
Den Kühen schäumt die Milch über
Keine Löcher, Ventile oder Klappen, um den Luftstrom zu lenken; keine Mechanik, um das Schallrohr zu kürzen oder zu verlängern; keine Saiten kann man drücken – nur übers Mundstück die Luft formen und hoffen, es töne – das ist das Alphorn. Wer als Kind viel übt, bringt im Alter 20 Töne aus ihm hervor, wovon ein paar so schräg dissonant tönen, dass sie den Wohlklang gewohnten Ohren wehtun. Und schwierig ist es, mit einem Alphorn ein Duett mit der Klarinette zu spielen oder gar ein Wälzerli mit Kapelle, denn es ist so gestimmt, dass es nur in ungewohnter und also schwieriger Tonart klappt. So bleibt das Alphorn lieber allein oder unter seinesgleichen. Vielleicht ist es wegen solch eigensinniger Beschränktheit das Schweizer Instrument schlechthin? Aber wer einmal einen Ton herausbringt, der ahnt den verzaubernden Klang und er übt und übt und weiss, dass er seinen Ton im hohen Alter fünf Kilometer weit durch die Landschaft reisen lassen wird. Und dazu hört er das Ensemble Hornroh, mit dem Jennifer Tauder, Balthasar Streiff, Michael Büttler und Lukas Briggen das Alphorn und den Büchel zum Klingen bringen. «Eigenbräu» heisst ihre neue CD mit 17 Stückli – auch sie haben nicht mehr als die beschränkte Reihe an Naturtönen und bringen die zu viert aber so zueinander, als wäre es eine Klaviatur. Virtuos können sie das Geheimnis des Alphorns – den singenden Rhythmus. Und ja – das Heimweh nach der Alp tönt mit. Ich höre ihnen zu und stelle mir vor, wie sie auf einer Felsnase stehen und so blasen, dass den Kühen vor Freude die Milch überschäumt. (Köbi Gantenbein)