.

Das Buch ist neben der Papierausgabe auch als PDF erhältlich, was die Recherche vereinfacht. gh

Werner Bätzing
Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum

Eine interdisziplinäre und internationale Bibliographie

Sprachen: DE, FR, IT, SL, EN
gebunden, 348 Seiten
context verlag Augsburg 2021
ISBN 978-3-946917-29-8
CHF 68.00
www.context-mv.de

Endlinge

Der Name Endling klingt so traurig wie das Phänomen, das er beschreibt: die jeweils letzten Individuen einer Tierart, die in Gefangenschaft sterben. Zu den bekanntesten Endlingen gehört etwa die Wandertaube Martha, die 1914 im Zoo von Cincinnati starb, oder Lonesome George, eine Galapagos-Riesenschildkröte, die 2012 über 100-jährig in einem Gehege verendete.

Der deutsche Biologe Bernhard Kegel stellt in seiner Publikation allerdings nicht ausschliesslich Tiere vor, die in jüngerer Zeit ausgestorben sind, sondern blickt weit ins Anthropozän zurück, als der moderne Mensch begann, sich auf der Erde auszubreiten. Auch wenn wie etwa beim Riesenwombat, beim Höhlenbären oder beim Riesenfaultier (Tiere, die alle bereits vor mehreren Tausend Jahren ausgestorben sind) die Gründe für das Verschwinden nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden können, so dürften nicht nur die Klimaveränderungen, sondern auch die Jagd eine wesentliche Rolle gespielt haben. Dies gilt für fast sämtliche der über 50 präsentierten Tiere. Kegel legt den Fokus dabei auf Säugetiere und Vögel, allerdings mit dem Hinweis, dass der allergrösste Teil der ausgestorbenen und aktuell vom Aussterben bedrohten Tierarten zu den Wirbellosen (Insekten, Krebse, Würmer, Quallen, Schnecken u. a. m.) gehört. Die Wirbellosen umfassen weit über 90 Prozent aller Tiere und nur ein Bruchteil wurde überhaupt entdeckt, d. h. sind wissenschaftlich beschrieben.

In jeweils kurzen Einschubtexten erfährt man einiges rund um das Thema Artensterben – auch zur Wiederentdeckung ausgestorben geglaubter Tiere, zu Experimenten mit alter DNA oder zu Rückzüchtungen, resp. Abbildzüchtungen wie im Falle des Auerochsen. Das Besondere der Publikation liegt nicht unbedingt in neuen Erkenntnissen zum beschleunigten Rückgang der Artenvielfalt. Die ausgesprochen sorgfältig gestalteten Tierportraits mit jeweils einer Informationsseite zum Tier, seinem Lebensraum und den Gründen für sein Verschwinden plus einer Seite mit Lithografien und Aquatinta-Abbildungen handeln das Thema nicht einfach auf wissenschaftlicher Ebene ab, sondern geben den ausgestorbenen Tieren in durchaus berührender Weise ein «Gesicht» und eine Geschichte und – wie im Fall von Martha und George – sogar einen Namen. (an)

Bernhard Kegel
Ausgestorbene Tiere

Gebunden, 160 Seiten, 50 Abbildungen
DuMont 2021
ISBN 978-3-8321-6906-0, CHF 39.90
www.dumont-buchverlag.de

Es klingt das Horn

Balthasar Streiff bespielt viele Hörner. Seit vielen Jahren tüftelt er an der Resonanz von Alphörnern, lotet die Möglichkeiten des Büchels aus, füllt Keller, Schaubühnen und Eingangshallen von Bahnhöfen mit Schall und Klang. Und manchmal hockt er in der Werkstatt, bohrt Löcher in Tierhörner, misst Hohlräume aus, schleift an Details, setzt wenn nötig ein Mundstück ein. Von zwölf seiner Hörner, die auf Tierköpfen gewachsen sind, erzählt er uns die Geschichten seiner Träger: Marta, Adonis, Shen, Blüemli, Toto, Daisy, Urseli, namenlos, Bielerseehörnli, Marina, Napoleon und Charly. Das ist jeweils berührend, spannend, erhellend und überraschend zu lesen. Per QR-Code gelangt man zu Musikdateien und kann die Hornklänge durch die Ohren pfeifen lassen. Ein kleines Büchlein, ein Bijou. (gh)

Balthasar Streiff
Hornviecher

kartoniert, 56 Seiten
mit 14 Fotos und QR-Code zur Musik
Mäd Book Spezial, Basel 2021
ISBN 978-3-906172-92-7, CHF 39.00
www.mad-book-verlag.ch
www.zalpverlag.ch

Lebenskraft nutzen und stärken

Bei chronischen oder wiederkehrenden Rinderkrankheiten, schwachen Immunsystemen oder Bestandesproblemen kann die «normale» Homöopathie mit Vergabe uns bekannter Chügeli wie Hepar Sulfur oder Arnika an ihre Grenzen kommen. Für diese Fälle gibt es Mittel, die auf die persönliche «Lebenskraft» der Tiere wirken, weniger auf das Krankheitsbild. Das erfordert ein genaues Studium des Tiers. Jedes Individuum hat seine eigene spezifische Konstitution, abhängig vom Charakter und den Lebensumständen.

Das Handbuch beschreibt 13 wichtige Konstitutionstypen beim Rind mittels Tierbildern, ausführlichem Charakterbeschrieb und praktischen Fallbeispielen. Ein Steckbrief fasst jeweils den Typ übersichtlich zusammen. Um das richtige Mittel zu finden, sind die Gegenüberstellungen und Vergleiche ähnlicher Typen sehr hilfreich. Dies alles braucht Übung beim Beobachten, viel Zeit und Geduld. Konstitutionsmittel sind tiefwirkende Arzneien und sollten vorsichtig und erst nach reiflichem Überlegen angewendet werden. Erfahrung in Homöopathie ist Voraussetzung, das Buch und die Anwendung der Mittel sind nichts für Homöopathieneulinge.

Hirten und Bäuerinnen kann das Buch jedoch (auch ohne Absicht auf homöopathische Behandlungen), Anleitungen fürs genaue Beobachten der Rinder und der jeweiligen Charaktere vermitteln. Auf Alpweiden, wo die Tiere frei und im Sozialgefüge der Herde leben, kann man den Typen besonders gut auf die Spur kommen.

Verfasst wurde das Buch von sechs Tierärzten aus verschiedenen Regionen der Schweiz, welche nebst der Schulmedizin langjährige Erfahrungen in der Homöopathie haben. Ihr grosses Wissen ist auf 222 Seiten zusammengepfercht, leider in etwas kleiner Schrift, die einen beim Lesen ermüdet. (Barbara Sulzer)

Gränicher, Gisler, Luder, Schmidt, Flury, Knüsel, Vincenz
Handbuch Konstitutionstypen beim Rind

OMIDA AG 2022
Gebunden, 222 Seiten
ISBN 978-3-0330844-1-4
CHF 88.00
www.handbuchzurstallapotheke.ch

Mutig

Vom Jubiläumsbuch eines Zuchtverbands erwartet man nicht allzu viel Vergnügtes und Aufregendes. Ein paar langweilige Köpfe ehemaliger Präsidenten, samt Grussworten, Verdankungen und Selbstbeweihräucherungen vergangener und zukünftiger Taten. Kann man getrost im Büchergestell versargen.

Nicht so bei diesem Buch. Vorne aufschlagen und «Hoppla!» rufen. Im Bild eine Herde Eringer vor der Talstation Super-Nendaz im Winterskiort Siviez. Schwarze Eringer und weissverputzte Bausünden – zwei Walliser Kulturtraditionen vereint; das ist so real wie ironisch und in einem Jubiläumsbuch äusserst mutig. Und so geht es weiter. Da liegt ein engumschlungenes Pärchen neben einer auf den Kampf wartenden Kuh. Dort wirft ein Bauer vor Glück seine Arme in die Luft, die Siegerkuh blickt dumpf in die Zuschauermenge: «Was gehts mich an.» Natürlich gibts die obligaten Infos zur Geschichte der Eringer sowie des Verbands und es kommen doch noch Präsidenten zu Wort. Aber alles ist lesbar, bietet punktuell Aufregendes und macht Vergnügen. Insgesamt umarmen Fotografen und Autorinnen ihre 600 Kilo schweren schwarzfelligen Fleischkolosse, als wärens Familienmitglieder – das ist berührend. Nicht zuletzt ist das Papier gut gewählt, der Text schön gestaltet, haben die Bilder ihren Raum. Echt gut gelungen. gh

Du lait et de la corne / Zwischen Milch und Horn
100 Jahre Schweizerischer Eringerzuchtverband

Sprache: FR, DE
broschiert, 152 Seiten
Editions Monographic, Siders 2020
ISBN 978-2-88341-315-3
CHF 35.00
Bestellungen: 079 370 20 26
www.raceherens.ch

Muh, muh, muh: Alles Rind hier

Das Buch will viel: Es berichtet über die Evolution, die Anatomie, das Sozialleben und das Verhalten des Rindes und über die Beziehung von Mensch und Tier. In vielen Diagrammen, Illustrationen, Fotos, Böxli und leicht lesbaren Texten erfährt man Wissenschaftliches zu Ernährung, Zyklus, Skelett, Krankheiten, Fortpflanzung, Milchbildung, Methanausstoss, Intelligenz, Klaue, Tastsinn, Farbschläge, Rassen, Stellung in der Religion usw. So viel Stoff vom Flotzmaul bis zur Schwanzspitze und wieder zurück, da vermag die Autorin nicht überall in die Tiefe zu gehen. Somit bleiben bei all diesen vielen Antworten auch manche Fragen offen. Trotzdem, wer neugierig ist auf rundum Rind, wird beliefert.

Ähnlich aufgebaute Bücher gibt es im Haupt Verlag über den Hund, das Schwein, das Pferd, die Ziege und die Katze. (gh)

Catrin Rutland
Das Rind

Geschichte, Biologie, Rassen

Gebunden, 224 Seiten, viele Bilder und Illustrationen
Haupt Verlag, Bern 2022
ISBN 978-3-258-08232-5, CHF 36.00
www.haupt.ch

Böse Blicke

Beim Wort «Tatzelwurm» denken wohl die meisten an das bunt bemalte Spielzeug aus einer Reihe beweglicher Holzklötzchen, dessen schlängelnde Beweglichkeit einen als Kleinkind fasziniert hat. Vom Tatzelwurm fasziniert ist offensichtlich auch Ulrich Magin, der sich laut Klappentext als freier Autor seit Langem mit modernen Sagen und unheimlichen Welten beschäftigt. Es geht bei ihm nicht um das Spielzeug, sondern um den höchst rätselhaften Alpenbewohner, der bis in die jüngste Zeit immer wieder gesichtet wird. Die Beschreibungen des Tatzelwurms – oder Stollenwurms, wie er im Berner Oberland genannt wird – sind allerdings so unterschiedlich und sich widersprechend, dass eine zoologische Bestimmung schwierig ist: Mal ist der Körper lang, dünn und geschuppt wie bei einer Schlange, mal gedrungener und nackt, mal hat das Tier nur zwei, dann wieder sechs Beine. Für die einen erinnert der Kopf an eine Katze, andere sehen einen Molch oder gar ein Kleinkind, mal trägt der Wurm ein Krönchen, mal keins. Zu spassen ist mit dem Tier jedoch nicht – im schlimmsten Fall frisst es eine Sennerin oder säuft das Euter der Kühe leer. Meist nehmen die Augenzeugen (es sind fast durchwegs Männer) vor dem stechend bösen Blick Reissaus und nur die Allermutigsten schlagen es tot; dumm allerdings, dass sich der Kadaver entweder gleich vor Ort in giftige Dämpfe auflöst oder die Überreste, selbst wenn sie in ein Museum gebracht wurden, partout nicht mehr auffindbar sind. All diese Schwierig- und Merkwürdigkeiten haben jedoch selbst gestandene Akademiker nicht davon abgehalten, über die Existenz der bisher unentdeckten, d. h. zoologisch nicht taxierten, Tierart zu spekulieren. Das Witzige an Magins leicht und angenehm zu lesendem Buch ist, dass er die Figur des Tatzelwurms nicht nur kulturhistorisch einordnet und nach natürlichen Erklärungen – etwa Verwechslungen mit anderen Tieren – sucht, sondern in gut kryptozoologischer Manier bis zum Schluss immer wieder offenlässt, ob an den Berichten vielleicht nicht doch «was dran ist». Schliesslich hat bis heute auch noch niemand abschliessend bewiesen, dass es den Yeti oder den kanadischen Bigfoot nicht gibt ... (an)

Ulrich Magin
Der Tatzelwurm

Porträt eines Alpenphantoms

Paperback, 230 Seiten, div. Abbildungen
Edition Raetia 2020
ISBN 978-88-7283-736-8, CHF 29.90
www.raetia.com

Vergangene Zeiten

Die aktuell omnipräsenten Berichte über das Alpleben in Film, Büchern und Zeitschriften haben oft – gewollt oder ungewollt – einen mehr oder weniger romantisierenden Touch. Von dieser Form Romantik ist in den drei vom Innsbrucker Historiker Georg Jäger zwischen 2019 und 2021 veröffentlichen Bänden «Vergessene Zeugen des Alpenraums» wenig zu spüren. Jäger, der selbst aus einer Tiroler Kleinbauernfamilie stammt, schildert darin ausführlich die teilweise von extremer Armut geprägten Lebenswelten der ländlichen Unterschichten. Der Fokus seiner Arbeit liegt hauptsächlich auf den Verhältnissen in den südwestlich von Innsbruck gelegenen Stubaier Alpen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre. Nicht wenige der zahlreichen Abbildungen beinhalten indes auch Motive aus der Schweizer Alp- und Berglandwirtschaft. Zwar stellt Jäger zu Beginn des ersten Bandes ausführlich die Sozialstruktur der abgelegenen ländlichen Gesellschaft dar, die durch den Gegensatz von reichen, grundbesitzenden Bauern und meist bitterarmen, sogenannten «Kleinhäuslern» gekennzeichnet war. Trotzdem handelt es sich bei den drei Bänden nicht um eine sozial- oder kulturwissenschaftliche Analyse, sondern eher um eine Sammlung von Sekundärquellen (Reiseliteratur, volkskundliche Literatur, Zeitungsberichte, biografische Erzählungen u. a. m.).

Band 1 widmet sich der Arbeit der «Männer und Buben», konkret den Maulwurf- und Schermausfängern (die teilweise gut verdienten, da aus den Maulwurffellen Pelzmäntel für die «bürgerliche Damenwelt» hergestellt wurden) und den Ziegenhirten. Band 2 berichtet über von «Frauen und Mädchen» ausgeübte Tätigkeiten als Kraxenträgerinnen, Wäscherinnen, Wildheuerinnen, Wurzengraberinnen, «Jätergitschen» u. a. Der dritte Band schliesslich handelt von den Sennerinnen – anders als in der Schweiz war die Milchverarbeitung in den Tiroler Alpen weitgehend Frauensache – sowie der Hochgebirgsjagd und der Wilderei. Etwas irritierend ist die von Jäger ausser beim Thema Wilderei konsequent durchgezogene Zuordnung der dargestellten Tätigkeiten nach Geschlechtern, obwohl viele der Tätigkeiten nicht geschlechtsabhängig waren – ging es nicht gerade ums Stricken oder Wäschewaschen. Fliessend konnten die Geschlechtergrenzen offenbar auch bezüglich der äusseren Erscheinung sein, was sich nicht nur in einzelnen Abbildungen, sondern etwa auch im Bericht eines deutschen Studenten spiegelt, der im Hochgebirge plötzlich vor starken Wildheuerinnen «mit männlichen Zügen» stand, die gleichzeitig Männerhosen und Mieder tragend unablässig an kurzen Tabakspfeifen zogen. Daneben vermag Jäger aber eindrücklich zu zeigen, wie stark das ökonomische Überleben dieser Unterschichten von der Arbeit der Frauen abhing und welch immenser, heute nicht mehr annähernd vorstellbarer Arbeitsbelastung diese ausgesetzt waren. Die drei Publikationen eignen sich nicht unbedingt zum Durchlesen, dazu ist die Präsentation der Quellen oft zu repetitiv und die Literaturangaben direkt im Text hindern den Lesefluss. Es lässt sich aber bestens ausgiebig darin schmökern und mit Bild und Text in vergangene Zeiten abtauchen. (an)

Georg Jäger
Vergessene Zeugen des Alpenraums

Bd. 1: Männer und Buben bei der Arbeit
Gebunden, 192 Seiten, ca. 90 Abb.
Kral-Verlag 2019
ISBN 978-3-99024-827-0, CHF 38.50

Bd. 2: Frauen und Mädchen bei der Arbeit
Gebunden, 336 Seiten,
Kral-Verlag 2020
ISBN 978-3-99024-888-1, CHF 30.20

Bd. 3: Auf der Alm und im Gamsgebirge
Gebunden, 456 Seiten
Kral-Verlag 2021
ISBN: 978-3-99024-958-1, CHF 31.20

www.kral-verlag.at

Ausbeutung und Anpassung

Seit 2013 findet im vorarlbergischen Montafon in unregelmässigen Abständen unter dem Titel «Montafoner Gipfeltreffen» eine Tagung von Historiker:innen unterschiedlichster Ausrichtung zu Themen rund um den Lebensraum «Berg» statt. Die Referate werden anschliessend in einem Sammelband publiziert. Das 4. Treffen im Winter 2018 stand unter dem Titel «Wirtschaften in den Bergen». Es ist ein Markenzeichen der Tagungen, dass das Thema sowohl geografisch wie zeitlich sehr breit angegangen wird: von der Antike bis in die Gegenwart, vom Hindukusch bis in die Anden. So findet sich im Sammelband neben vielen anderen ein Aufsatz zur pharaonischen Goldgewinnung in der nubischen Wüste neben einem Beitrag zur Kunstgeschichte Vorarlbergs vom 15. bis ins 18. Jahrhundert oder einem Text zur Verköstigung der Besucher:innen von Alpenvereinshütten im 19./20. Jahrhundert. Obwohl im Untertitel der Publikation auch von «Hirten» die Rede ist, kommt ihnen leider wenig Beachtung zu. Neben Themen zu Handels- und Verkehrsrouten dreht sich eine Mehrzahl der Beiträge um Bergbau und Tourismus. Verschiedene Beiträge des Sammelbandes machen deutlich, dass Bergbewohner:innen angesichts der schwierigen Umwelt- und Lebensbedingungen zu allen Zeiten und an allen Orten ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit brauchten. Dazu gehörten (halb-)nomadische Wirtschaftsformen ebenso wie Formen temporärer Arbeitsmigration, von der das Montafon lange Zeit stark geprägt war. Anpassungsbereitschaft verlangte auch der Tourismus, der im Alpenraum Ende des 19. Jahrhunderts aufkam. Die damit einhergehenden Umwälzungen wurden dabei nicht nur passiv erduldet, sondern durchaus auch innovativ genutzt. Davon zeugt u. a. das in frühen Reisebeschreibungen verbreitete, etwas zwiespältige Lob der besonderen «Geschäftstüchtigkeit» der Alpenbewohner:innen. Die extreme inhaltliche Bandbreite des Sammelbandes lässt das gewählte Thema etwas arg schwammig und beliebig wirken. Gleichzeitig verleitet sie aber dazu, den Blick über das eigene, oft recht beschränkte Interesse hinaus zu weiten und damit auch grössere Zusammenhänge zu entdecken. (an)

Michael Kasper et al.
Wirtschaften in den Bergen
Von Bergleuten, Hirten, Bauern, Künstlern, Händlern und Unternehmer

Gebunden, 527 Seiten, 90 s/w-Abb.
Böhlau Verlag 2020
ISBN 978-3-205-21134-1, € 55
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Antikitsch 1: Tourismusexzesse in den Alpen

In einer zalp zum Thema Kitsch darf Lois Hechenblaikner nicht fehlen, Fotograf in Sachen Dokumentation von enthemmtem Tourismus in Tirol. Hechenblaikner kombiniert Schwarzweissfotografien der Landwirtschaft in den 50er bis 70er Jahren mit Farbbildern über Tourismusexzesse. So laufen auf dem einen Bild Schafe dem Hirten nach, auf dem anderen jubelt das Publikum dem Schlagerstar Hansi Hinterseer zu. Oder die Kombination besteht aus Lawinenschutt und Autolawine, aus Madonnen- und Prostituiertenbildchen, aus hingestellten Milchkannen und einem Haufen leergetrunkener Bierfässer. Die Sichtung lässt einen auflachen und erschauern zugleich. Ein Buch, das nachwirkt. (gh)

Lois Hechenblaikner
Hinter den Bergen

Gebunden, 160 Seiten, 120 Abbildungen
Steidl Verlag, Göttingen 2021
ISBN 978-3-86930-737-4, CHF 42.90
www.steidl.de

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