Musik

Geschwister Küng, Seeleweemeli

Seelenmusik

Begonnen hat die Geschichte der Familienkapellen wohl mit den Bachs im 17. Jahrhundert. Die Mozarts sind dafür legendär. Im Jazz haben die Andrew Sisters und die Barry Sisters abgeräumt und in der Volksmusik der Clan der Kolleggers aus dem Albulatal und die Wasers aus dem Unterengadin. Deren Fränzlimusig führen die Familien Janett und Erni aus Tschlin weiter. Und im Appenzellischen sind seit dreissig Jahren die Geschwister Küng unterwegs. «Seeleweemeli» heisst ihre CD – Seelenwärmer sind in der Kleidermode Stricksachen, die, kommod über die Schultern gelegt, die Seele und das Gemüt kuschelig betten. Ein verführerischer Anspruch, wenn links und rechts die Welt wackelt – die Seele wärmen hier die Molltonarten, die die Musik aus den beiden Appenzell und dem Toggenburg tragen. Klänge, die wir mit Melancholie verbinden, kommen aus langsamen Rhythmen und aus den Geigen und dem Cello, die mit stark gestrichenen, lang anhaltenden Tönen ihre Weltklage dem Alpstein und dem Säntis mitteilen. «Äägelig» heisst das erste von dreizehn Stückli und eigen ist die Musik von Inner- und Ausserrhoden und dem Toggenburg ja wegen des Hackbretts und der Streicher. Niemand hat das. Die dreissig Jahre der Geschwister Küng drehen sich freilich auch um «d Frömdi» und «ds Heecho». Elegant weben Küngs das Fremde aus der Innerschweiz, ja gar aus Sizilien in ihr Appenzeller Häs, schöne, wohlklingende Tradition führen sie auf und dennoch – keine Musik aus der Schweiz hat diesen herzergreifenden Klang des Fernwehs nach den weiten Steppen im Osten von Europa – eine Atmosphäre, die auch die treffenden Schwarzweissbilder auf der CD-Verpackung mittragen. Köbi Gantenbein

Geschwister Küng
Seeleweemeli

eine Produktion von SRF2 Kultur

www.geschwisterkueng.ch

Herbert Pixner Projekt, From the Dark Side of the Alps

Evolution eines Projekts

Das neue Album des Herbert Pixner Projekts ist auf keinen Fall eines, das man mal eben nebenbei hören kann. Jedes Lied wirkt für sich allein und zeichnet vor unseren Augen eine Geschichte, ein Gemälde. Das Herbert Pixner Projekt kreiert eine Neuerzählung alter Alpensagen und bekannter Volkslieder wie «Signore delle cime». Scheinbar gegensätzliche Instrumente wie Harfe und E-Gitarre treffen aufeinander und schaffen die ganz grossen cineastischen Bilder. Die Musiker*innen verweben Altes, Dunkles, Sagenumwobenes mit Moderne, Weite, Verheissung, Schneekanonen und einer guten Portion Drama. (aw)

Herbert Pixner Projekt
From the Dark Side of the Alps

Three Saints Records (Broken Silence)

threesaintsrecords.jimdoweb.com

Kristina Brunner Ensemble, FAHRE

Mit Pneu und Eisenrad statt Sohle

Die CD heisst «Fahre» – also mache ich den Test: Steige in den Zug, schnalle die Kopfhörer über und schaue aus dem Fenster – wir fahren los. Eigentlich gehe ich lieber zu Fuss, dafür ist die Musik aber zu lüpfig, zu beschwingt, da käme ich schnell ausser Atem. So wie die unterschiedlichen Landschaften vor dem Zugfenster vorbeischwirren, so wechseln Zaghaftes und Deftiges, einsame Instrumente und orchestrale Momente wie ländliche Hügel und Felswände, wie Streusiedlung und Industriegelände. Und wenn ich mal die Augen schliesse, sehe ich schönere Landschaften als mit offenen.
Die Kompositionen stammen von Kristina Brunner, eine Auftragsarbeit für die «Stubete am See 2024». Es spielen bekannte Musikanten aus dem Umfeld der neuen Volksmusik, die Arrangements erinnern im Sound an ein Ländlerorchester, da neben Halszither, Schwyzerörgeli und Bass auch Trompeten und Geigen auf der Fahrt dabei sind. Ein paar Sprachtupfer steuert Pedro Lenz bei. Den nächsten Test mache ich im Auto. (gh)

Kristina Brunner Ensemble
FAHRE

p & c 2025

www.evelyn-kristina-brunner.ch

Vergnügt und heiter

«Vergnügt, heiter» steht auf dem Notenblatt und ich mühe mich redlich. Aber damit es vergnügt wird und heiter tönt, braucht es das einsame Handwerk, das die Zuhörerinnen und Zuhörer bestenfalls ahnen: jahrelanges Üben vorher, tägliches Üben fortan. Meisterin und Meister der vergnügten Heiterkeit sind Albin Brun, ein altgedienter Musikant am Saxofon und am Eichhorn-Schwyzerörgeli, und Kristina Brunner, am Ott-Örgeli mit 18 Bässen und am Cello, eine Musikerinnengeneration jünger. Seit Jahren sind sie im Duo unterwegs, «Innerland» heisst ihre CD, weil er aus der Innerschweiz, sie aus dem Berner Oberland kommt. Der Wortwitz hat aber mit der Musik wenig zu tun, die zwei vermischen keine regionalen Traditionen, sondern fliegen mit ihren 13 Stückli durch die Klänge der Welt – poetisch, wohlklingend und wohltuend. Duett, dann ungewohnt Saxofon als Trommel und Cello als Gesang. Die CD verschwindet allmählich im Internet, das ist wohl der Lauf der Welt; damit verlieren wir aber, was in «Innerland» gut geraten ist: Das schöne Cover, hier hat es Thomas Küng mit einem geheimnisvollen Kunststück in brauner, grauer, weisser Farbe gestaltet. Köbi Gantenbein

Albin Brun & Kristina Brunner
Innerland

www.albinbrun.ch

Lob der Musikschule

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben 23. September 2012 mit fast drei Viertel Ja-Stimmen dem «Bundesbeschluss über die Musikförderung» zugestimmt. Der Bassgeiger Philip Joos und die Örgelispieler Lukas Joos, Laurin Aebli und Andri Jost aus dem Prättigau lagen noch in den Windeln, als wir Alten eine über Jahre aufgebaute Errungenschaft gesetzlich befestigt haben: Musik gehört zur Bildung wie Rechnen und Lesen. Was diese Erfolgsgeschichte bewirkt, zeigen die vier Buben mit ihrer Kapelle «Prättigauer Power» auf ihrer CD «Hengert». Auf den 18 Stückli führen sie vor, dass sie als Buben bald so gut und virtuos sind, wie es ihre Vorbilder Kilian Schnydrig, Res ­Schmid oder Rees Gwerder erst im gesetzten Alter waren. Die vier Buben haben, kaum auf den Beinen, mit Musik und Musikunterricht begonnen. Sie turnen und johlen nun als Coverband durch die Tradition der Ländlermusik, wagen sich gar an eigene Komposi­tionen, so die halsbrecherische Polka «Kei ­Ahnig». Doch, doch, doch, die vier Buben haben schon allerhand Ahnig. Köbi Gantenbein

Prättigauer Power
Hengert

Qultur Records, Grüsch

Zugluft mit Tomaten

«Etual» heisst eine Tomate aus Kasachstan. Wohl haben Andrea Kirchhofer, Geige, und Bruno Strüby, Bassklarinette, vom Duo Zugluft in die blassroten, süssen Mocken gebissen, ihre neue CD heisst wie die Tomate. Wie das kasachische Gemüse den Gaumen, so fordern sie mit ungewohnten Klängen die Ohren heraus. Der eine beginnt mit dem Rhythmus, die andere legt die Melodie darüber, sie wechseln die Aufgaben ab, dann legen sie sie zusammen, werden eine stampfende Taktmaschine, lösen sich und tirilieren und brummen, zwitschern und krächzen durcheinander. 12 Stückli bietet «Etual». Von Klezmer, der Musik der schon lange vernichteten jüdischen Kultur in Osteuropa, über Galopp und Mazurka, wie sie die Appenzeller Musikantinnen so schön können, hin zu Toncollagen im «alten Sägewerk». Hier ächzt, brummt und quietscht es. Tanzen kann man schwer dazu und Zeitung lesen nicht – zuhören aber und sich freuen, wie Zugluft Durchzug macht im Kopf mit all seinen abgelagerten Klängen. Köbi Gantenbein

Zugluft
Etual

www.zugluft.net

Qreuz und kwer

Ein Cello, zwei Schwyzerörgeli, ein Sopransax, ein Waterphone, der Albin und die Kristina. Alles Eigenkompositionen. Albin Brun hat dem Schwyzerörgeli die Melancholie beigebracht, da passt Kristinas Cello dazu. Die Instrumente werden qreuz und kwer eingesetzt und die Stückli laden ein, von Gipfel zu Gipfel zu hüpfen, ein Ringeltänzli zu drehen, am See entlang zu schlendern, einem Bussard nachzuschauen, einen tiefsinnigen Gedanken zu spinnen. Heimelige Melodien ohne Heimattümelei, Schweiz ohne Bratwurst und Zeltplanegestank. Doch manchmal sind die komplexen Melodien und Rhythmen Bruns so perfekt gespielt, dass die doch leichtfüssige Musik etwas akademisch klingt. Wir raten daher, Konzerte zu besuchen. gh

MIDNANG
Albin Brun & Kristina Brunner


Eigenvertrieb 2020
www.albinbrun.ch
www.evelyn-kristina-brunner.ch

Kinderfreude

Wer kennt nicht die Fränzlis da Tschlin? Wie sie hüpfen, springen, tirilieren, fabulieren und spielen, als gäbe es keine Grenzen, seit über dreissig Jahren. Und nun dies: Sie singen. Die Fränzlifrauen wie die Nachtigallen, die Fränzli-Väter und der Fränzli-Onkel als Heldenbariton und Matadorenbass. Und mit ihnen Corin Curschellas. 55 «Chanzuns rumantschas per uffants» haben sie zusammengestellt zu einem reichen Spiegel der Volksmusik aus Romanisch Graubünden. «Dai & Hop!» heisst die CD. Neben der Musik fasziniert mich die Ideologie dieser Suite der Kinderkunst. Das behütete Kind wurde vom städtischen Bürgertum im 19. Jahrhundert erfunden. Erst die revidierte Bundesverfassung von 1874 hat Kinderarbeit eingeschränkt. In den Alpen galt sie noch fünfzig Jahre später als normal. Das Kind als Musik- und Kunstprojekt ist eine neumodische Erfindung. «Chanzuns rumantschas per uffants» sind für mich so auch ein Trost. Neben den harten Lebensbedingungen der Kinder in der Generation noch unserer Eltern, neben den Verdingkindern und den Kindern der Landstrasse, neben den auf den Alpen als Knechtli und Batzger ausgebeuteten Buben soll es auch die singenden Kinder gegeben haben, und gab es sie nicht, so stelle ich mir vor, es hätte sie gegeben. Köbi Gantenbein

1, 2, 3! Dai & Hop!
Corin Curschellas und Ils Fränzlis da Tschlin


R-Tunes 2020
www.fraenzlis.ch
www.corin.ch

Auf dem Markt

Ob quer oder Schnitt oder Querschnitt – alles passt zu dem Sampler vom Alpentöne-Festival 2019. Ein Schnitt mit der Machete durch den bunten Musikstrauss von über 50 Konzerten, ein Klangbouquet von aufrecht bis quer. Die Alptöne-Konzerte sind so etwas wie ein Flanieren über den Markt aktueller Alpin- und Neuer Volksmusik, man trifft alte Bekannte sowie unabsichtlich Ignorierte aus der Szene. Längst nicht alles alphornet von Schweizer Felswänden, ebenso geraten skandinavische, italienische und iranische Tonstücke ins Fondue. Auch wenn nicht alles gefällt, interessant ists allemal. gh

Alpentöne
Ein Querschnitt durch das Festival ’19


Alpentöne 2019
www.alpentöne.ch

3 x Pixner Projekt

Auf unserem Roadtrip durch die Rocky Mountains lassen mein Freund und ich uns das Album «Summer» vom Herbert Pixner Projekt in voller Lautstärke um die Ohren tschätteren und staunen über die unerschöpfliche Vielfalt der Stilrichtungen, die weniger aufeinanderprallen, als sich zu einem stimmigen Ganzen zusammenzufügen. «Kannst du mal etwas leiser stellen?» «Häh? Verdammt gueti Musig, wart, ich stell mal etwas lauter.» «Ja es fägt, aber bald bricht das Akkordeon auseinander und die Rocky Mountains wackeln schon.» «Gell geil, wie der Pixner an der Handorgel zerrt und die Heidi an der Harfe zupft. Play it loud!» «Hörst du mir überhaupt zu?» «Was sagst du? Bis mal still, ich will jetzt Musig lose! Jetzt wirds total lüpfig, gspürsch’s i dä Zechä?»

Das Herbert Pixner Projekt macht nicht nur gute Laune und warme Füsse in den Rocky Mountains, es hilft auch bei durchgeweichten Schuhen und durchwachten Nächten auf der Alp. Einzigartig hörenswürdig und im Dreierpack erhältlich. ln

Herbert Pixner Project:
Summer und Live on Tour

Special 2 Disc Edition

Three Saints Records 2016/2017
www.herbert-pixner.com

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