Bücher

Alle Fragen zum Wolf

Das Buch ist in 93 Fragen aufgebaut. Eine Auswahl: Welche Probleme erzeugen Hybriden? Wie viel kostet der Wolf? Welche Auswirkungen haben Zäune auf Wildtiere? Können sich Wolf und Hund paaren? Welchen Einfluss hat der Wolf auf die Biodiversität? Wie erkennt man die Wolfslosung? Wie fängt man Wölfe? Und: Ist eine Koexistenz von Wolf und Mensch möglich?

Beantwortet werden diese Fragen von ausgesuchten «ExpertInnen», meistens wohltuend wertfrei. Manchmal wiederholend, aber oft erkenntnisreich. Das Buch räumt mit vielen Mythen rund um den Wolf und den Herdenschutz auf, das tut auch den ÄlplerInnen gut. Da verblüfft es einen beim Lesen nur, dass unser Bundesamt für Umwelt BAFU sich bei der Umsetzung von Wolfsregulierungen so schwertut. Das Buch liefert genügend wissenschaftliche Argumente für eine schnelle Entnahme nutztierinteressierter Wölfe. Buchtipp der Redaktion. (gh)

Luigi Boitani, Heinrich Aukenthaler, Walter Obwexer u. a.
Der Wolf im Visier – Konflikte und Lösungsansätze
Im Fokus: Der Wolf in den Alpen

Gebunden, 352 Seiten
Athesia Tappeiner Verlag 2022
ISBN 978-88-6839-569-8
CHF 35.90

www.athesia-tappeiner.com

Geschichtsstunde Wolf

Das Buch ist so etwas wie eine Geschichtsstunde über die Rückkehr des Wolfes in populärwissenschaftlicher Form. Es wird erzählt, wie der Wolf in die Schweiz zurückkam, sich ansiedelte und wer sich alles mit ihm beschäftigt, insbesondere Ämter und Bundesstellen. Aber auch Schafbauern und ÄlplerInnen kommen zu Wort, sowie Naturschutzverbände. Keineswegs kann man dem Buch vorwerfen, es schütte Öl ins Feuer der Diskussion. Im Gegenteil, Frank und Heinzer versuchen an allen Stellen objektiv zu berichten und zu erläutern. Das Buch endet im kürzlichen Jetzt. Im literarischen Epilog von Gianna Molinari entwirft es verschiedene Zukunftsszenarien. (gh)

Elisa Frank, Nikolaus Heinzer
Wölfe in der Schweiz
Eine Rückkehr mit Folgen

Broschur, 208 Seiten, viele Abbildungen
Hier und Jetzt 2022
ISBN 978-3-03919-561-9
CHF 39.00

www.hierundjetzt.ch

Kulturanthropologische Dissertation zum Wolf

Nikolaus Heinzer setzt sich in seiner 2020 an der Universität Zürich eingereichten kulturanthropologischen Dissertation umfassend mit der Rückkehr der Wölfe in die Schweiz auseinander. Für die aktuelle Diskussion besonders gewinnbringend ist sein Ansatz, nicht nur die direkt oder indirekt von der Wolfspräsenz betroffenen Menschen, sondern auch die Wölfe selbst und ihre domestizierten Beutetiere als «Akteure» zu verstehen. So akzentuiert das nur bedingt kontrollierbare Verhalten des Wolfes u. a. gesellschaftspolitische Gegensätze und bringt traditionelle Vorstellungen von Natur, Wildnis und Kulturlandschaft ins Wanken. Die dichte Beschreibung der einzelnen Akteure und ihres Verhaltens ist dabei in nicht minder spannende, aufgrund ihrer Komplexität allerdings eher schwer zugängliche theoretische Überlegungen eingebunden. (an)

Nikolaus Heinzer
Wolfsmanagement in der Schweiz
Eine Ethnografie bewegter Mensch-Umwelt-Relationen

Broschur, 422 Seiten, 62 Farbabbildungen
Chronos 2022
ISBN 978-3-0340-1642-1
CHF 58.00

www.chronos-verlag.ch

Schöne Landwirtschaft

Rico Kessler und seine Frau Claudia Staubli bewirtschaften seit mehr als zwanzig Jahren einen Bauernhof im Baselbieter Jura. Wobei er immer wieder betont, dass sie die ausgebildete Landwirtin und Betriebsleiterin ist. Kessler selbst arbeitet Teilzeit für Pro Natura. Das Buch zeigt uns eine Landwirtschaft, die keine zerstörten Agrarwüsten schafft, sondern ökologische Vorzeigeprojekte hervorbringt, wie z. B. neue Hecken für den Neuntöter.
Persönliche Beobachtungen und hofeigene Naturschutzinitiativen werden in einen grösseren Kontext von Agrarpolitik, historischen Entwicklungen und ökologischen Sachverhalten gestellt. Und doch liest sich das Buch wie ein modernes Märchen: worin sich keine persönlichen Dramen abspielen, niemand scheitert, auch wenn die knallharte Agrarpolitik Bauernfamilien in finanzielle Abhängigkeiten drängt und die kapitalistische Marktlogik die Welt regiert. Zum Glück, denn Rico Kessler und Claudia Staubli besitzen den notwendigen Idealismus weiterzumachen. (jm)

Rico Kessler
Stolze Kühe, krumme Rüebli
Unser Leben als Kleinbauern

Gebunden, 160 Seiten, 28 farbige Abbildungen
Hier und Jetzt 2022
ISBN 978-3-03919-557-2
CHF 41.90

www.hierundjetzt.ch

Ornithologischer Augenschmaus

Heinrich Haller möchte mit seinem Buch die Vorurteile gegenüber den als Totenvogel verschrienen Kolkraben wegräumen und ihre Fähigkeiten aufzeigen, verschiedene Lebensräume zwischen Berg und Tal, Wildnis und Stadt zu besiedeln sowie mit den Menschen zu interagieren.
Das mehrheitlich bebilderte Buch zeigt Kolkraben in eindrücklichen alpinen Landschaften, im Flug oder auf einem Felsen sitzend, beim Putzen des Gefieders oder auch beim Brüten auf dem Bundeshaus in Bern. Dazwischen gibt es wissenschaftliche Texte und persönliche Anekdoten rund um die Kolkraben und ihre Beziehungen zu den Menschen. Rabenvögel sind im Trend. Neben unzähligen Dokumentationen, Sachbüchern, Bildbänden, wissenschaftlichen Texten und aktuell einem Kinofilm wirkt dieses Buch etwas unentschlossen in seiner Wissensvermittlung. Die ästhetischen Portraits der Kolkraben sind jedoch ein ornithologischer Augenschmaus – nur: ohne Vogelbezug der Lesenden schnell beliebig und durchgeblättert. (jm)

Heinrich Haller
Der Kolkrabe
Totenvogel, Götterbote, tierisches Genie

Haupt Verlag 2022
Gebunden, 216 Seiten, viele Fotografien
ISBN 978-3-258-08257-8
CHF 49.00

www.haupt.ch

Tor zur Geschichte der Landwirtschaft

Zwanzig Jahre gibt es das Archiv für Agrargeschichte AfA und zum Jubiläum hat es sich selber ein Buch geschenkt. Das AFA archiviert keine Bücher und Dokumente in feuchtigkeitsregulierten Kellerräumen, sondern versammelt die Geschichte des ländlichen Raums aus dem 19. und 20. Jh. in einem virtuellen Archiv, das an verschiedenen Stellen online zugänglich ist. Daneben publizieren HistorikerInnen aus dem AfA agrarwissenschaftliche Forschungen zu Themen wie «Arbeitstiere in der Landwirtschaft» oder zur schweizerischen Alkoholpolitik. Im Buch sind Beiträge aus den letzten zwanzig Jahren zu lesen und es kommen zugewandte Historikerinnen und Freunde zu Wort. Zur Annäherung an das Archiv klickt man sich auf www.histoirerurale.ch ein oder macht sich schlauer mit dem Schauen historischer Filme unter www.ruralfilms.eu. (gh)

Archiv für Agrargeschichte
Eigensinnig vernetzt
Spuren sichern und Quellen erschliessen in der neueren Agrargeschichte

Gebunden, 318 Seiten
Chronos 2022
ISBN 978-3-0340-1694-0
CHF 52.90

www.histoirerurale.ch

Käsen mit Kefir

Der kanadische Käser und Biobauer David Asher käst sich in «Die Kunst der natürlichen Käseherstellung» um die Welt und vereint in seinem Buch die besten Rezepte: von Mozzarella aus Italien über Oaxaca aus Mexiko, Crottin aus Frankreich bis hin zu Cheddar aus England. Für alle Sorten verwendet er traditionelle Rezepte, Rohmilch und handwerkliche Methoden. Deshalb verzichtet er auch komplett auf Starterkulturen aus dem Labor – seine Philosophie und einzige Käsekultur ist die Kefirknolle. Sie ist wahrlich eine Zauberzutat. Die vielseitig enthaltenen Mikroorganismen erlauben eine grosse Bandbreite an diversen Käsesorten. Vom Frischkäse über Weissschimmel bis hin zu Hartkäse ist alles mit einer einzigen, gut gepflegten Kefirknolle möglich. Im Buch beschrieben wird auch die Herstellung von Lab und Sauerteigbrot sowie die Vermehrung von Blauschimmel. Grossartige Rezepte zum Ausprobieren in der Küche oder für Gewagte im Kessi. Empfehlenswert! (mn)

David Asher
Die Kunst der natürlichen Käseherstellung
Mit traditionellen, nicht-industriellen Methoden und rohen Zutaten für die Erzeugung der besten Käse der Welt

Broschiert, 372 Seiten
MobiWell 2017
ISBN 978-3-944887-41-8
CHF 48.90

www.mobiwell.com

Stämmiges Waldwerk

87’000 Quadratkilometer Wald überziehen die Alpen von Mödling in Österreich bis Monaco in Frankreich. Das ist annähernd die Hälfte der Gesamtfläche der Alpen. Da darf sich dem Thema auch mal ein Buch von gut 2 Kilo mit 400 Seiten widmen. In den Wald geleuchtet wird aus 20 Perspektiven: Von der Musik zum Lebensraum, über die Biodiversität, das Harz, das Holzen, die Jagd bis zur Heilsamkeit und Ernährung. Auch aktuelle Thematiken wie Ökosystemleistungen des Waldes, der Wald als Wasserspeicher und die Vergandung der aufgegebenen Alpflächen werden angeschnitten. Das Buch ist grenzüberschreitend angelegt, jedoch mit deutlichem Hang nach Österreich. Es ist reich und grossformatig bebildert, sodass auch die Lesefaulen auf ihre Kosten kommen. Insgesamt ein aufwendig gestaltetes Waldwerk mit viel Holzanteil, wohl dank Red-Bull-Investitionen im Buchrücken. (gh)

Eduard Hochbichler, Werner Meisinger u. a.
Der Alpenwald
Eine Natur- und Kulturbeschreibung aus 20 Perspektiven

Gebunden, 408 Seiten, viele Bilder und Grafiken
Benevento 2022
ISBN 978-3-7109-0141-6
CHF 109.00

www.beneventopublishing.com

Wilde Weiden

An diesem Buch werden echte Wildnis-Freunde keine Freude haben. Denn Jan Haft propagiert die «wilde Weide» anstelle von Wildnis. Hafts Anliegen ist, dass man den Begriff Wildnis neu denkt. Aufgrund seiner Recherchen als Naturforscher kommt er zum Schluss, dass in einem mit Rindern beweideten Gebiet – sofern man die Weide nicht unter- oder übernutzt – die grösste Biodiversität vorhanden ist. Weder im Wald, noch auf der Mähwiese, noch auf dem Acker, noch in einem Naturschutzgebiet hat es mehr Leben als auf der Weide. An konkreten Beispielen zeigt er auf, dass Rinder in einem Naturschutzgebiet die Artenvielfalt verbessern. Wildnis, schreibt er, ist unnatürlich, weil wir die grossen Pflanzenfresser aussperren. Dies fördere nur die Vergandung und mindere die Biodiversität. Natürlich wussten wir das schon vor dem Buch, aber es ist schön, dass es wieder mal einer deutlich sagt. (gh)

Jan Haft
Wildnis
Unser Traum von unberührter Natur

Gebunden, 144 Seiten
Penguin Verlag 2023
ISBN 978-3-328-60273-6
CHF 27.90

www.penguinrandomhouse.de

Heu und Schweiss

Sieben Jahre hat Elsbeth Flüeler HeuerInnen in den nidwaldischen Planggen aufgesucht, ihren Geschichten gelauscht und mit ihnen Kaffi Schnaps geschlürft. Daneben Archive durchstöbert und ihre Augen an topografischen Karten abgewetzt. Das Ergebnis: Volkskunde im intelligentesten Sinne des Wortes. Wir klammern uns an die Seiten, als hingen wir selbst in den steilen Planggen, schaudern vor der Tiefe als auch vor der Heimatverbundenheit dieser Leute, die für ein paar Fuder Heu schweisstreibende Arbeit und mögliche Abstürze in Kauf nehmen. Wieso macht das ein Mensch in der heutigen Zeit? Die Antwort gibt das Buch. Flüeler wirft das Heunetz über Historie, Kultur, Geografie, Topografie, Nutzungsrechte, Biodiversität, Erlebnisse, Erfahrungen, Ökonomie, Wissenschaft und nidwaldischen Dialekt aus und lässt uns von Knoten zu Knoten teilhaben an einer langen und währenden Tradition von bäuerlichem Handwerk. Intensiv bebildert von Severin Nowacki und ergänzt mit Übersichtskarten der Planggen. (gh)

Elsbeth Flüeler
Wildiheiw
Wildheuen in Nidwalden

Gebunden, 280 Seiten, 80 Fotografien
Hier und Jetzt 2022
ISBN 978-3-03919-555-8
CHF 48.00

www.hierundjetzt.ch

Die Kuh kraulen

Haben Kühe eine Persönlichkeit oder sind sie gar eine? Urs Mannhart jagt dieser Frage nach und macht dabei den Spagat zwischen persönlichen Erlebnissen und aktuellen Forschungen.
Beim Lesen wird klar: Die Frage ist zumindest in der Forschung nicht so leicht zu beantworten, schon gar nicht mit einfachen Experimenten oder seitenlangen Fragebogen. Wenn man wissen will, wie oder wer ein Tier ist, braucht es Zeit und die Bereitschaft, dies überhaupt wissen zu wollen. Letzteres scheint nicht das Ziel jedes Bauern und Bundesamts, denn Kühe ohne Persönlichkeit sind leichter zu enthornen, zu überzüchten und zu verwursten. (lp)

Urs Mannhart
Lentille
Aus dem Leben einer Kuh

Broschur
Matthes & Seitz, Berlin 2022
ISBN 978-3-7518-0809-5
CHF 25.90

www.matthes-seitz-berlin.de

Das Buch der Bücher

2403. Dies ist die Anzahl Publikationen, die der «Alpenforscher» Werner Bätzing in einer Bibliografie versammelt hat. Stand Oktober 2021. Sein Buchverzeichnis umfasst den gesamten Alpenbogen, die Bücher sind primär nach Land geordnet, in zweiter Linie nach Region. Der jeweilige Eintrag wird mit einem Etikett «Fachgebiet» ergänzt, zusätzlich hilft ein Personen- und Sachregister Publikationen zu finden. Doch erst mal blättert man wahllos drauflos. Oder sucht irgendein unbekanntes Werk, um zu prüfen, ob Bätzing es kennt und man ihm vertrauen kann, die definitive Alpbücher-Bibliothek geschaffen zu haben. Hat er. Auch wenn eine Bibliografie natürlich nie endgültig ist.

Doch wer braucht so ein Ding? Hat das einen Nutzen? Wissenschaftlich gesehen auf jeden Fall, als Bettlektüre wohl weniger. Bätzings Anliegen ist: Er möchte das kulturelle Wissen sichtbar und erfassbar machen. Sein Ziel: Der Alpenraum wird in der Bevölkerung und in der Politik verstärkt wahrgenommen. Er plädiert für eine länderübergreifende Alpenorganisation, um das zukünftige Leben in den Alpen europaweit zu diskutieren.

Das Buch ist neben der Papierausgabe auch als PDF erhältlich, was die Recherche vereinfacht. gh

Werner Bätzing
Alm- und Alpwirtschaft im Alpenraum

Eine interdisziplinäre und internationale Bibliographie

Sprachen: DE, FR, IT, SL, EN
gebunden, 348 Seiten
context verlag Augsburg 2021
ISBN 978-3-946917-29-8
CHF 68.00
www.context-mv.de

Karges Leben

Es ist Sommer 1954, auf der Alp Preda-Sovrana im Val Madris GR. Mit mehreren Haselstecken bewaffnet zieht der damals zwölfjährige Autor als Hüterbub auf die Alp, wo er sich am ersten Tag im Schneetreiben verliert. Im Rückblick erzählt er in einfacher Sprache von seinen Erlebnissen, es fehlt ihm an Erfahrung, an Regenkleidung und ein richtiges Bett hat er auch nicht. Man erfährt vom kargen Leben der Älpler, vom unwirtlichen Wetter, vom fluchenden Kuhhirten Giovanni und schauerlich kochenden Senn Cabalzar. Das Heimweh drückt schwer und am Ende schwört sich Alfred: Auf diese Alp gehe ich nie mehr! Drei Jahre später bricht er den Schwur und ist erneut Hirt auf der Alp Preda-Sovrana. (bs)

Alfred Götz
Sommer auf der Alp
Sommer 1954

Gebunden, 60 Seiten, diverse historische Bilder
Books on Demand 2021
ISBN 978-3-7543-7345-3
CHF 25.90

www.bod.ch

Endlinge

Der Name Endling klingt so traurig wie das Phänomen, das er beschreibt: die jeweils letzten Individuen einer Tierart, die in Gefangenschaft sterben. Zu den bekanntesten Endlingen gehört etwa die Wandertaube Martha, die 1914 im Zoo von Cincinnati starb, oder Lonesome George, eine Galapagos-Riesenschildkröte, die 2012 über 100-jährig in einem Gehege verendete.

Der deutsche Biologe Bernhard Kegel stellt in seiner Publikation allerdings nicht ausschliesslich Tiere vor, die in jüngerer Zeit ausgestorben sind, sondern blickt weit ins Anthropozän zurück, als der moderne Mensch begann, sich auf der Erde auszubreiten. Auch wenn wie etwa beim Riesenwombat, beim Höhlenbären oder beim Riesenfaultier (Tiere, die alle bereits vor mehreren Tausend Jahren ausgestorben sind) die Gründe für das Verschwinden nicht mehr mit Sicherheit festgestellt werden können, so dürften nicht nur die Klimaveränderungen, sondern auch die Jagd eine wesentliche Rolle gespielt haben. Dies gilt für fast sämtliche der über 50 präsentierten Tiere. Kegel legt den Fokus dabei auf Säugetiere und Vögel, allerdings mit dem Hinweis, dass der allergrösste Teil der ausgestorbenen und aktuell vom Aussterben bedrohten Tierarten zu den Wirbellosen (Insekten, Krebse, Würmer, Quallen, Schnecken u. a. m.) gehört. Die Wirbellosen umfassen weit über 90 Prozent aller Tiere und nur ein Bruchteil wurde überhaupt entdeckt, d. h. sind wissenschaftlich beschrieben.

In jeweils kurzen Einschubtexten erfährt man einiges rund um das Thema Artensterben – auch zur Wiederentdeckung ausgestorben geglaubter Tiere, zu Experimenten mit alter DNA oder zu Rückzüchtungen, resp. Abbildzüchtungen wie im Falle des Auerochsen. Das Besondere der Publikation liegt nicht unbedingt in neuen Erkenntnissen zum beschleunigten Rückgang der Artenvielfalt. Die ausgesprochen sorgfältig gestalteten Tierportraits mit jeweils einer Informationsseite zum Tier, seinem Lebensraum und den Gründen für sein Verschwinden plus einer Seite mit Lithografien und Aquatinta-Abbildungen handeln das Thema nicht einfach auf wissenschaftlicher Ebene ab, sondern geben den ausgestorbenen Tieren in durchaus berührender Weise ein «Gesicht» und eine Geschichte und – wie im Fall von Martha und George – sogar einen Namen. (an)

Bernhard Kegel
Ausgestorbene Tiere

Gebunden, 160 Seiten, 50 Abbildungen
DuMont 2021
ISBN 978-3-8321-6906-0, CHF 39.90
www.dumont-buchverlag.de

Es klingt das Horn

Balthasar Streiff bespielt viele Hörner. Seit vielen Jahren tüftelt er an der Resonanz von Alphörnern, lotet die Möglichkeiten des Büchels aus, füllt Keller, Schaubühnen und Eingangshallen von Bahnhöfen mit Schall und Klang. Und manchmal hockt er in der Werkstatt, bohrt Löcher in Tierhörner, misst Hohlräume aus, schleift an Details, setzt wenn nötig ein Mundstück ein. Von zwölf seiner Hörner, die auf Tierköpfen gewachsen sind, erzählt er uns die Geschichten seiner Träger: Marta, Adonis, Shen, Blüemli, Toto, Daisy, Urseli, namenlos, Bielerseehörnli, Marina, Napoleon und Charly. Das ist jeweils berührend, spannend, erhellend und überraschend zu lesen. Per QR-Code gelangt man zu Musikdateien und kann die Hornklänge durch die Ohren pfeifen lassen. Ein kleines Büchlein, ein Bijou. (gh)

Balthasar Streiff
Hornviecher

kartoniert, 56 Seiten
mit 14 Fotos und QR-Code zur Musik
Mäd Book Spezial, Basel 2021
ISBN 978-3-906172-92-7, CHF 39.00
www.mad-book-verlag.ch
www.zalpverlag.ch

Lebenskraft nutzen und stärken

Bei chronischen oder wiederkehrenden Rinderkrankheiten, schwachen Immunsystemen oder Bestandesproblemen kann die «normale» Homöopathie mit Vergabe uns bekannter Chügeli wie Hepar Sulfur oder Arnika an ihre Grenzen kommen. Für diese Fälle gibt es Mittel, die auf die persönliche «Lebenskraft» der Tiere wirken, weniger auf das Krankheitsbild. Das erfordert ein genaues Studium des Tiers. Jedes Individuum hat seine eigene spezifische Konstitution, abhängig vom Charakter und den Lebensumständen.

Das Handbuch beschreibt 13 wichtige Konstitutionstypen beim Rind mittels Tierbildern, ausführlichem Charakterbeschrieb und praktischen Fallbeispielen. Ein Steckbrief fasst jeweils den Typ übersichtlich zusammen. Um das richtige Mittel zu finden, sind die Gegenüberstellungen und Vergleiche ähnlicher Typen sehr hilfreich. Dies alles braucht Übung beim Beobachten, viel Zeit und Geduld. Konstitutionsmittel sind tiefwirkende Arzneien und sollten vorsichtig und erst nach reiflichem Überlegen angewendet werden. Erfahrung in Homöopathie ist Voraussetzung, das Buch und die Anwendung der Mittel sind nichts für Homöopathieneulinge.

Hirten und Bäuerinnen kann das Buch jedoch (auch ohne Absicht auf homöopathische Behandlungen), Anleitungen fürs genaue Beobachten der Rinder und der jeweiligen Charaktere vermitteln. Auf Alpweiden, wo die Tiere frei und im Sozialgefüge der Herde leben, kann man den Typen besonders gut auf die Spur kommen.

Verfasst wurde das Buch von sechs Tierärzten aus verschiedenen Regionen der Schweiz, welche nebst der Schulmedizin langjährige Erfahrungen in der Homöopathie haben. Ihr grosses Wissen ist auf 222 Seiten zusammengepfercht, leider in etwas kleiner Schrift, die einen beim Lesen ermüdet. (Barbara Sulzer)

Gränicher, Gisler, Luder, Schmidt, Flury, Knüsel, Vincenz
Handbuch Konstitutionstypen beim Rind

OMIDA AG 2022
Gebunden, 222 Seiten
ISBN 978-3-0330844-1-4
CHF 88.00
www.handbuchzurstallapotheke.ch

Mutig

Vom Jubiläumsbuch eines Zuchtverbands erwartet man nicht allzu viel Vergnügtes und Aufregendes. Ein paar langweilige Köpfe ehemaliger Präsidenten, samt Grussworten, Verdankungen und Selbstbeweihräucherungen vergangener und zukünftiger Taten. Kann man getrost im Büchergestell versargen.

Nicht so bei diesem Buch. Vorne aufschlagen und «Hoppla!» rufen. Im Bild eine Herde Eringer vor der Talstation Super-Nendaz im Winterskiort Siviez. Schwarze Eringer und weissverputzte Bausünden – zwei Walliser Kulturtraditionen vereint; das ist so real wie ironisch und in einem Jubiläumsbuch äusserst mutig. Und so geht es weiter. Da liegt ein engumschlungenes Pärchen neben einer auf den Kampf wartenden Kuh. Dort wirft ein Bauer vor Glück seine Arme in die Luft, die Siegerkuh blickt dumpf in die Zuschauermenge: «Was gehts mich an.» Natürlich gibts die obligaten Infos zur Geschichte der Eringer sowie des Verbands und es kommen doch noch Präsidenten zu Wort. Aber alles ist lesbar, bietet punktuell Aufregendes und macht Vergnügen. Insgesamt umarmen Fotografen und Autorinnen ihre 600 Kilo schweren schwarzfelligen Fleischkolosse, als wärens Familienmitglieder – das ist berührend. Nicht zuletzt ist das Papier gut gewählt, der Text schön gestaltet, haben die Bilder ihren Raum. Echt gut gelungen. gh

Du lait et de la corne / Zwischen Milch und Horn
100 Jahre Schweizerischer Eringerzuchtverband

Sprache: FR, DE
broschiert, 152 Seiten
Editions Monographic, Siders 2020
ISBN 978-2-88341-315-3
CHF 35.00
Bestellungen: 079 370 20 26
www.raceherens.ch

Nichts für Älpler

Jedes Jahr gibt es auf dem Buchmarkt mindestens ein Déjà-vu, dieses Jahr sieht es so aus: eine sympathische Frau mit Huhn auf dem Arm auf dem Titelbild und der Titel lautet «Auf der Alm. Vom Glück des einfachen Lebens». Es ist ein Buch, dessen Inhalt jede aus dem Stegreif erzählen kann, die mehrfach einen Sommer auf der Alp verbracht hat. In jeweils individuellen Varianten, die gleichen Erfahrungen: Wie das ist, Kühe in den Stall zu bugsieren, die da nicht reinwollen. Wie entspannend die Glocken, wie faszinierend die Geburt eines Kalbs, wie anstrengend die Arbeit, wie beglückend der Kaffee auf dem Bänkli und der Mittagsschlaf im Heu.

Also sprich: Es ist wirklich kein Buch für Älplerinnen. Aber es ist trotzdem ein Buch, das seine Berechtigung hat. Über was sonst soll man schreiben und lesen in einer Welt, die ausserhalb der Landwirtschaft grösstenteils völlig am Rad dreht. (Ach, ich vergass, in der Landwirtschaft ja ebenfalls.)

Die Fotos sind hart an der Kitschgrenze (manche in der Redaktion sagen auch: weit drüber), die Schilderung wenig überraschend und der Verlag tut bei der Vermarktung sein Übriges, um auch ja kein Klischee auszulassen.

Schön wäre gewesen: etwas mehr Kontroverse, ein bisschen mehr Kanten, ein bisschen weniger Komfortzone. Aber meine Güte, wer noch nie einen Sonnenuntergang hinterm Hüttli fotografiert hat, wer kleine Kinder mit Kälbern kein bitz süss findet, der schreibe eben selber ein Buch. So ein richtig nüchternes, trockenes, ironisches. Ob’s besser wird, ist eine noch offene Frage. (sd)

Julia Barbarino
Auf der Alm

Vom Glück des einfachen Lebens

Gebunden, 272 Seiten
Ludwig Verlag 2021
978-3-453-28137-0
www.penguinrandomhouse.de

Muh, muh, muh: Alles Rind hier

Das Buch will viel: Es berichtet über die Evolution, die Anatomie, das Sozialleben und das Verhalten des Rindes und über die Beziehung von Mensch und Tier. In vielen Diagrammen, Illustrationen, Fotos, Böxli und leicht lesbaren Texten erfährt man Wissenschaftliches zu Ernährung, Zyklus, Skelett, Krankheiten, Fortpflanzung, Milchbildung, Methanausstoss, Intelligenz, Klaue, Tastsinn, Farbschläge, Rassen, Stellung in der Religion usw. So viel Stoff vom Flotzmaul bis zur Schwanzspitze und wieder zurück, da vermag die Autorin nicht überall in die Tiefe zu gehen. Somit bleiben bei all diesen vielen Antworten auch manche Fragen offen. Trotzdem, wer neugierig ist auf rundum Rind, wird beliefert.

Ähnlich aufgebaute Bücher gibt es im Haupt Verlag über den Hund, das Schwein, das Pferd, die Ziege und die Katze. (gh)

Catrin Rutland
Das Rind

Geschichte, Biologie, Rassen

Gebunden, 224 Seiten, viele Bilder und Illustrationen
Haupt Verlag, Bern 2022
ISBN 978-3-258-08232-5, CHF 36.00
www.haupt.ch

Böse Blicke

Beim Wort «Tatzelwurm» denken wohl die meisten an das bunt bemalte Spielzeug aus einer Reihe beweglicher Holzklötzchen, dessen schlängelnde Beweglichkeit einen als Kleinkind fasziniert hat. Vom Tatzelwurm fasziniert ist offensichtlich auch Ulrich Magin, der sich laut Klappentext als freier Autor seit Langem mit modernen Sagen und unheimlichen Welten beschäftigt. Es geht bei ihm nicht um das Spielzeug, sondern um den höchst rätselhaften Alpenbewohner, der bis in die jüngste Zeit immer wieder gesichtet wird. Die Beschreibungen des Tatzelwurms – oder Stollenwurms, wie er im Berner Oberland genannt wird – sind allerdings so unterschiedlich und sich widersprechend, dass eine zoologische Bestimmung schwierig ist: Mal ist der Körper lang, dünn und geschuppt wie bei einer Schlange, mal gedrungener und nackt, mal hat das Tier nur zwei, dann wieder sechs Beine. Für die einen erinnert der Kopf an eine Katze, andere sehen einen Molch oder gar ein Kleinkind, mal trägt der Wurm ein Krönchen, mal keins. Zu spassen ist mit dem Tier jedoch nicht – im schlimmsten Fall frisst es eine Sennerin oder säuft das Euter der Kühe leer. Meist nehmen die Augenzeugen (es sind fast durchwegs Männer) vor dem stechend bösen Blick Reissaus und nur die Allermutigsten schlagen es tot; dumm allerdings, dass sich der Kadaver entweder gleich vor Ort in giftige Dämpfe auflöst oder die Überreste, selbst wenn sie in ein Museum gebracht wurden, partout nicht mehr auffindbar sind. All diese Schwierig- und Merkwürdigkeiten haben jedoch selbst gestandene Akademiker nicht davon abgehalten, über die Existenz der bisher unentdeckten, d. h. zoologisch nicht taxierten, Tierart zu spekulieren. Das Witzige an Magins leicht und angenehm zu lesendem Buch ist, dass er die Figur des Tatzelwurms nicht nur kulturhistorisch einordnet und nach natürlichen Erklärungen – etwa Verwechslungen mit anderen Tieren – sucht, sondern in gut kryptozoologischer Manier bis zum Schluss immer wieder offenlässt, ob an den Berichten vielleicht nicht doch «was dran ist». Schliesslich hat bis heute auch noch niemand abschliessend bewiesen, dass es den Yeti oder den kanadischen Bigfoot nicht gibt ... (an)

Ulrich Magin
Der Tatzelwurm

Porträt eines Alpenphantoms

Paperback, 230 Seiten, div. Abbildungen
Edition Raetia 2020
ISBN 978-88-7283-736-8, CHF 29.90
www.raetia.com

Vergangene Zeiten

Die aktuell omnipräsenten Berichte über das Alpleben in Film, Büchern und Zeitschriften haben oft – gewollt oder ungewollt – einen mehr oder weniger romantisierenden Touch. Von dieser Form Romantik ist in den drei vom Innsbrucker Historiker Georg Jäger zwischen 2019 und 2021 veröffentlichen Bänden «Vergessene Zeugen des Alpenraums» wenig zu spüren. Jäger, der selbst aus einer Tiroler Kleinbauernfamilie stammt, schildert darin ausführlich die teilweise von extremer Armut geprägten Lebenswelten der ländlichen Unterschichten. Der Fokus seiner Arbeit liegt hauptsächlich auf den Verhältnissen in den südwestlich von Innsbruck gelegenen Stubaier Alpen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre. Nicht wenige der zahlreichen Abbildungen beinhalten indes auch Motive aus der Schweizer Alp- und Berglandwirtschaft. Zwar stellt Jäger zu Beginn des ersten Bandes ausführlich die Sozialstruktur der abgelegenen ländlichen Gesellschaft dar, die durch den Gegensatz von reichen, grundbesitzenden Bauern und meist bitterarmen, sogenannten «Kleinhäuslern» gekennzeichnet war. Trotzdem handelt es sich bei den drei Bänden nicht um eine sozial- oder kulturwissenschaftliche Analyse, sondern eher um eine Sammlung von Sekundärquellen (Reiseliteratur, volkskundliche Literatur, Zeitungsberichte, biografische Erzählungen u. a. m.).

Band 1 widmet sich der Arbeit der «Männer und Buben», konkret den Maulwurf- und Schermausfängern (die teilweise gut verdienten, da aus den Maulwurffellen Pelzmäntel für die «bürgerliche Damenwelt» hergestellt wurden) und den Ziegenhirten. Band 2 berichtet über von «Frauen und Mädchen» ausgeübte Tätigkeiten als Kraxenträgerinnen, Wäscherinnen, Wildheuerinnen, Wurzengraberinnen, «Jätergitschen» u. a. Der dritte Band schliesslich handelt von den Sennerinnen – anders als in der Schweiz war die Milchverarbeitung in den Tiroler Alpen weitgehend Frauensache – sowie der Hochgebirgsjagd und der Wilderei. Etwas irritierend ist die von Jäger ausser beim Thema Wilderei konsequent durchgezogene Zuordnung der dargestellten Tätigkeiten nach Geschlechtern, obwohl viele der Tätigkeiten nicht geschlechtsabhängig waren – ging es nicht gerade ums Stricken oder Wäschewaschen. Fliessend konnten die Geschlechtergrenzen offenbar auch bezüglich der äusseren Erscheinung sein, was sich nicht nur in einzelnen Abbildungen, sondern etwa auch im Bericht eines deutschen Studenten spiegelt, der im Hochgebirge plötzlich vor starken Wildheuerinnen «mit männlichen Zügen» stand, die gleichzeitig Männerhosen und Mieder tragend unablässig an kurzen Tabakspfeifen zogen. Daneben vermag Jäger aber eindrücklich zu zeigen, wie stark das ökonomische Überleben dieser Unterschichten von der Arbeit der Frauen abhing und welch immenser, heute nicht mehr annähernd vorstellbarer Arbeitsbelastung diese ausgesetzt waren. Die drei Publikationen eignen sich nicht unbedingt zum Durchlesen, dazu ist die Präsentation der Quellen oft zu repetitiv und die Literaturangaben direkt im Text hindern den Lesefluss. Es lässt sich aber bestens ausgiebig darin schmökern und mit Bild und Text in vergangene Zeiten abtauchen. (an)

Georg Jäger
Vergessene Zeugen des Alpenraums

Bd. 1: Männer und Buben bei der Arbeit
Gebunden, 192 Seiten, ca. 90 Abb.
Kral-Verlag 2019
ISBN 978-3-99024-827-0, CHF 38.50

Bd. 2: Frauen und Mädchen bei der Arbeit
Gebunden, 336 Seiten,
Kral-Verlag 2020
ISBN 978-3-99024-888-1, CHF 30.20

Bd. 3: Auf der Alm und im Gamsgebirge
Gebunden, 456 Seiten
Kral-Verlag 2021
ISBN: 978-3-99024-958-1, CHF 31.20

www.kral-verlag.at

Ausbeutung und Anpassung

Seit 2013 findet im vorarlbergischen Montafon in unregelmässigen Abständen unter dem Titel «Montafoner Gipfeltreffen» eine Tagung von Historiker:innen unterschiedlichster Ausrichtung zu Themen rund um den Lebensraum «Berg» statt. Die Referate werden anschliessend in einem Sammelband publiziert. Das 4. Treffen im Winter 2018 stand unter dem Titel «Wirtschaften in den Bergen». Es ist ein Markenzeichen der Tagungen, dass das Thema sowohl geografisch wie zeitlich sehr breit angegangen wird: von der Antike bis in die Gegenwart, vom Hindukusch bis in die Anden. So findet sich im Sammelband neben vielen anderen ein Aufsatz zur pharaonischen Goldgewinnung in der nubischen Wüste neben einem Beitrag zur Kunstgeschichte Vorarlbergs vom 15. bis ins 18. Jahrhundert oder einem Text zur Verköstigung der Besucher:innen von Alpenvereinshütten im 19./20. Jahrhundert. Obwohl im Untertitel der Publikation auch von «Hirten» die Rede ist, kommt ihnen leider wenig Beachtung zu. Neben Themen zu Handels- und Verkehrsrouten dreht sich eine Mehrzahl der Beiträge um Bergbau und Tourismus. Verschiedene Beiträge des Sammelbandes machen deutlich, dass Bergbewohner:innen angesichts der schwierigen Umwelt- und Lebensbedingungen zu allen Zeiten und an allen Orten ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit brauchten. Dazu gehörten (halb-)nomadische Wirtschaftsformen ebenso wie Formen temporärer Arbeitsmigration, von der das Montafon lange Zeit stark geprägt war. Anpassungsbereitschaft verlangte auch der Tourismus, der im Alpenraum Ende des 19. Jahrhunderts aufkam. Die damit einhergehenden Umwälzungen wurden dabei nicht nur passiv erduldet, sondern durchaus auch innovativ genutzt. Davon zeugt u. a. das in frühen Reisebeschreibungen verbreitete, etwas zwiespältige Lob der besonderen «Geschäftstüchtigkeit» der Alpenbewohner:innen. Die extreme inhaltliche Bandbreite des Sammelbandes lässt das gewählte Thema etwas arg schwammig und beliebig wirken. Gleichzeitig verleitet sie aber dazu, den Blick über das eigene, oft recht beschränkte Interesse hinaus zu weiten und damit auch grössere Zusammenhänge zu entdecken. (an)

Michael Kasper et al.
Wirtschaften in den Bergen
Von Bergleuten, Hirten, Bauern, Künstlern, Händlern und Unternehmer

Gebunden, 527 Seiten, 90 s/w-Abb.
Böhlau Verlag 2020
ISBN 978-3-205-21134-1, € 55
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Antikitsch 1: Tourismusexzesse in den Alpen

In einer zalp zum Thema Kitsch darf Lois Hechenblaikner nicht fehlen, Fotograf in Sachen Dokumentation von enthemmtem Tourismus in Tirol. Hechenblaikner kombiniert Schwarzweissfotografien der Landwirtschaft in den 50er bis 70er Jahren mit Farbbildern über Tourismusexzesse. So laufen auf dem einen Bild Schafe dem Hirten nach, auf dem anderen jubelt das Publikum dem Schlagerstar Hansi Hinterseer zu. Oder die Kombination besteht aus Lawinenschutt und Autolawine, aus Madonnen- und Prostituiertenbildchen, aus hingestellten Milchkannen und einem Haufen leergetrunkener Bierfässer. Die Sichtung lässt einen auflachen und erschauern zugleich. Ein Buch, das nachwirkt. (gh)

Lois Hechenblaikner
Hinter den Bergen

Gebunden, 160 Seiten, 120 Abbildungen
Steidl Verlag, Göttingen 2021
ISBN 978-3-86930-737-4, CHF 42.90
www.steidl.de

Antikitsch 2: Gnadenlos

Das Buch ist der Monolog des Bauern Paul, der im Jähzorn seine Frau Vulva schlägt, für die Kinder keine Namen hat, rundum gegen die Welt prügelt und manchmal Trost bei seinen Tieren findet. Kein schönes Buch. Alles wirkt beklemmend, brutal, kalt. Paul ist in sich gefangen, unfähig zu sprechen, zu kommunizieren, und hält hier seine 300-Seiten-Rede, schockierend ehrlich ohne einen Hauch von Verteidigung. Die Autorin zwingt uns, in Pauls verstörter Seele nach Menschlichkeit zu schaufeln, weil wir nicht wollen, dass es hier keine gibt. Und so sind wir schon froh, dass es Paul wenigstens mit den Tieren kann. Schwer verdaubar, kalter Schweiss unvermeidlich, ein grosses Stück Literatur. (gh)

Noëlle Revaz
Von wegen den Tieren

Gebunden, 312 Seiten
Urs Engeler, Schupfart 2004
ISBN 978-3-905591-81-1, CHF 33.00
www.engeler.de

Per Ausschlussverfahren

Wer braucht denn heute noch ein Buch, um Pflanzen zu bestimmen? Dafür gibt es doch Apps zuhauf, die per Klick, Touch und Wisch endlos Bilder und Informationen über den Bildschirm spucken. Stimmt. Vorausgesetzt: genügend Akku und Internet, kein allzu helles Sonnenlicht, das Handy liegt nicht zerbrochen unter einer Klaue. Und manchmal hat man einfach das Verlangen nach biz blättern. Peter Kammers Buch verfolgt grundsätzlich das Bestimmen über Ausschliessmerkmale. Man beginnt mit einem Kriterium (z. B. holzig – nicht holzig), wird dann je nach Entscheid ans nächste Kriterium verwiesen, wo man sich wieder entscheiden muss usw. – bis man bei der einzigen Pflanze landet, die allen Eigenschaften entspricht. Fachwissen ist dabei nicht nötig, die Begriffe sind selbsterklärend. Mit dem Verzweigen durch all die Kriterien wird einem etwas Geduld abverlangt. Wer Abkürzungen liebt, greift doch zu einer App wie «PlantNet» und kombiniert deren oft unsicheres Ergebnis mit den im Buch beschriebenen Detailmerkmalen. Win-win. Ansonsten folgt das Buch vielen anderen Bestimmungsbüchern: Die Motive der Bilder sind gut gewählt, die Charakteristiken der Pflanzen ersichtlich, der Umfang mit 700 Arten samt Bäumen, Sträuchern und Gräsern ausreichend. Interessant und oft überraschend sind die Beschriebe in der Rubrik «Wissenswertes». Leider ist der Druck zu dunkel geraten. gh

Peter M. Kammer
Alpenpflanzen einfach bestimmen

Haupt Verlag 2021
Paperback, 416 Seiten, 850 Fotos, 180 Illustrationen
ISBN 978-3-258-08230-1
CHF 37.90
www.haupt.ch

Flugobjekt der Superlative

Der grösste aller Vögel in den Alpen. Knapp 3 Meter Spannweite, 5 bis 7 Kilo Gewicht. Maximale Nutzlast 2,5 Kilogramm. Das ist der Bartgeier. Im Himalaya siedelt er in Höhen bis 7500 m ü. M., fühlt sich aber am Rande der Wüste Gobi ebenfalls zu Hause. Er kann bis zu 25 Zentimeter lange Knochen in einem Stück verschlucken, auch wenn sie 6 Zentimeter breit sind. Da kann es dann 30 Stunden dauern, bis die sauren Magensäfte den Knochen vollständig aufgelöst haben. Knochen decken bis zu 90 Prozent des Futterbedarfs eines Bartgeiers, 200 bis 300 Gramm pro Tag genügen ihm. Trotzdem: Eine Bartgeierfamilie verspeist Knochengerüste von jährlich 50 bis 70 Steinböcken, Gämsen oder Schafen etc. Dies und noch ein grosser Haufen mehr an Flügelfedern und Knochengerüsten ist zu lesen – und auf schnabelscharfen Bildern zu schauen – im frisch herbeigeflogenen Bartgeierbuch aus dem Hause Haupt. Es geht um Ansiedlung, Leben und Tod des Bartgeiers in allen Aspekten. Und nicht zuletzt um unser Tun für und gegen ihn. Beim Barte des Geiers: ein abendverschlingendes Buch. gh

Weyrich, Baumgartner, Hegglin, Lörcher
Der Bartgeier

Seine erfolgreiche Wiederansiedlung in den Alpen

Haupt Verlag 2021
Geb., 248 Seiten, 206 Fotos
ISBN 978-3-258-08192-2
CHF 48.00
www.haupt.ch

Rentiert nicht. Muss weg.

Der Titel eine Nummer, da weiss man: Das wird traurig. Der Bildband ist denn auch so etwas wie die Trauerarbeit des Fotografen Tomas Wüthrich, der die Hofaufgabe seiner Eltern ein Jahr lang begleitet hat. Vor zwanzig Jahren war das, in Kerzers, am Ufer des Grossen Moos. Es ist eine Geschichte unter vielen, doch jedes Mal eigens und persönlich erlitten von den jeweiligen Bäuerinnen und Bauern. Pro Tag werden mehr als zwei Landwirtschaftsbetriebe gemordet. Das Mantra: «Immer grösser, immer effizienter» dreht weiter seine Runden in den Köpfen vom BLW, Bauernverband, Landwirtschaftsschulen und auch in manch einem Bauern. Das tut weh, der Ruth und dem Hans zuzuschauen, wie sie zum letzten Mal ins Heufeld ziehen, zum letzten Mal der Kuh beim Gebären zuschauen, mit veralteten Maschinen und Gerätschaften gegen Windmühlen der Ökonomie ankämpfen, um am Schluss mit dem Besen den leeren Stall zu fegen. Eine Galerie des Untergangs in rauen, grobkörnigen Schwarzweissbildern. Den Rahmen bilden zwei sinnreiche Texte, wovon der eine nah am Bauerpaar ist, der andere die Fotografie einordnet. Die Schwere insgesamt beim Lesen und Schauen muss man aushalten können. Für Ruth und Hans war sie blanke Realität. gh

Tomas Wüthrich
Hof Nr. 4233
Bildband mit Texten von Peter Pfrunder und Balz Theus Es gibt eine deutsche und eine franz. Ausgabe

Scheidegger & Spiess 2021
Gebunden, 168 Seiten, 73 Duplex-Bilder
ISBN 978-3-85881-681-8
CHF 49.00
www.scheidegger-spiess.ch

Ein Käsemärchen

Was passiert, wenn Frau Weibel käst? Es gibt Käse und eine Geschichte. Ein Märchen, entstanden im Flow der durch die Schmierhände flutschenden Mutschlis und kreisenden Käsebürsten. Vielleicht war auch ein klein bisschen Geist Ammoniaks mit dabei. Es geht summa summarum um den Ursprung des Käses – die Zeit bevor wir Menschen lernten, wie er zu machen ist. Und da ist die gwunderfitzige Johanna, die nicht aufhört zu fragen und spienzeln, woher der Käse kommt. Auf ihrer Forschungsreise begegnet Jo manch rundgereifter Weisheit und zuletzt ist sie nicht unschuldig, dass der Käse nicht von irgendwo, sondern durch unserer Hände Arbeit auf dem Tisch landet. gh

Cecile Weibel
Warum der Käse wie der Mond ausschaut

Eigenverlag 2020
Ungebunden, 40 Seiten

CHF 20.–
Bestellbar bei cecileweibel@gmx.ch

Versammelter Eigensinn mehrerer Generationen

In «Milch» ermöglicht uns Christian Heumader, am Leben der Bergbäuerinnen und Bergbauern im Allgäu teilzunehmen. Die Erzählungen im Buch handeln vom Arbeitsalltag, von Erinnerungen an früher und Gedanken über mögliche Zukunftsszenarien. Die Geschichten, auf Dialekt und Hochdeutsch, sind frisch, direkt und regen zum Diskutieren an. Handwerklich ausgereifte Schwarz-Weiss-Bilder von Kulturlandschaften und deren ProtagonistInnen, Tieren inklusive, sowie Statistisches über das Hofsterben bereichern das 300-seitige Buch zusätzlich. Den Köpfen im und hinter dem Buch gelingt es, nicht im nostalgischen Früher zu verweilen, sondern durch unterschiedliche Perspektiven auch aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in der Berglandwirtschaft aufzuzeigen. Das Buch macht Mut, standardisierten Lösungen und amtlichen Vorschriften durch Eigensinn etwas entgegenzusetzen. jm

Christian Heumader
Milch

Allgäuer Bergbauern und Bergbäuerinnen erzählen

BergWegVerlag 2020
Gebunden, 304 Seiten,
viele sw-Fotografien
ISBN 978-3-00-066273-7
EUR 48.50, CHF ca. 80.–
www.bergwegverlag.de

Lieblos eingedampft

Das Sixpack «Wege zum Alpkäse», die Reihe mit gut 470 portraitierten Käsealpen im Berner Oberland aus den Nullerjahren, ist veraltet und zum Teil vergriffen. Im Sommer 2020 frisch erschienen ist ein Folgebuch mit insgesamt 240 Käsealpen. Leider ist es lieblos gestaltet und würzlos gekürzt. Technische Angaben wie z. B. Stosszahlen oder Weideflächen fehlen, historische oder kulturelle Hinweise auf Architektur und Sagen sind im Bschüttloch verschwunden. Schade auch, dass auf den Bildern kaum mehr Älplerinnen und Älpler die Seiten schmücken. Neu hinzugekommen ist der Hinweis Alpbeizli Ja oder Alpbeizli Nein, geblieben sind die Angaben zur Lage der Alp, zu Besonderheiten und Kontaktadressen. gh

Wege zum Alpkäse Berner Oberland
240 Käsealpen im Porträt

Werd und Weber 2020
Paperback, 532 Seiten, viele Bilder
ISBN 978-3-03818-257-3
CHF 53.90
www.alpbeizli.ch
www.weberverlag.ch

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