Musik

Albedo – Musik zur Klimakrise

Die Albedo ist das Mass, in dem eine Oberfläche Sonnenstrahlen reflektiert – Schnee hat eine Albedo von 0,9, wirft also fast alles Licht zurück, Wald hat eine von 0,05. Die Albedo ist in den letzten Jahrzehnten um bis zu acht Prozent gesunken. Klimawissenschaftler nehmen das als Zeichen für die Klimakatastrophe – je weniger Rückstrahlung desto mehr Weltuntergang. Doch so streng wie die mathematisch-physikalischen Bestimmungen der Kosmologie sind die der Musik keineswegs. Die sieben Blasmusikanten der Kapelle «Federspiel» vertrauen dem schön weichen Klang des Wortes «Albedo», sie fliegen aus zu Bildern und Stimmungen, zu Dunkelheit und Trauer, zu Licht und Zuversicht. Choräle in allen möglichen Konstellationen und Farben, immer wieder mit Dämpfer gespielte Trompeten, schmelzende Balladen aus der Trompete und bei aller Lust zum vollen Gebläse immer Rücksicht, damit die Klarinette nicht verloren geht – das stimmt diese Blechmusik fein und virtuos. «Federspiel» bedient sich bei der Blechmusik der Schützen, bei den Beständen der grossen Opern, von denen ja die meisten kräftige Blechmusik brauchen, wenn der Held über die Bühne reitet, und die Musikanten erfinden freilich viele eigene Klänge. Ganz trüb ist die Welt trotz der abnehmenden Albedo nicht – ein Wiegenlied schliesst als zehntes Stückli die CD ab, komponiert von einem Federspieler, der träumte Vater zu werden und es schliesslich geworden ist. Köbi Gantenbein

Federspiel
Albedo

o-tone music 2022

www.o-tonemusic.de
www.feder-spiel.net

Zwei Engel auf Erden

«Zwei Engel uf Ärdä» – ob das Stücklein auf ihrer neuen CD «Fiddelgüggs» ihr Selbstbild ist? Heiter und ironisch gebrochen zwar, aber immerhin: Anita Dachauer, Schwyzerörgeli und Jodel, und Lisa Travella, Geige. Zusammen unterwegs als Duo Campanula ist ihr Engellied eine schöne Zusammenfassung ihrer Musik. Zwei Musikerinnen falten zwei Temperamente aus, die hell und scharf klingende Geige und die melancholischen Läufe und Akkorde verschiedener Örgeli, sie verwickeln die Töne ineinander, sie entfernen sich und spielen gegeneinander, sie springen miteinander um die Wette, die eine führt die Melodie, die andere setzt den Rhythmus darunter, oft das Örgeli, immer wieder die Geige. Welch spielerische Freude! 13 Stückli, 13 Variationen der beschwingten Freude – Mazurka, Walzer, Gigue, freie Fantasie der Töne ohne Bindung an die Traditionen der Volksmusik zwischen den Alpen, Finnland und Irland. Zuhör- aber auch Tanzmusik. Anita Dachauer und Lisa Travella haben gelernt, ihre Instrumente nicht nur zu spielen, sondern auch zu bauen. Und ihr Duo-Name hat wohl einen Hauch Absicht – die Campanula ist eine Pflanze mit Heilkraft. Wer Halsweh hat, der kann aus ihrer Blüte Tee machen. Und so erforscht Anita Dachauer zurzeit nebst dem Herstellen des Klangs auch die heilende Kraft der Musik; nicht nur Freude sollen Engelstöne machen, sondern auch Gesundheit stiften. Köbi Gantenbein

Duo Campanula
Fiddelgüggs

www.duo-campanula.ch

Im Rhythmus von Alp und Autobahn

Ansaugen, verdichten, arbeiten und ausstossen. Dabei macht die Kurbelwelle zwei Umdrehungen – so funktioniert der Viertaktmotor. Er ist die Essenz unserer Lebensform. Ob der Aebi-Traktor auf der Alp oder der alte Porsche auf der Autobahn, beide fahren im Viertakt-Rhythmus. Endlos. Aber auch ein Hackbrett, Bass, Cello und Akkordeon können Töne ansaugen, sie verdichten, mit ihnen arbeiten auf weiten Ausflügen in die Klangwelt und sie schliesslich ausstossen zu zauberhafter und vielseitiger Musik. Nayan Stalder, Laurin Moor, Kaspar Eggimann und Raphael Heggendorn heissen die Traktor- und Porschefahrer. Sie schöpfen auf ihrer CD «Siebesiech» aus dem Groove des strengen Viererrhythmus, vermischen ihn mit dem Dreiertakt, scheuen Synkopen nicht, brausen über die Autobahn und knattern dem Hang entlang. Der gemeinsame Nenner ihrer Musik wird vom Hackbrett betont – Volksmusik aus dem Alpenraum, aus Osteuropa, aus aller Welt. Und wir freuen uns hörend, was der Groove mit singender Musik zu tun hat, und wie wichtig der sichere Takt ist, über den diese vier Musikanten traumwandlerisch verfügen. Köbi Gantenbein

Viertaktmotor
Siebesiech

Live aufgenommen im Restaurant «Heitere Fahne» in Wabern
Narrenschiff 2022

www.viertaktmotor.ch

Wie im Zirkus

Helvetikuss ist die Musik zum «Circus Lapsus Helveticus», einem turbulenten Zirkus mit dem Komikerduo Lapsus. Und so klingt sie auch: ein Graus für ohrensteife TraditionalistInnen, aber oft überraschend, vielfach kreativ, fast immer lustig und immer unterhaltsam. Eine wilde Show mit Anspielungen auf alle Seiten: Mag die Songline Jodel und Tänze umschnüren, verknopfen sich Jazz und Balkanmusik dazu. Das alles wird humorös leicht vorgetragen, die zehn MusikerInnen sind Artisten. (gh)

Helvetikuss

Landtwing Music 2021

www.mathiaslandtwing.ch

Virtuos und gut

Zum neuen Jahr begrüsst euch hier

Ein Virtuos auf dem Klavier

Er führ’ euch mit Genuss und Gunst

Durch alle Wunder seiner Kunst.

In 15 Bildern führt der Zeichner Wilhelm Busch vor, wie ein Pianist sein Klavier so bearbeitet, dass seinem Zuschauer Hören und Sehen vergeht. Vom «Silentium» geht es über die «Fuga del diavolo» bis zum «Finale furioso» und zum «Bravo bravissimo». Nur Niccolò Paganini war auf seiner Geige schneller, nur John Coltrane am Saxofon wilder oder beides zusammen die Kapelle «Gläuffig». Mathias Landtwing, Klarinette, Fränggi Gehrig, Handorgel, Lukas Gernet, Klavier, und Primin Huber, Kontrabass, sind die Virtuosen. Sie führen Tempo und Technik vor, als wollten sie jede und jeden und sich selber täglich einmal überbieten. Wie das geht, können wir auf der CD «Gesellenwanderung» hören: Durch 14 Stückli vom Schottisch über den Choral, den Walzer bis zum Klezmer brettern die vier Gläuffigen. Dann und wann sagen Musikanten, deren Finger nicht so gläuffig über die Klappen und Saiten rasen können: «Virtuos sind sie, Hochleistungssportler halt, aber musikalisch?» Landtwing & Co. zeigen musikalische Grösse, so wie es der Jazzer Charlie Parker konnte oder Ritchie Blackmore auf seiner Gitarre, die er fürs Tempobolzen mit der Rockkapelle «Deep Purple» eigens bauen liess. Alle sind sie virtuos – und musikalische Wundertüten – rührend und schön. (Köbi Gantenbein)

Gläuffig

Gesellenwanderung

Phono Vertrieb 2021

www.glaeuffig.ch

Den Kühen schäumt die Milch über

Keine Löcher, Ventile oder Klappen, um den Luftstrom zu lenken; keine Mechanik, um das Schallrohr zu kürzen oder zu verlängern; keine Saiten kann man drücken – nur übers Mundstück die Luft formen und hoffen, es töne – das ist das Alphorn. Wer als Kind viel übt, bringt im Alter 20 Töne aus ihm hervor, wovon ein paar so schräg dissonant tönen, dass sie den Wohlklang gewohnten Ohren wehtun. Und schwierig ist es, mit einem Alphorn ein Duett mit der Klarinette zu spielen oder gar ein Wälzerli mit Kapelle, denn es ist so gestimmt, dass es nur in ungewohnter und also schwieriger Tonart klappt. So bleibt das Alphorn lieber allein oder unter seinesgleichen. Vielleicht ist es wegen solch eigensinniger Beschränktheit das Schweizer Instrument schlechthin? Aber wer einmal einen Ton herausbringt, der ahnt den verzaubernden Klang und er übt und übt und weiss, dass er seinen Ton im hohen Alter fünf Kilometer weit durch die Landschaft reisen lassen wird. Und dazu hört er das Ensemble Hornroh, mit dem Jennifer Tauder, Balthasar Streiff, Michael Büttler und Lukas Briggen das Alphorn und den Büchel zum Klingen bringen. «Eigenbräu» heisst ihre neue CD mit 17 Stückli – auch sie haben nicht mehr als die beschränkte Reihe an Naturtönen und bringen die zu viert aber so zueinander, als wäre es eine Klaviatur. Virtuos können sie das Geheimnis des Alphorns – den singenden Rhythmus. Und ja – das Heimweh nach der Alp tönt mit. Ich höre ihnen zu und stelle mir vor, wie sie auf einer Felsnase stehen und so blasen, dass den Kühen vor Freude die Milch überschäumt. (Köbi Gantenbein)

Hornroh

Eigenbräu

Verlag Zytglogge 2021

www.hornroh.ch

Party

Christine ist fünfundsechzig. Doppelbock ist zwanzig. Wir gratulieren! Als Gschänggli kaufen wir ihre neue CD Froh & Roh. Wer am Fest dabei sein wird, kann sich auf Kunterbuntes freuen: Märschli, Zäuerli, Jodellied und Jodelblues, Folkpop, Liederperlen, auch ein Gstanzln, Jutz und Tanz. Dabei wärmt der Gesang von Christine Lauterburg das Herz und gruselet den Rücken runter. Das Guggisberglied ist treibender Punk. Doppelbock ist die sympathisch rhythmische Pflege alten Liedguts abseits der Folklore, gespielt von ebenso sympathischen Freunden, die ungehemmte Freude am Musizieren haben. gh

Froh & Roh
Doppelbock mit Christine Lauterburg


Narrenschiff 2021
www.narrenschiff-label.ch
www.doppelbock.ch

Visionen

Ala Fekra – das ist die musikalische Fusion der Schweizerin Patricia Draeger und der ägyptischen Musiker Yamen Abdallah und Amr Darwish. Schon nach wenigen Takten des ersten Tracks verwandelt sich der schneebedeckte Linsenberg, auf den ich blicke, in die orientalische Inkarnation eines Berges und wird zur Düne, über die im Tanzschritt eine Kamelkarawane schaukelt. Die orientalischen Klänge sind für mein Ohr durchaus herausfordernd und ich merke, dass es dann doch eher die Akkordeonklänge und ein leichtes Schuhplatteln (Track 8) sind, bei denen ich mich «heimisch» fühle. Schön finde ich, dass mir zwar klar ist, dass hier echte Virtuosen am Werk sind – sie’s aber nicht raushängen lassen. Diese Musik hat keinen Kaffeehauscharakter, sondern fordert Aufmerksamkeit. Dafür birgt sie definitiv das Potenzial, alte Ausblicke mit neuen Visionen zu füllen. js

Ala Fekra

Narrenschiff 2020
www.narrenschiff-label.ch

Bis das Echo verebbt

Obwohl mit dem Alphorn eng verwandt (weswegen sich seine tonalen Möglichkeiten ebenfalls auf die Naturtonreihe beschränken), dürften den Büchel nur wenige kennen. Zum ersten Mal begegnete ihm der Rezensent im Kultfilm «Ur-Musig». Wirklich dann einmal auf der Alp Obsaum. «Interessiärsch dü dich für Müsig, witt probiere?», fragte mich der Senn und marschierte mit mir zum nahen Aussichtspunkt hoch über Unterschächen. Dort blies er mir eine kurze Kostprobe. Fremdländisch, aber auch wieder seltsam vertraut mutete mich die an, ein wenig wie Alpsegen instrumental. Als das Echo verebbt war, liess mich der Senn mit dem Büchel allein … Ich übte verbissen. Bis er nach einer Viertelstunde wieder vorbeischaute und mir beschied: «So, jetzt müäsch heerä, süscht meinids in Ünderschächä na, der Obsäumer seig irrsinnig wordä.» Auf der CD findet ihr eine umfangreiche, 47 Miniaturen umfassende Sammlung verschiedenster Büchelmusik, wo ihr den Büchel solo, im Duett aber auch im «Call & Response»-Modus hören könnt. Jörg Wäspi

BüchelBox
Balthasar Streiff & Yannick Wey


Zytglogge Verlag 2020
www.zytglogge.ch
www.buechelbox.ch

 

Für Mit- und Nachspielende ist ein Notenheft erhältlich: BüchelBOX Mülirad-Verlag, Altdorf 2020
www.muelirad.ch

Hey John!

«Hey John, du schickst mir pro Jahr mindestens drei neue CDs, die sich nach fünf anfühlen, so knorplig sprudelig vielschtruppig sind deine Projekte. Hab Erbarmen mit dem Rezensenten! Meinst du, ich habe nichts anderes als John-Wolf-Brennan um die Ohren? Okay, wir wählen «Mountain Songlines». Da hämmerts mir am meisten «Berg» ums Ohr – und am Berg muss sich einer abrackern, um in die zalp zu kommen. Wenn ich dich und das CD-Cover recht verstehe, dann hast du dein Klavier für einige Kompositionen über den Horizont geschoben – Chapeau für diesen Muskelaufwand. Zudem ist bei Pago Libre der Käse bereits einverleibt: No Folklorekitsch, it’s TsCHÄSs! Du bist ein Johndampf in allen Felsbrocken, da gibt es Überraschungen. Mal brauscht eine Lawine zu Tale, mal holpert da und dort ein Stein. Mal lyrt das Waldhorn, mal jazzt das Alphorn. Mal geht der Jodel quer, mal die Songline kreuz. Hey John, dieses Werk ist euch wahrlich farbenreich und vielschichtig gelungen, du kannst mal Pause machen.» gh

Pago Libre
Mountain Songlines

Leo Records 2020
www.leorecords.com
www.pagolibre.com

Qreuz und kwer

Ein Cello, zwei Schwyzerörgeli, ein Sopransax, ein Waterphone, der Albin und die Kristina. Alles Eigenkompositionen. Albin Brun hat dem Schwyzerörgeli die Melancholie beigebracht, da passt Kristinas Cello dazu. Die Instrumente werden qreuz und kwer eingesetzt und die Stückli laden ein, von Gipfel zu Gipfel zu hüpfen, ein Ringeltänzli zu drehen, am See entlang zu schlendern, einem Bussard nachzuschauen, einen tiefsinnigen Gedanken zu spinnen. Heimelige Melodien ohne Heimattümelei, Schweiz ohne Bratwurst und Zeltplanegestank. Doch manchmal sind die komplexen Melodien und Rhythmen Bruns so perfekt gespielt, dass die doch leichtfüssige Musik etwas akademisch klingt. Wir raten daher, Konzerte zu besuchen. gh

MIDNANG
Albin Brun & Kristina Brunner


Eigenvertrieb 2020
www.albinbrun.ch
www.evelyn-kristina-brunner.ch

Kinderfreude

Wer kennt nicht die Fränzlis da Tschlin? Wie sie hüpfen, springen, tirilieren, fabulieren und spielen, als gäbe es keine Grenzen, seit über dreissig Jahren. Und nun dies: Sie singen. Die Fränzlifrauen wie die Nachtigallen, die Fränzli-Väter und der Fränzli-Onkel als Heldenbariton und Matadorenbass. Und mit ihnen Corin Curschellas. 55 «Chanzuns rumantschas per uffants» haben sie zusammengestellt zu einem reichen Spiegel der Volksmusik aus Romanisch Graubünden. «Dai & Hop!» heisst die CD. Neben der Musik fasziniert mich die Ideologie dieser Suite der Kinderkunst. Das behütete Kind wurde vom städtischen Bürgertum im 19. Jahrhundert erfunden. Erst die revidierte Bundesverfassung von 1874 hat Kinderarbeit eingeschränkt. In den Alpen galt sie noch fünfzig Jahre später als normal. Das Kind als Musik- und Kunstprojekt ist eine neumodische Erfindung. «Chanzuns rumantschas per uffants» sind für mich so auch ein Trost. Neben den harten Lebensbedingungen der Kinder in der Generation noch unserer Eltern, neben den Verdingkindern und den Kindern der Landstrasse, neben den auf den Alpen als Knechtli und Batzger ausgebeuteten Buben soll es auch die singenden Kinder gegeben haben, und gab es sie nicht, so stelle ich mir vor, es hätte sie gegeben. Köbi Gantenbein

1, 2, 3! Dai & Hop!
Corin Curschellas und Ils Fränzlis da Tschlin


R-Tunes 2020
www.fraenzlis.ch
www.corin.ch

Zwei Klangpoeten

Seit fast fünfzig Jahren spielt Töbi Tobler Hackbrett. Als er die Schlägel schon virtuos über die Saiten tanzen liess, kam der Bassist Patrick Sommer zur Welt. Die zwei haben nun eine namenlose CD eingespielt. Besser – ihre Namen «Töbi Tobler Patrick Sommer» allein stehen für die zauberhafte Musik, die wir darauf hören. Sie ist die Summe von zwei Lebensfäden in elf Stücklein. Alle sind sie Etüden, wie die Muster ihrer Instrumente andersherum probiert werden können im Spiel zu zweit. So beginnt der Bass mit der Melodie, dann übernimmt das Hackbrett, und während sich Tobler in den zarten Klanggemälden verliert, was kaum ein Instrument so kann wie seines, singt Patrick Sommer mit dem Bass die Weise. Das In-, Mit- und Auseinander dieser malerisch-melancholischen Musik ist ein Hör- und Sinnesvergnügen. Schön auch, wie hier zwei Wege der Karriere von zeitgenössischen Musikanten zu einem Duo finden: der eine als Autodidakt, wie es in den siebziger Jahren Brauch war; der andere als Absolvent der Musikhochschule, wie es in den neunziger Jahren Sitte wurde. Köbi Gantenbein

Töbi Tobler
Patrick Sommer


www.toebitobler.ch
www.patricksommer.net

Steirische Orgel mit Streichertutti

Die Handorgel brachte im 19. Jahrhundert endlich etwas Effizienz in die Tanzmusik. Ein Wirt musste kein Quintett mehr holen und verköstigen, sondern der Handorgler spielte für fünf zu einem Lohn. Herbert Pixner kehrt die Geschichte mit seiner «Alpensymphonie» nun um. Der Südtiroler Virtuose an der diatonischen oder steirischen Harmonika, wie die grosse Schwester des Schwyzer Örgelis ausserhalb der Schweiz heisst, fährt das ganz grosse Drama auf. Er sitzt mit seiner Orgel umringt von den Berliner Symphonikern und seinen Musikanten. Mit diesem Riesenapparat schwelgt er durch Klangmeere und Tonstürme. Ich wähne mich in einem Abenteuerfilm, in dem der Aufstieg und Niedergang von Ben Hur, Ludwig XIV und Napoleon im Multipack mit Gitarrenhall, Streichertutti und Paukenwirbel gefeiert wird. «Symphonic Alps live» nennt Herbert Pixner aus Meran sein Tournee-Grossunternehmen. Das weist erstens darauf hin, dass seine Musik vor allem von Bühnenpräsenz und -spektakel lebt. Und zweitens, wie dehnbar und offen Volksmusik aus den Alpen geworden ist – Flamenco, Rock ‘n’ Roll, Blues, Alpenschlager, Manouche, Deep Purple, Johann Strauss und Brahms – alles gut für eine Collage. Da haben Polka, Schottisch, Galopp und Mazurka keinen Platz mehr – und die steirische Handorgel ist auch ganz einsam im Tongewitter. Köbi Gantenbein

Herbert Pixner Projekt meets Berliner Symphoniker
Symphonic Alps Live

Doppel-CD

Three Saints Records 2020
www.threesaintsrecords.com

Lab statt Space

Mit Alphorn, Stromgitarre und Elektronik den alpinen Raum ausloten, das wollen Mike Maurer und Jan Trösch. Das klingt verwegen, also probiere ich es aus. Aufgrund fehlender Felswände lasse ich die Musik in die Stube tröpfeln, erst leise sich an den Hauswänden entlangschmiegen, dann reize ich den Volumeregler aus, bis dass die Boxen ruckeln und mein Zwerchfell pocht. Hm. Hm. Sauber gespielt, die Gitarre sägt kräftig an den Alphornklängen, die Loops schlängeln sich unverschämt dazwischen. Aber der alpine Raum will sich mir nicht öffnen. Der Groove fehlt, der Swing fehlt, die Lawine, die Geröllhalde, der Miststock fehlen. Alles klingt mehr nach Lab als nach Space. Gut möglich, dass es nur mir so geht, so nehmt selber einen Schnupf: www.alpine-spacelab.ch. gh

Alpine Spacelab:
Transalpin


Alpine Spacelab 2016
www.alpine-spacelab.ch

Abhängen und mitklingen

Da greift einer in die Saiten und in die Schuhschachtel traditioneller Schweizer Folksmusik, interpretiert Ländler, Walzer, Tänze, auch mal einen Bättruef auf der klassischen akustischen Gitarre, auf der Laute, auf dem Trümpi oder auf der Stahlsaitengitarre im Bottleneck-Stil. Harmonisch, ruhig, swingend, feinsinnig. Musik zum abhängen und mitklingen. Wem die Stimme fehlt, kann gerne mitsummen. gh

Christoph Greuter:
Nämis Spille


Narrenschiff 2012
www.narrenschiff-label.ch

Unter der Schneedecke ist es warm

Während draussen die Schneeglöcklein bimmeln, drehen sich die Murmeltiere unter uns nochmals im Heubett. Ein guter Anlass sich die Kappe und den iPod über die Ohren zu ziehen und mit Max Lässer und seinem Überlandorchester eine weitere Runde unter der Schneedecke zu drehen. Die Stücke verbreiten eine leicht melancholische Stimmung, werden mal lüpfig, sind immer eingängig und lassen den Eisengel nochmals in die Hütte. Specialguest Hubert von Goisern. Gespielt und gesungen werden traditionelle Schweizer Tänze Richtung schneeschmelzender Pop. Coole Sache also für den Sommer: Für verschwitzte ÄlplerInnen ist das der richtige Abendausruhesound und im Keller werden die Käselaibe mitwippen. (gh)

Max Lässer & das Überlandorchester:
Iigschneit

 
Landjäger Musig 2011
www.maxlaesser.com

Der Kuh glänzende Augen

CD reinschieben, Alltag abschalten, Augen zukneifen und mit dem Überlandorchester durch die Berge ziehen. An der Hand mit den ewig schon urigen Alptonisten wie Markus Flückiger am Schwyzerörgeli, Dani Häusler an der Klarinette, mit dem sphärendurchklingenden Töbi Tobler am Hackbrett und Anton Bruhin mit seiner unglaublichen Maultrommel. Zusammengetrieben vom Orchesterführer Max Lässer, der Gitarre spielt, als wäre der Blues am Arschloch eines Schweizer Bergtales erfunden worden. Alles virtuos, wohlgefällig, anheimelnd und grenzenlos hügelüberschreitend.

Dazu gibts gratis eine DVD vom Konzert im Casino Herisau. Da bekommt die Kuh glänzende Äuglein. gh

Max Lässer & Das Überlandorchester:
Überländler

 
www.maxlaesser.com

Austria Alpen Pop

Hubert von Goisern zählt seit Jahren zu den Aushängeschildern des Austria-Alpen-Pop. Mit seinem wunderbaren Dialekt, seiner früheren ungestümen Begleitband «Die Alpinkatzen» und seiner Lust am Musizieren, Singen und Experimentieren hat er sich im ganzen deutschsprachigen Alpenraum einen Namen gemacht. Nun hat er sich auf seiner neusten CD an traditionelles Liedgut gewagt. Behutsam, schön, ehrlich, nachdenklich, ernst und doch frisch, von Herzen kommend. Die ebenfalls empfehlenswerte Vorgänger-CD «Fön» zeigt uns einen anderen Hubert von Goisern, mit bissigen Texten, kunterbuntem Instrumentenmix und viel, viel Spielfreude. (Urs Baumgartner)

Hubert von Goisern:
Trad ll

www.hubertvongoisern.com

Bauer on CD

Eine CD von einem ehemaligen Hirten, der zum Bauer wurde. «High-Two» bringt die Gedanken von Armin Capaul gut ins Ohr. Eine Stunde mal etwas Lebendiges, Einfaches und Nachdenkliches aus den Lautsprechern tut doch immer gut. Unter den elf Titeln hat es sogar richtige Ohrwürmer. Und so wird der Hörgenuss zu einer Entdeckungsreise in die Welt der Ideen und Gedanken, die einem so sehr bekannt vorkommen. Die Lieder sind in Mundart und für die der Schweizer Sprache ungewohnten Zuhörer eine Wortschatzerweiterung besonderer Art. (Harald Satzer)

Armin Capaul:
High-Two


Kontakt: Armin Capaul
2742 Perrefitte
siehe auch www.arminmusik.cogia.net mit Hörprobe und Videoclip

Auf dem Markt

Ob quer oder Schnitt oder Querschnitt – alles passt zu dem Sampler vom Alpentöne-Festival 2019. Ein Schnitt mit der Machete durch den bunten Musikstrauss von über 50 Konzerten, ein Klangbouquet von aufrecht bis quer. Die Alptöne-Konzerte sind so etwas wie ein Flanieren über den Markt aktueller Alpin- und Neuer Volksmusik, man trifft alte Bekannte sowie unabsichtlich Ignorierte aus der Szene. Längst nicht alles alphornet von Schweizer Felswänden, ebenso geraten skandinavische, italienische und iranische Tonstücke ins Fondue. Auch wenn nicht alles gefällt, interessant ists allemal. gh

Alpentöne
Ein Querschnitt durch das Festival ’19


Alpentöne 2019
www.alpentöne.ch

Spriessende

Gepflanzplätzter Wildwuchs? Man hofft, dass man beim Hören nicht auf Rüebli-Ohrstöpsel zurückgreifen muss wie der säuerlich dreinblickende Kerl auf dem Cover. Nein! Nicht nötig. Lieber die Lauscher noch etwas weiter aufsperren. Der wild gewachsene Mix bedient sowohl Radio-Tell-Hörer als auch Tanzfüdlis und Freundinnen etwas abstrakterer Musik. Thomas Aeschbacher, Jürg Nietlispach und Simon Dettwiler wissen, wie viel Freude ein bunter Garten mit mannigfaltiger Flora bereitet, und so lassen sie gemeinsam mit ihren Gästen Dani Häusler (Bassklarinette), David Märki (Hackbrett) und Andreas Gabriel (Geige) ein Beet voller Diversität und liebevoller Details spriessen, ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen. ln

Pflanzplätz:
Wildwuchs


Narrenschiff 2018
www.pflanzplaetz.ch

3 x Pixner Projekt

Auf unserem Roadtrip durch die Rocky Mountains lassen mein Freund und ich uns das Album «Summer» vom Herbert Pixner Projekt in voller Lautstärke um die Ohren tschätteren und staunen über die unerschöpfliche Vielfalt der Stilrichtungen, die weniger aufeinanderprallen, als sich zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen. «Kannst du mal etwas leiser stellen?» «Häh? Verdammt gueti Musig, wart, ich stell mal etwas lauter.» «Ja es fägt, aber bald bricht das Akkordeon auseinander und die Rocky Mountains wackeln schon.» «Gell geil, wie der Pixner an der Handorgel zerrt und die Heidi an der Harfe zupft. Play it loud!» «Hörst du mir überhaupt zu?» «Was sagst du? Bis mal still, ich will jetzt Musig lose! Jetzt wirds total lüpfig, gspürsch’s i dä Zechä?»

Das Herbert Pixner Projekt macht nicht nur gute Laune und warme Füsse in den Rocky Mountains, es hilft auch bei durchgeweichten Schuhen und durchwachten Nächten auf der Alp. Einzigartig hörenswürdig und im Dreierpack erhältlich. ln

Herbert Pixner Project:
Summer und Live on Tour

Special 2 Disc Edition

Three Saints Records 2016/2017
www.herbert-pixner.com

Stubete am See

Wer die ProtagonistInnen des noch etwas zweifelhaften Überbegriffs «Neue Volksmusik» sehen, hören und kennen will, pilgert jahresabwechslungsweise ans Festival «Alpentöne» in Altdorf und an die «Stubete am See» in Zürich. Das «Wer» sind aber nicht wir ÄlplerInnen, denn beide Veranstaltungen finden statt, wenn wir dem Vieh vorjodeln oder hinterherschreien, nämlich zmittst im Sommer. Erbarmen mit uns hat Musiques Suisses, das Label des Migros-Kulturprozents. Es presst und komprimiert quergeschnitten durch alle Musikantenformationen das live Gespielte auf eine CD-Scheibe zum Nachhören. Für die Stubete 2016 sind es 72 Stunden Ohrsausen, Herzgümperlen und Beinjucken, auf 80 Minuten eingedampft. Es spielen 19 Ensembles aus allen volksmusikangehauchten Sparten quasi extra für uns nochmals auf. Klar, dass einem nicht alles gefällt, aber auch nicht jede Kuh ist eine Lieblingskuh und trägt die klangvollste Glocke. Interessant ist das ganze Herdengeläute. gh

Stubete am See:
Festival 2016


Musiques Suisses MGB-NV 35
www.musiques-suisses.ch

Heimkommen

«Volksmusik!» klingt ein bisschen nach Back to the Roots, vom Titel wie auch von der Musik her. Flinke Finger sind wie immer beim Herbert Pixner Projekt garantiert, aber insgesamt tritt die Virtuosität zugunsten der Musikalität einen Schritt zurück. Auch Seitensprünge in die Sparten Jazz und Blues, wie sie Pixner noch auf den CDs «bauern_tschäss» und «Blus’n auf!» zelebriert hat, werden unterlassen. Es ist wie heimkommen: Traditionelle Musikstückli, schlicht, sensibel, feinsinnig gespielt. Die CD erscheint in einer genial handgemachten Hülle aus Ahornholz in einer limitierten Auflage von 3000 Stück, riecht gut, tönt gut. Wer eine hat, ist stolz und muss sie allen Freunden zeigen. gh

Herbert Pixner Projekt:
Volksmusik!

 
Three Saints Records 2016
www.herbert-pixner.com

Jung & Frisch

Jung und frisch, wer wollte das nicht sein, nicht haben, nicht hören. Die drei Frauen Katharina, Anna und Maria (im Alter zwischen 23 und 25 Jahren) graben sich auf der Steirischen Harmonika, Geige, Harfe und mit Gesang durch die traditionelle Tiroler Volksmusik. Alts und Nöis, fern von oberkrainerischer Verhunzung, sauber gespielt, das Herz und die Gemütlichkeit mit dabei. Ewig werden die Musikantinnen nicht jung bleiben, aber wenn die Frische bleibt … gh

Jung & Frisch:
Dia brauch mar nö


Three Saints Records 2015
www.jungundfrisch.at

Kontrolliert Unkontrollierbares

Acht Jahre mussten die Fans der Hujässler ihre altgeliebten CD-Scheiben durch den Player raffeln, aber jetzt gibts neues Futter. HujArt ist der hujässlerschen Tradition treu geblieben; die Hansdampfen klarinettblasen, klaviertasten, schwyzerörgelquetschen, basszupfen sich virtuos durch alle Gassen der Volks- und Weltmusik. In der Seele ihrer Musik steckt viel Klassik, Rock, Jazz, Pop, Schlager – auch wenn es sich in den Ohren und Beinen wie Volksmusik anfühlt. Oder wie es die Hujässler selber rund um ihre CD schreiben: «Vorsicht: Diese Kunstscheibe enthält Tonfolgen aus artgerechter und kontrollierter Instrumentalhaltung. Der Konsum aufeinanderfolgender Töne (Intervalle, Kadenzen usw.) kann Ihre Wahrnehmung nachhaltig beeinflussen und unkontrollierbare, emotionale Reaktion auslösen.» gh

Hujässler: HujArt
 
Hujgroup, Schwyz 2015
www.hujgroup.com
www.hujaessler.ch

Hast du mir was mitgebracht?

Jawohl! Vom Marktplatz Schweiz sind SULP mit einem Korb bunter Zutaten zurückgekehrt und haben daraus eine feine CD kreiert. Serviert werden 14 ganz unterschiedliche Instrumentalstücke, in denen sich traditionelle Schweizer Musik mit internationalen Elementen mischt. Mal klingt es nach Jazz oder Blues, dann nach orientalischen oder südamerikanischen Melodien und zwischendurch nach lüpfiger Ländlermusik, durch den Einsatz des Saxophons modernisiert. Als Beilage servieren SULP in einigen Stücken Gesang, der nicht überall gut passt (sie spielen besser, als sie singen). Das Tüpfelchen auf dem i sind die vielen Instrumente, auf denen virtuos gespielt wird – diese lassen sich leider nur erraten, denn Angaben dazu fehlen im Begleitheft. Insgesamt ein hörenswerter Ohrenschmaus. ab

SULP SwissUrbanLändlerPassion:
swiss market place

 
Zytglogge Verlag, Bern 2015
www.sulp.ch
www.zytglogge.ch

Ab die Post!

Schwyzerörgelimusig, die sägt und wuchert, die poltert und fägt. Mal urchig traditionell, mal widertäktig schräg und allzeit intelligent. Da mag sich manches ländlergewohnte Tanzbein in den kuriosen Rhythmen verheddern, aber mit dieser Musik macht sogar Straucheln Freude. Marcel Oetiker, der Multiquetschakrobat am Schwyzerörgeli, mit Robin Mark, Tausendheirassa am Schwyzerörgeli, sowie Pirmin Huber, Groovekatalysator am Kontrabass, spielen Eigenständiges und Kopiertes bekannter Volksmusikkomponisten wie Josias Jenny, Josef Stump und Kasi Geisser. Wer da noch hocken bleibt, dem wackeln zumindest die Arschbacken. gh

Kapelle Purzelbaum:
Heimlifeiss


Phonoplay 2013, PCD 7901
www.purzelbaum.org

Yodeling for heaven

Das gibt es nicht oft: Zwei Stimmen, die einem betören, bannen, verzaubern mit Liedern, bei denen man sich fragt, warum sie einem plötzlich gefallen. «Lueget vo Berg und Tal» und «Tarr i ned es Bitzeli» sind nicht meine Fünf-Sterne-Songs, aber Carmen Oswald und Flavia Vasella singen und jodeln in harmonischer und abwechselnd schräger Mehrstimmigkeit dermassen mit inniger Zuneigung und lustvoller Ironie entlang traditionellem Liedgut, dass einem am Ende eines solch langen Satzes die Worte wirklich ausgehen. Da weiss manche Träne nicht, ob sie der Wehmut oder dem Glück entspringt, aber die Freude ist immer dabei. Zauber eben. Müsterli? Schaut: gschwänd juiz (gh)

Carmen Oswald und Flavia Vasella:
duo edeldicht

 
Duo Edeldicht 2013
www.edeldicht.ch

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