Musik

Weltjodel

Volksmusig im Stil der Innerschweiz macht es vor – sie ist nicht mit einem Ort, sondern mit einer Zeit verbunden. Sie ist nicht auf dem Rütli, sondern im Zürcher Niederdorf erfunden worden. Das lernen wir, wenn wir «Youchz now» hören, die CD der Gruppe «Sooon», wo Sonja Morgenegg jodelt, John Wolf Brennan Klavier und anderes spielt und Tony Majdalani unterschiedliche Trommeln. Das Trio führt vor, wie juuzen, jodeln und holeien eine Welt- und Kunstsprache ist. Sie wird heute nicht im «Löwensäli» allein in Hochform gebracht, sondern mit hochgerüsteter Technik im Tonstudio fabriziert. Sie kommt nicht aus der Laune und von der Scholle, sondern erfordert hohes technisches Können und breite musikalische Bildung. Das Trio «Sooon» reist mit uns über mongolische Steppen, in französische oder irische Einsamkeiten, in arabische Tanzlokale und am Schluss ins Thurgau, das heiter und virtuos mit dem Johlen versorgt wird. Flott, wie Sonja Morgenegg dieses Singen einthurgauert, und wir können uns gut vorstellen, wie sie sich für den melancholischen «Sunneufgang Juuchz» vom Säntis her von einem Zäuerli der vereinigten Appenzeller Morgensänger hat anregen lassen. Kurz – die Musik von Sooon ist vergnüglich und reich, aber es ist strenge Zuhörmusik; wer nebenbei melkt, käst und die Kühe für die Vehschau striegelt, ist schon verloren. Köbi Gantenbein

Sooon:
Youchz now


Narrenschiff 2019
www.narrenschiff.ch

Die Leinwand aufspannen

Beim ersten Ohr voll quoll mir die Leinwand von Cinématique etwas über, zu viele Einfälle, Pointen, Rückblenden, zu häufiger Genrewechsel, zu facettenreich, zu sehr Geniestreich – dieser Story vermochte ich nicht zu folgen. Kein Wunder, beziehen sich doch die Musikkompositionen auf Regisseure wie Tarkowski, Fellini, Godard, nicht auf mir bekannte Bergfilme von Schnyder, Comencini und Murer. (Ich nehme an, alle wissen, wovon ich schreibe, Nostalghia statt Heidi.) Jetzt ist es so, dass ich zum Sonntagsbratenkochen gerne den Algorithmus shuffeln lasse. Welcher, aus was für Gründen auch immer, Cinématique bevorzugt durch die Boxen jagte. Oha, das klingt interessant, wer schmettert mir da den Berg in die Küche, kollert mir Steine in den Topf, säuselt mit dem Abendwind? Aha, Pago Libre, eingespieltes Team seit 30 Jahren. Und beim zweiten Ohr beginne ich zu begreifen, was das Alphorn stampft und lyrt, das Alperidoo gurrt (Arkady Shilkloper), die Geige schwirrt (Tscho Theissing), die Bässe bossen (Daniele Patumi und Georg Breinschmid) und das Klavier von John Wolf Brennan alles umgarnt, anspornt, ihm vorauseilt. Ich bin gespannt auf Ohr Nummer drei. gh

Pago Libre:
Cinématique 2.0


Leo Records 2019
www.leorecords.com

Singende Berggeistin

Wenn fremde Ohren mithören, kommt immer irgendwann die Frage: Welche Sprache wird denn da gesungen? Woher kommt das? Georgien? Texas? Israel? Alles gemischt? Wenn beim zweiten Tune die Stimme von Bettina Klöti plötzlich den Raum füllt, intelligent begleitet von fein arrangierten Instrumenten, staunt man weiter. Die Stimme ist frech, stark, manchmal überwältigend und erschaudernd. Lässt man sich von der Musik tragen, begibt man sich auf eine Reise durch bekannte und noch zu erfahrende Gefühle.

Bettina Klöti und Vera Kappeler interpretieren, verändern, mischen, spielen traditionelle Schweizer Liedmusik, eigene Kompositionen ergänzen den Bergerausch. Schweizer Volksmusik, schmackhaft, ergreifend und immer wieder überraschend tänzerisch – die Stimme einer Berggeistin, begleitet von Klavier, Harmonium, Toy-Piano, Banjo, Yamaha-Örgeli und Reisealphorn. mw

Bergerausch:
Nie ghört – Lieder aus der Schweiz


Narrenschiff 2018
www.narrenschiff.ch

Über die Heimat hinaus

Am Anfang bin ich mir nicht ganz sicher, ob beim ersten Lied tatsächlich die Ziege singt, deren Treichel man im Hintergrund hört. Nur wenig später, als der Jodel eine Oktave abtaucht, klärt sich die Frage. Und ich staune, welchen Umfang die Stimme der Sängerin Isa Wiss abdeckt. Improvisationen und heimatliche Lieder singt sie mit eigentümlicher Wucht und Fülle, ihr Jazzgroove findet sich ausgezeichnet mit dem Saxophon von Albin Brun und dem flinken Akkordeon von Patricia Dräger. Den Kontrabass dazu macht Claudio Strebel. Während das heimatliche Motiv Bergsehnsucht weckt, öffnen die experimentellen Songs den Blick dafür, dass es da noch viel, viel mehr gibt. ln

Albin Brun Trio & Isa Wiss:
Lied.Schatten


Narrenschiff 2018
www.albinbrun.ch

Aus dem Hut zaubern

Manchmal sucht man nach dem einen Wort. Für die Musik von «got hard» müsste es ein grosses Wort sein, ein umfassendes, weitumspannendes, sowas wie kolossuniversovation, aber das klingt zu einseitig nach Muskeln, Weltall und einem Ei. Wobei das ei zumindest als Ingredienzien taugt: eingängig bis frei, heimisch bis heiter, mitreissend bis leidenschaftlich. Die Kompositionen von Megasassa John Wolf Brennan klingen wie frisch gerupftes Gras im Kauwinkel einer blöckenden Kuh, die auf dem Klauenstand Pirouetten dreht und einen Fladen wirft. Das liegt einerseits an den «old friends» Arkady Shilkloper, Christian Zehnder, Christy Doran, Patrice Héral und dem «Alpentöne Blasorchester», anderseits am hörbar freudig überrumpelten Publikum auf der Live-CD. «Got hard» ist aus dem Hut gezaubert intelligente und herzerstaunende Musik: Wild, lyrisch, groovy, orchestral. So tönt der Berg, wenn er tanzt. gh

pago libre & friends:
got hard


Leo Records 2018
www.leorecords.com
www.brennan.ch

Verbundenheit, die zündelt

Über eine halbe Stunde feinste Ohrenunterhaltung bietet das erste Duoalbum von Patricia Draeger und Albin Brun. Die zwei spielen seit Jahren in allen Sparten von Berg- und Weltmusik zusammen, ihre sorgsam eingesetzten Instrumente kräuseln virtuos um hüpfende und wehmütige Melodien. Dynamisches und feinfühliges Örgeli, präzises Sopransax und eine ordentliche Portion Passion schaffen in eingehenden Motiven zugleich fremde und vertraute Klänge. Der «Simelibärg-Tango» pimpt den vielgehörten Klassiker erfolgreich mit lateinamerikanischem Feuer, und auch die neun anderen Stücke entzücken durch Abwechslung und geniales musikalisches Können. Musig, wo chutzelet und chräbbälät. ln

Albin Brun & Patricia Draeger:
Glisch d’Atun

Narrenschiff 2016117, 2016
www.albinbrun.ch
www.patriciadraeger.ch

Hörnern

Wann eigentlich hört man Alphornmusik ab CD aus Boxen oder Kopfhörer? Alphörner gehören doch nach draussen in die Landschaft, ins Gebirge. Oder wenn schon drinnen, dann in weiträumige Hallen, Kirchen, Katakomben. Die Antwort ist kürzer als das Horn: Wenn keiner bläst. Aber wenn schon Alphorn ab CD, dann laut, mit teurem Kopfhörer oder bester Musikanlage, so laut, dass das Horn beim linken Ohr rein, beim rechten Ohr raus und umgekehrt durch den Kopf schallt. Das Quartett Alphorn Experience hat Schmetterboxen verdient. Drei Jahre schon hörnern die vier Mannen von Matten und Bühnen, entstauben respektvoll traditionelle Stückli, funken verteufelt virtuos mit jazzigen Tönen, wagen sich mit dem Alperidoo unerschrocken an neue Spieltechniken. Okay, Ähnliches machen andere Musiker auch, das Ausloten von Volksmusik und ihren Instrumenten zwecks Erweiterung der Hörgewohnheiten beim Eintritt in den Schallraum von Tradition und Moderne ist beliebt geworden. Trotzdem ist es schön. gh

Alphorn Experience:
Mikado


Alphorn Experience, Köniz 2016
www.alphornexperience.ch

Disco mit Örgeli

Sollten sich das Schwyzerörgeli und sein Gefolge vorgenommen haben, in Zukunft Teil der Tanzclubszene zu werden, so befinden sie sich mit «eigernordklang» vom Alpin Project auf dem besten Weg dazu. Zu bounzigen Beats von Dj Flink besingt Barbara Berger den Herrgott der

Alpen, bläst Balthasar Streiff seine Hörner. Hackbrettklänge von Christoph Pfändler und Thomas Aeschbachers sorgfältiges Schwyzerörgelispiel verleihen der Musik überdies bodenständige Eleganz. Die Fusion von Instrumenten, Tradition und Moderne präsentiert sich in bemerkenswerter Selbstverständlichkeit und fängt damit die Zeichen der Zeit genauso wie die Herzen junger heimatliebender, aber weltoffener ÄlplerInnen. ln

Alpin Projekt:
eigernordklang


Zytglogge Verlag, Basel 2015
CD ZYT 4971
www.alpinproject.ch

Hörner, Tasten, Stimmbänder

Was für Laien erst einmal klingt, als wäre Christian Zehnder gerade barfuss in einen Nagel getreten, ist in Wahrheit die hohe Kunst des Jodelns und des Obertonsingens, ausgeübt von einem grossen Meister derselben. Zehnder macht vor, was Stimme ohne Worte sagen kann, und vermengt diese zusammen mit den virtuosen Pianoklängen von John Wolf Brennan und den dumpfen Horntönen von Arkady Shilkloper zu anregenden Stücken, die einem in zurücklehnenden Momenten ein Lächeln aufs Gesicht zaubern können. Vor allem dann, wenn man heimlich versucht, auch mal solche Geräusche zu verursachen ... ln

Brennan, Zehnder, Shilkloper:
Dehei nöd dehei


www.brennan.ch

Der Wind säuselt allerorts

Albin Brun ist oft unterwegs, nicht nur am Pilatus, seinem Heimberg, auch auf den Lofoten, in der Bretagne, in Kairo, an der ligurischen Küste, in Weissrussland, in Namibia und in der Seebadi Luzern. An allen Orten säuselt der Wind ihm und seinem Schwyzerörgeli Musikalisches zu. Sein Foto- und Musikalbum «Wegmarken» nennt er selber «eine persönliche Volksmusik entlang der eigenen Biografie, in der sich ‹das Alpine› mühelos mit östlichen und südlichen Einflüssen verbindet». Das albinös brunsche Örgeli ist wohl eines der vollatmigsten und luftigsten im ganzen Land, egal ob der Sturm fegt, der Hagel prasselt, der Niesel wehmüetelet. Es kann dröhnend seufzen, leichtfüssig tanzen, kann flehend sinnieren, klangvoll poltern – ­alle Schranken von Jazz, Volks- und Weltmusik überfliegend. Albins langjährige Freunde Andy Gabriel, Marc Unternährer und Andy Aegerter an der Geige, der Tuba und den Drums schmieren massig Senf dazu. Hammerschön. ln

Albin Bruns NAH Quartett:
Wegmarken

 
Double Moon Records 2014
www.albinbrun.ch

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