Das Rätsel der schwarzen Flecken

Die Käsebranche war beunruhigt: Schwarze Flecken traten teils in Käse auf. Zwar unbedenklich, aber schlecht für den Verkauf. Agroscope löste das Rätsel. Beim weiteren Vorgehen gehen aber alle einen anderen Weg.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Die Käsebranche rätselte über bisweilen auftretende schwarze Flecken im Käse – unter anderem in den letzten beiden Jahren hatte die Käsesortenorganisation Gruyère Switzerland AOP vermehrt solchen Schäden zu beklagen. Das nationale landwirtschaftliche Forschungsinstitut Agroscope präsentierte nach intensiver Suche des Rätsels Lösung: Zitzenversiegler, die zum Trockenstellen von Milchkühen eingesetzt werden, waren die Verursacher.

Wohltäter und Übeltäter zugleich

Diese Zitzenversiegler enthalten als Hauptbestandteil Bismut. Obwohl Bismut ein Schwermetall ist, gilt es im Gegensatz zu beispielsweise Blei oder Quecksilber als ungefährlich und ist in vielen Medikamenten und in Kosmetikartikeln wie Lippenstiften enthalten.

Auch in der Veterinärmedizin wird es aufgrund seiner entzündungshemmenden, antimikrobiellen und desinfizierenden Wirkung eingesetzt – beispielsweise eben als Zitzenversiegler, einem Hilfsmittel beim sogenannten Trockenstellen von Kühen. Allerdings können Bismutrückstände dabei in die Milch und so in den Käse gelangen, wo sie schliesslich unbedenkliche, aber unschöne, schwarze Flecken verursachen können.

Zitzenversiegler enthalten ca. 65 % Bismut.

Viel Lärm um nichts?

Nach der Publikation der Ergebnisse von Agroscope war die Aufregung gross: Die Schweizer Milchproduzenten SMP forderten umgehend, den Einsatz dieser Zitzenversiegler zu stoppen. Die Sortenorganisationen Gruyère Switzerland AOP sowie Etivaz AOP machten Nägel mit Köpfen und verboten ihren Milchproduzentinnen und Milchproduzenten den Einsatz dieser Bismut-Zitzenversiegler. Seither ist es wieder stiller geworden und keine weiteren Sortenorganisationen haben ähnliche Verbote ausgesprochen.

«Bei Emmentaler Switzerland sind aktuell keine Fälle bekannt, bei denen die Nutzung von Bismut-Zitzenversiegler einen Einfluss auf die stets hohe Qualität des Emmentaler AOP hat und auch bei der monatlichen Taxation der Emmentaler-AOP-Laibe wurde Stand heute noch keine Verunreinigung durch Bismut festgestellt», sagt Alfred Rufer, Vize-Direktor von Emmentaler Switzerland. Entsprechend werde aktuell von einem Verbot der Zitzenversiegler abgesehen. Auch bei der Käsereiorganisation Gourmino ist man bis anhin nicht betroffen: «Bisher hatten wir unseren Lagern von Gourmino sowohl bei Emmentaler und Gruyère noch keine Schäden festgestellt», bestätigt hier auch Geschäftsführer Roland Sahli.

Problem nicht vom Tisch wischen

Und auch Agroscope kann bestätigen, dass sich die Problematik in den letzten Monaten sicher nicht verschärft hat. «Wir haben keine neuen Fälle gefunden – auch bei anderen Sorten wie Emmentaler oder Appenzeller sind uns keine gravierenden Fälle bekannt», erklärt John Haldemann vom Forschungsinstitut.

Trotzdem dürfe das Thema nicht einfach vom Tisch gewischt werden: «Natürlich braucht es eine grosse Konzentration von Bismut, damit im Käse diese schwarzen Flecken auftreten – Rückstände von Bismut in der Milch von Produzentinnen und Produzenten, die diese Zitzenversiegler benutzen, sind aber immer nachzuweisen», gibt er weiter zu bedenken. Und diese Rückstände würden sich dann in der ganzen Melkanlage verteilen, wo sich das Bismut anreichern könne.

Unverständnis bei den Tierärzten

Ein Problem, das sich aber mit etwas Zeit sicher lösen lasse, sagt Tierärztin Patrizia Andina-Pfister von der Geschäftsstelle der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte GST. Für mehr Zeit hat die GST auch von Anfang an plädiert – Zeit dem Bismut-Problem auf den Grund zu gehen.

«Als der Agroscope-Bericht erschien, habe ich mir sofort Sorgen gemacht, dass diese Geschichte grössere Kreise ziehen könnte», sagt die Tierärztin. Und die Sortenorganisation Gruyère Switzerland AOP habe ja dann auch äusserst schnell reagiert. «Wir haben den Kontakt gesucht, konnten das Verbot aber nicht mehr verhindern», ergänzt Patrizia Andina-Pfister.

Zielkonflikt Antibiotik und Zitzenversiegler

Denn dem Verbot begegnet die GST mit Unverständnis: «Für uns ist ein solches Verbot sehr problematisch, weil wir seit rund acht Jahren zusammen mit den Landwirtinnen und Landwirten versuchen, den Antibiotikaverbrauch zu reduzieren und in diesen Bestrebungen spielen unter anderem die nicht-antibiotischen Trockensteller eine grosse Rolle», illustriert Patrizia Andina-Pfister die Problematik.

Denn leider sei die Schweiz beim intramammären Antibiotikaverbrauch «ein bisschen» Weltmeister. «Früher wurde einfach jeder Kuh beim Trockenstellen ein antibiotischer Trockensteller ins Euter gespritzt – heute weiss man, dass dies längst nicht in jedem Fall nötig ist oder dass sich je nach Kuh auch ein anderes Produkt respektive eine andere Methode anbietet», erklärt sie weiter.

Weder Antibiotika noch Versiegler

Bei Agroscope kann man die Befürchtungen der GST durchaus nachvollziehen – genauso aber auch das Einsatzverbot der Zitzenversiegler bei Gruyère Switzerland Aop oder bei Etivaz AOP. «Ich kann mir zwar vorstellen, dass Milchproduzentinnen und -produzenten mit dem Verbot allenfalls wieder vermehrt zu Antibiotika zurückgreifen könnten – ich hoffe aber, dass sich das in Grenzen halten wird, da die Tierhalterinnen und Tierhalter in den letzten Jahren ja stark zum Antibiotikaeinsatz sensibilisiert wurden», sagt John Haldemann.

Es gebe ausserdem viele Milchproduzentinnen und Milchproduzenten, die ihre Tiere weder mit antibiotischen Trockenstellern noch Zitzenversieglern trockenstellten. Kühe ohne gewisse Hilfsmittel trockenzustellen sei möglich, auch wenn dies durch die leistungsstärkeren Kühe von heute sicher schwieriger sei als noch früher.

Lösen statt verbieten

Dass die Problematik vor allem von den Landwirtinnen und Landwirten ausgebadet werden soll, stört Patrizia Andina-Pfister: Sie müssten einerseits perfekte Milch liefern, andererseits werde ihnen aber der Einsatz von wichtigen Hilfsmitteln verboten. «Wir müssen daran arbeiten, herauszufinden, ob man Bismutrückstände irgendwie wieder aus den Milchleitungen der Melkanlagen herausbekommt, wenn es einmal drin ist oder ob man die Zusammensetzung des Produkts verändern kann, dass es nicht mehr so kleben bleibt – damit das Produkt von den Produzentinnen und Produzenten wieder bedenkenlos benutzt werden kann», sagt sie. Mit einer guten Aufklärung und Sensibilisierung über die genaue Anwendung und die Dosierung sei der Einsatz der Zitzenversiegler daneben auch weiterhin zu unterstützen.

Produzenten auf Problematik hingewiesen

Obwohl sich das Bismut- Problem bei den meisten Käseorganisationen als nicht als dringlich herausgestellt hat, wird die Situation genau beobachtet und auch regelmässig nachgefragt. «Wir haben unsere Vertragslieferanten darauf hingewiesen, dass sie ihre Milchproduzenten entsprechend sensibilisieren und bei Stallkontrollen entsprechend ein Augenmerk auf diese Thematik richten», sagt Gourmino-Geschäftsführer Roland Sahli.

Auch seitens Emmentaler Switzerland bestehe momentan kein aktiver Handlungsbedarf: «Den einzelnen Sortenorganisationen ist das Problem in den Käsereianlagen bekannt und erfordert von Milchproduzenten sowie -verarbeitern bei der Reinigung der Anlagen viel Aufmerksamkeit», sagt Vizedirektor Alfred Rufer. Sollte sich die Situation jedoch ändern oder verschärfen, plane Emmentaler Switzerland, sich umgehend den von Agroscope definierten Massnahmen anzuschliessen.

Gruyère fordert mehr Forschung

Und auch bei Gruyère Switzerland AOP ist nur von einem momentanen Verbot die Rede. «Wir hatten bei mehr als 100 Laiben Schäden – vermehrt solche schwarzen Flecken im Käse könnte die Käufe beeinflussen und würde schlussendlich zu noch grösseren Schäden führen», sagt Philippe Bardet, Direktor der Interprofession du Gruyère.

Deshalb habe Gruyère Switzerland AOP mit dem Verbot rasch reagiert. Sollte das Problem der Zitzenversiegler aber entschärft werden, sei man auch bereit das Verbot wieder aufzuheben. Philippe Bardet wünscht sich in diesem Bereich aber grundsätzlich mehr Forschung, sodass solche Probleme in Zukunft gar nicht mehr entstünden und den Milchproduzentinnen und Milchproduzenten mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen würden. «Wir brauchen von der Schweizer Forschung nun Lösungen», sagt auch Reto Burkhardt den Schweizer Milchproduzenten SMP – denn Antibiotika sei keine Alternative. Aber auch für die SMP habe die Lebensmittelsicherheit und die Unbedenklichkeit bei den Konsumentinnen und Konsumenten sowie in der Tiermedizin absolute Priorität. Und auch wenn diese in Bezug auf die Zitzenversiegler von Swissmedic und dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV bestätigt worden sei, sei das Problem nicht vom Tisch: «Kein Kunde akzeptiert Schweizer Käse mit schwarzen Flecken.» Dort wo Zitzenversiegler angewendet würden, sei die korrekte Anwendung gemäss den Applikationsrichtlinien von Agroscope darum sehr zentral – daneben werde der Einsatz von Komplementärmedizin gefördert.



Trockene Kühe?

Das Trockenstellen dient der Kuh als Vorbereitung auf die folgende Laktation. Als Laktation (Milchleistung) wird die Menge Milch bezeichnet, die eine Milchkuh in der Zeit zwischen der Geburt eines Jungtiers und dem Trockenstellen vor der nächsten Geburt produziert – die Laktationsperiode.

Nähert sich eine Kuh der Kalbung wird die sogenannte Trockenstehphase eingeleitet. Während dieser Zeit im jährlichen Produktionszyklus produziert die Kuh keine Milch. Während der rund sechs bis acht Woche andauernden Trockenstehphase können allfällige Euterentzündungen ausheilen und das Eutergewebe kann regenerieren. Die Trockenstehzeit hat auch für das Kalb Vorteile: Wenn die Kuh nicht gemolken wird, stehen die Nährstoffe dem Wachstum des Kalbes zur Verfügung und die Kolostrumqualität der Biestmilch wird durch die Konzentrationen an Immunglobulinen aufrechterhalten.

In der Trockenstehzeit, insbesondere während des ersten und des letzten Drittels, besteht aber auch ein hohes Risiko von Neuinfektionen mit Umwelterregern. Während der ersten Phase unmittelbar nach Beginn der Trockenperiode kann es unter anderem aufgrund von hohem Euterinnendruck zu Infektionen kommen und während des geburtsnahen Zeitraums können Krankheitserreger beispielsweise durch bereits offene Zitzenkanäle ins Euter gelangen, was dann zu ernsthaften Entzündungen wie Mastitis (Entzündung der Milchdrüsen) führen kann. Die Tiere haben dann häufig Fieber und teilweise Schmerzen – bei einer hochgradigen Mastitis kann das Euter dauerhaft geschädigt werden und der Verlust beispielsweise eines Euterviertels ist möglich. Gewisse Mastitisformen können für Rinder sogar lebensbedrohend sein.

Um der Gefahr von Neuinfektionen zu begegnen, wurden interne Zitzenversiegler entwickelt. Das Präparat wird in die Zitze injiziert, wo es einen Pfropfen bildet und als mechanische Barriere ein Eindringen von Erreger ins Euter verhindern soll. Der Zitzenversiegler wird vom Eutergewebe weder aufgenommen noch im Euter abgebaut. Bei korrekter Applikation wird der Zitzenversiegler zu Beginn der neuen Laktation gemeinsam mit den ersten Milchstrahlen herausgemolken.



Quelle: Mediendienst Nr. 3574 vom 29. April 2022, LID www.lid.ch