Musik

Brun und Brunner: Innerland

Vergnügt und heiter

«Vergnügt, heiter» steht auf dem Notenblatt und ich mühe mich redlich. Aber damit es vergnügt wird und heiter tönt, braucht es das einsame Handwerk, das die Zuhörerinnen und Zuhörer bestenfalls ahnen: jahrelanges Üben vorher, tägliches Üben fortan. Meisterin und Meister der vergnügten Heiterkeit sind Albin Brun, ein altgedienter Musikant am Saxofon und am Eichhorn-Schwyzerörgeli, und Kristina Brunner, am Ott-Örgeli mit 18 Bässen und am Cello, eine Musikerinnengeneration jünger. Seit Jahren sind sie im Duo unterwegs, «Innerland» heisst ihre CD, weil er aus der Innerschweiz, sie aus dem Berner Oberland kommt. Der Wortwitz hat aber mit der Musik wenig zu tun, die zwei vermischen keine regionalen Traditionen, sondern fliegen mit ihren 13 Stückli durch die Klänge der Welt – poetisch, wohlklingend und wohltuend. Duett, dann ungewohnt Saxofon als Trommel und Cello als Gesang. Die CD verschwindet allmählich im Internet, das ist wohl der Lauf der Welt; damit verlieren wir aber, was in «Innerland» gut geraten ist: Das schöne Cover, hier hat es Thomas Küng mit einem geheimnisvollen Kunststück in brauner, grauer, weisser Farbe gestaltet. Köbi Gantenbein

Albin Brun & Kristina Brunner
Innerland

www.albinbrun.ch

Sonja Morgenegg: Wildjodel

Mitschwingende Arvenzäpfler

Sonja Morgenegg hat eine breite musikalische Ausbildung und ist als Sängerin solo sowie in verschiedenen Kombos unterwegs. Dabei schlägt ihr Herz vor allem für den Jodel und den Wildjodel, seit ihrer Kindheit ihre Art, sich mit der ur-eigenen Stimme auszudrücken. Dies kann mensch auch in Kursen bei ihr lernen.
Über den Wildjodel sagt die Thurgau­erin: «Für mich ist es der Jodel, der aus dem Moment entsteht. Frei, ungebändigt und frisch. Er ist geprägt durch deine Stimme, deine Welt an Melodien und das Umfeld, wo du dich gerade befindest.» Aus diesem Spirit ist die Wildjodel-CD entstanden – mit 15 Eigenkompositionen und drei arrangierten Werken, teils von archaischen Instrumenten wie Didgeridoo und Rahmentrommel begleitet. In der Vielfältigkeit der CD ist für jede:n Hirt:in etwas dabei, was die Seele mitschwingen lässt. «Sunneaufgang Jüüzli» und «Spinnerinnen Jodel» werden im nächs­ten Alpsommer zu Morgentee oder Abendarvenzäpfler in meiner Alp­hütte erklingen. Jo Schönfelder

Sonja Morgenegg
Wildjodel

www.sonja-morgenegg.ch

Prättigauer Power: Hengert

Lob der Musikschule

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben 23. September 2012 mit fast drei Viertel Ja-Stimmen dem «Bundesbeschluss über die Musikförderung» zugestimmt. Der Bassgeiger Philip Joos und die Örgelispieler Lukas Joos, Laurin Aebli und Andri Jost aus dem Prättigau lagen noch in den Windeln, als wir Alten eine über Jahre aufgebaute Errungenschaft gesetzlich befestigt haben: Musik gehört zur Bildung wie Rechnen und Lesen. Was diese Erfolgsgeschichte bewirkt, zeigen die vier Buben mit ihrer Kapelle «Prättigauer Power» auf ihrer CD «Hengert». Auf den 18 Stückli führen sie vor, dass sie als Buben bald so gut und virtuos sind, wie es ihre Vorbilder Kilian Schnydrig, Res ­Schmid oder Rees Gwerder erst im gesetzten Alter waren. Die vier Buben haben, kaum auf den Beinen, mit Musik und Musikunterricht begonnen. Sie turnen und johlen nun als Coverband durch die Tradition der Ländlermusik, wagen sich gar an eigene Komposi­tionen, so die halsbrecherische Polka «Kei ­Ahnig». Doch, doch, doch, die vier Buben haben schon allerhand Ahnig. Köbi Gantenbein

Prättigauer Power
Hengert

Qultur Records, Grüsch

Zugluft Etual

Zugluft mit Tomaten

«Etual» heisst eine Tomate aus Kasachstan. Wohl haben Andrea Kirchhofer, Geige, und Bruno Strüby, Bassklarinette, vom Duo Zugluft in die blassroten, süssen Mocken gebissen, ihre neue CD heisst wie die Tomate. Wie das kasachische Gemüse den Gaumen, so fordern sie mit ungewohnten Klängen die Ohren heraus. Der eine beginnt mit dem Rhythmus, die andere legt die Melodie darüber, sie wechseln die Aufgaben ab, dann legen sie sie zusammen, werden eine stampfende Taktmaschine, lösen sich und tirilieren und brummen, zwitschern und krächzen durcheinander. 12 Stückli bietet «Etual». Von Klezmer, der Musik der schon lange vernichteten jüdischen Kultur in Osteuropa, über Galopp und Mazurka, wie sie die Appenzeller Musikantinnen so schön können, hin zu Toncollagen im «alten Sägewerk». Hier ächzt, brummt und quietscht es. Tanzen kann man schwer dazu und Zeitung lesen nicht – zuhören aber und sich freuen, wie Zugluft Durchzug macht im Kopf mit all seinen abgelagerten Klängen. Köbi Gantenbein

Zugluft
Etual

www.zugluft.net

Albedo – Musik zur Klimakrise

Die Albedo ist das Mass, in dem eine Oberfläche Sonnenstrahlen reflektiert – Schnee hat eine Albedo von 0,9, wirft also fast alles Licht zurück, Wald hat eine von 0,05. Die Albedo ist in den letzten Jahrzehnten um bis zu acht Prozent gesunken. Klimawissenschaftler nehmen das als Zeichen für die Klimakatastrophe – je weniger Rückstrahlung desto mehr Weltuntergang. Doch so streng wie die mathematisch-physikalischen Bestimmungen der Kosmologie sind die der Musik keineswegs. Die sieben Blasmusikanten der Kapelle «Federspiel» vertrauen dem schön weichen Klang des Wortes «Albedo», sie fliegen aus zu Bildern und Stimmungen, zu Dunkelheit und Trauer, zu Licht und Zuversicht. Choräle in allen möglichen Konstellationen und Farben, immer wieder mit Dämpfer gespielte Trompeten, schmelzende Balladen aus der Trompete und bei aller Lust zum vollen Gebläse immer Rücksicht, damit die Klarinette nicht verloren geht – das stimmt diese Blechmusik fein und virtuos. «Federspiel» bedient sich bei der Blechmusik der Schützen, bei den Beständen der grossen Opern, von denen ja die meisten kräftige Blechmusik brauchen, wenn der Held über die Bühne reitet, und die Musikanten erfinden freilich viele eigene Klänge. Ganz trüb ist die Welt trotz der abnehmenden Albedo nicht – ein Wiegenlied schliesst als zehntes Stückli die CD ab, komponiert von einem Federspieler, der träumte Vater zu werden und es schliesslich geworden ist. Köbi Gantenbein

Federspiel
Albedo

o-tone music 2022

www.o-tonemusic.de
www.feder-spiel.net

Zwei Engel auf Erden

«Zwei Engel uf Ärdä» – ob das Stücklein auf ihrer neuen CD «Fiddelgüggs» ihr Selbstbild ist? Heiter und ironisch gebrochen zwar, aber immerhin: Anita Dachauer, Schwyzerörgeli und Jodel, und Lisa Travella, Geige. Zusammen unterwegs als Duo Campanula ist ihr Engellied eine schöne Zusammenfassung ihrer Musik. Zwei Musikerinnen falten zwei Temperamente aus, die hell und scharf klingende Geige und die melancholischen Läufe und Akkorde verschiedener Örgeli, sie verwickeln die Töne ineinander, sie entfernen sich und spielen gegeneinander, sie springen miteinander um die Wette, die eine führt die Melodie, die andere setzt den Rhythmus darunter, oft das Örgeli, immer wieder die Geige. Welch spielerische Freude! 13 Stückli, 13 Variationen der beschwingten Freude – Mazurka, Walzer, Gigue, freie Fantasie der Töne ohne Bindung an die Traditionen der Volksmusik zwischen den Alpen, Finnland und Irland. Zuhör- aber auch Tanzmusik. Anita Dachauer und Lisa Travella haben gelernt, ihre Instrumente nicht nur zu spielen, sondern auch zu bauen. Und ihr Duo-Name hat wohl einen Hauch Absicht – die Campanula ist eine Pflanze mit Heilkraft. Wer Halsweh hat, der kann aus ihrer Blüte Tee machen. Und so erforscht Anita Dachauer zurzeit nebst dem Herstellen des Klangs auch die heilende Kraft der Musik; nicht nur Freude sollen Engelstöne machen, sondern auch Gesundheit stiften. Köbi Gantenbein

Duo Campanula
Fiddelgüggs

www.duo-campanula.ch

Im Rhythmus von Alp und Autobahn

Ansaugen, verdichten, arbeiten und ausstossen. Dabei macht die Kurbelwelle zwei Umdrehungen – so funktioniert der Viertaktmotor. Er ist die Essenz unserer Lebensform. Ob der Aebi-Traktor auf der Alp oder der alte Porsche auf der Autobahn, beide fahren im Viertakt-Rhythmus. Endlos. Aber auch ein Hackbrett, Bass, Cello und Akkordeon können Töne ansaugen, sie verdichten, mit ihnen arbeiten auf weiten Ausflügen in die Klangwelt und sie schliesslich ausstossen zu zauberhafter und vielseitiger Musik. Nayan Stalder, Laurin Moor, Kaspar Eggimann und Raphael Heggendorn heissen die Traktor- und Porschefahrer. Sie schöpfen auf ihrer CD «Siebesiech» aus dem Groove des strengen Viererrhythmus, vermischen ihn mit dem Dreiertakt, scheuen Synkopen nicht, brausen über die Autobahn und knattern dem Hang entlang. Der gemeinsame Nenner ihrer Musik wird vom Hackbrett betont – Volksmusik aus dem Alpenraum, aus Osteuropa, aus aller Welt. Und wir freuen uns hörend, was der Groove mit singender Musik zu tun hat, und wie wichtig der sichere Takt ist, über den diese vier Musikanten traumwandlerisch verfügen. Köbi Gantenbein

Viertaktmotor
Siebesiech

Live aufgenommen im Restaurant «Heitere Fahne» in Wabern
Narrenschiff 2022

www.viertaktmotor.ch

Wie im Zirkus

Helvetikuss ist die Musik zum «Circus Lapsus Helveticus», einem turbulenten Zirkus mit dem Komikerduo Lapsus. Und so klingt sie auch: ein Graus für ohrensteife TraditionalistInnen, aber oft überraschend, vielfach kreativ, fast immer lustig und immer unterhaltsam. Eine wilde Show mit Anspielungen auf alle Seiten: Mag die Songline Jodel und Tänze umschnüren, verknopfen sich Jazz und Balkanmusik dazu. Das alles wird humorös leicht vorgetragen, die zehn MusikerInnen sind Artisten. (gh)

Helvetikuss

Landtwing Music 2021

www.mathiaslandtwing.ch

Virtuos und gut

Zum neuen Jahr begrüsst euch hier

Ein Virtuos auf dem Klavier

Er führ’ euch mit Genuss und Gunst

Durch alle Wunder seiner Kunst.

In 15 Bildern führt der Zeichner Wilhelm Busch vor, wie ein Pianist sein Klavier so bearbeitet, dass seinem Zuschauer Hören und Sehen vergeht. Vom «Silentium» geht es über die «Fuga del diavolo» bis zum «Finale furioso» und zum «Bravo bravissimo». Nur Niccolò Paganini war auf seiner Geige schneller, nur John Coltrane am Saxofon wilder oder beides zusammen die Kapelle «Gläuffig». Mathias Landtwing, Klarinette, Fränggi Gehrig, Handorgel, Lukas Gernet, Klavier, und Primin Huber, Kontrabass, sind die Virtuosen. Sie führen Tempo und Technik vor, als wollten sie jede und jeden und sich selber täglich einmal überbieten. Wie das geht, können wir auf der CD «Gesellenwanderung» hören: Durch 14 Stückli vom Schottisch über den Choral, den Walzer bis zum Klezmer brettern die vier Gläuffigen. Dann und wann sagen Musikanten, deren Finger nicht so gläuffig über die Klappen und Saiten rasen können: «Virtuos sind sie, Hochleistungssportler halt, aber musikalisch?» Landtwing & Co. zeigen musikalische Grösse, so wie es der Jazzer Charlie Parker konnte oder Ritchie Blackmore auf seiner Gitarre, die er fürs Tempobolzen mit der Rockkapelle «Deep Purple» eigens bauen liess. Alle sind sie virtuos – und musikalische Wundertüten – rührend und schön. (Köbi Gantenbein)

Gläuffig

Gesellenwanderung

Phono Vertrieb 2021

www.glaeuffig.ch

Party

Christine ist fünfundsechzig. Doppelbock ist zwanzig. Wir gratulieren! Als Gschänggli kaufen wir ihre neue CD Froh & Roh. Wer am Fest dabei sein wird, kann sich auf Kunterbuntes freuen: Märschli, Zäuerli, Jodellied und Jodelblues, Folkpop, Liederperlen, auch ein Gstanzln, Jutz und Tanz. Dabei wärmt der Gesang von Christine Lauterburg das Herz und gruselet den Rücken runter. Das Guggisberglied ist treibender Punk. Doppelbock ist die sympathisch rhythmische Pflege alten Liedguts abseits der Folklore, gespielt von ebenso sympathischen Freunden, die ungehemmte Freude am Musizieren haben. gh

Froh & Roh
Doppelbock mit Christine Lauterburg


Narrenschiff 2021
www.narrenschiff-label.ch
www.doppelbock.ch

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