Film Drii Winter

Es ist etwas ruhiger geworden auf der «Leinwand Alpwirtschaft», das Filmschaffen behandelt auch wieder städtische Themen. Diesen Herbst ins Kino kommt der Film «Drii Winter» von Michael Koch, er widmet sich dem Leben und der Liebe im Bergdorf.
 


Hoch in den Urner Alpen im Isenthal spielt die Geschichte von Anna und Marco. Bald nach der Ankunft Marcos, dem Zuzügling aus dem «Flachland», verliebt er sich in die ortsansässige Kellnerin und Pöstlerin Anna.

Die tägliche Arbeit der Bauern und auch von Marco, der tatkräftig mithilft, steht im Zentrum. Pfähle werden eingeschlagen, Kühe besamt und geschlachtet, Bäume gefällt, Felsbrocken aus dem Weg geräumt.

Die Idylle wird durch rätselhafte gesundheitliche Symptome von Marco gestört. Nach Marcos Tumor-Diagnose wird ohne Euphemismen erzählt, was passiert, wenn man in einer Welt, in der man zu funktionieren hat, nicht mehr funktioniert. Ähnlich der griechischen Tragödie begleitet ein Chor mit modernen volksmusikalischen Kompositionen aus dem Urnerland die dramatischen Ereignisse.

Nach und nach beginnt sich eine Abwärtsspirale zu drehen, die direkt auf Marcos unvermeidlichen Tod zurast. Die Menschen wirken rat- und rastlos, versuchen sich gegenseitig zu helfen, schaffen es aber schlussendlich nicht, ihrer Einsamkeit zu entrinnen. So rückt die Landschaft immer mehr in den Vordergrund, schroffe Steine, verschneite Bergketten, rauschende Bäche.

Gegen Ende singt der Chor statt zeitgenössischer Musik, ein altes Totenlied von J.S. Bach. Erst nachdem Marco von seinen Qualen erlöst wird, bekommt man das Isenthal in seiner ganzen Pracht zu sehen.

Drii Winter ist ein sphärischer, anspruchsvoller, langsam geschnittener Film. Das harte Bergbauernleben wird authentisch von den LaiendarstellerInnen verkörpert und in eine gelungene Bildgestaltung eingebettet. So wird das Leben in diesem entlegenen Seitental Menschen nähergebracht, die diese Welt so nicht kennen.


Kinostart 1. September 2022

Trailer: https://www.youtube.com ...

Regie und Drehbuch: Michael Koch
mit: Michèle Brand, Simon Wisler u.a.
Verleih: https://www.frenetic.ch/


Michèle Brand und Simon Wisler

Interview mit dem Regisseur Michael Koch

Frentic Films: Die schroffe, wilde Berglandschaft von DRII WINTER hat nichts mit dem polierten, idyllischen Bild zu tun, das viele Menschen von der Schweiz haben.
Michael Koch: Ich wollte meine Geschichte in einer Bergwelt ansiedeln, die interessanter ist als das Postkartenbild, das viele im Kopf haben, wenn sie an die Schweiz denken. Das Leben in den Bergen ist selten einfach nur schön; oft ist es rau und brutal. Das Tal, in dem wir gedreht haben, ist eng, die Hänge sind steil, die Arbeit hart. Im Winter liegt die Dorfkirche einen Monat lang im Schatten, weil es die Sonne nicht schafft, über die Bergkante zu steigen. Ein solcher Ort strahlt für mich eine ganz andere Energie aus als ein schmuckes Bergdorf in einer für Touristen herausgeputzten Bergidylle. Auch habe ich nach einem Ort gesucht, wo die Menschen primär von der Berglandwirtschaft leben und nicht, wie in vielen anderen Bergregionen der Schweiz, vom Tourismus. Ich glaube, dadurch ist ihr Verhältnis zur Natur, zu ihrem Land, das sie in täglicher Arbeit bestellen, intensiver. Im Kern kreist der Film ja um die Frage, wie unser Verhältnis zur Natur unseren Umgang mit dem Tod, dem Kranksein, beeinflusst. Und hierfür schien mir ein Ort, an dem die Naturgewalt unmittelbar zu spüren ist, sehr interessant.

Durch die Natur, die Ihre Protagonisten umgibt, können die Charaktere gar nicht anders, als sich klein zu fühlen. Was wollten Sie über die besondere Beziehung vermitteln, die die Gemeinschaft mit der Natur verbindet?
Angesichts einer Bergwelt, die seit Jahrtausenden besteht, erscheint unsere eigene Existenz mitunter ganz schön unbedeutend. Ich glaube das ist eine Erfahrung, die die Menschen in den Bergen prägt. Ein anderer Aspekt, der das Verhältnis der Bergler zur Natur bestimmt, ist die harte Arbeit in der rauen Umgebung. Egal zu welcher Jahreszeit, egal bei welchem Wetter, wird mit und in ihr gearbeitet. In einer Natur, die immer wieder auch ihr zerstörerisches Potential offenbart. Und wer in den Bergen aufwächst, weiss, dass die Natur am Ende stärker ist als wir. Lawinen, Schneestürme, Felsstürze zeugen von dieser Kraft. Die Bergler müssen damit umgehen und sind diesen Naturgewalten ausgesetzt. Ich glaube das ist eine prägende Erfahrung und macht sich dann auch in der Haltung im Umgang mit schwierigen Situationen im Leben bemerkbar.

War es eine Herausforderung, die Balance zwischen dem fast schon dokumentarischen Zugang des Films und den formalen Elementen – wie dem Chor, der elliptischen Erzählweise – herzustellen? Gab es eine bestimmte Tonalität, die Sie finden oder entdecken wollten?
Ja, der Film ist durch die Laien, die gewählten Drehorte und Szenen, stark im Dokumentarischen verwurzelt. Ich wollte diesem dokumentarischen Ansatz eine fiktionale Geschichte und eine klare formale Gestaltung gegenüberstellen. Der Chor beispielsweise unterteilt die Geschichte in unterschiedliche Kapitel, die einzelnen Szenen wiederum sind in langen, choreografierten Plansequenzen gedreht. Das heisst, die formale Gestaltung ist sehr präsent und widerspricht auf den ersten Blick dem dokumentarischen Ansatz. Aber es ist diese Reibung, die mich interessiert. Ich finde die formale Stilisierung macht die Authentizität der Laiendarstellerinnen erst wirklich sichtbar. Es entsteht eine neue Ebene und ich hatte stark das Gefühl den Laien eine gestaltete Bühne schaffen zu müssen, auf der sie sich dann frei entfalten können. Immer mit dem Anspruch, den jeweiligen Wesenskern des Menschen, den ich vor mir habe, so pur und authentisch wie möglich abzubilden, damit sich etwas Wahrhaftiges auf die Leinwand überträgt.

Ich fand den Ansatz von Anfang an richtig, nicht einen Film «über» die Menschen in den Bergen zu drehen, sondern mit ihnen zusammen. Dafür liess ich mich stark von ihnen lenken. Ich habe geschaut, welche Arbeiten gerade anfallen, was sie mit ihren Tieren machen und diese Szenen dann in die Geschichte integriert und mit einem kleinen Team gedreht. Auf diese Weise wurden uns viele, grossartige Szenen geschenkt, wie beispielsweise der Moment, in dem aus dem weissen Nirwana die Heuballen abgeseilt werden und Sekunden später sich die Sicht lichtet. Es ist nicht so, dass wir solche Szene zufälligerweise, dokumentarisch gedreht haben; aber wir wussten oft erst kurz davor Bescheid und mussten dann schnell reagieren. Das erfordert neben einer guten Vorbereitung natürlich eine entsprechende Produktionsstruktur, ein kleines, sehr versiertes Team und viel Zeit. Der Film wurde in drei unterschiedlichen Jahreszeiten und in 70 Drehtagen mit einem Team gedreht, das auf dem Set nur aus 12 Leuten bestand. Viele davon arbeiteten in Doppelfunktionen. Das war anspruchsvoll, aber auch schön zu sehen, wie die Teammitglieder über ihren Bereich hinaus mitdachten und Verantwortung übernahmen. Belohnt wurden wir mit Szenen, die ich mir am Schreibtisch zu Hause nicht hätte ausdenken können.

Was hat Sie ursprünglich motiviert, genau diese Geschichte zu erzählen?

Ich hatte am Radio eine Geschichte über eine junge Frau gehört, deren Mann sich wegen eines Tumors stark veränderte und der später daran starb. Etwa zur gleichen Zeit starb meine Cousine, damals im gleichen Alter wie ich, als Folge eines Tumors. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich habe angefangen, mich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. So bin ich auf drei unterschiedliche Geschichten von Menschen gestossen, die ihren Partner in Folge einer Krankheit in jungen Jahren verloren haben. In einer dokumentarischen Recherche habe ich über Jahre hinweg unterschiedliches Material aus Gesprächen und Recherchereisen zusammengetragen und daraus eine Geschichte geschrieben.

Wollten Sie, dass das Spiel des Laien-Casts im Film zurückhaltend, fast reserviert wirkt?

Die Stille der Bergwelt ist einzigartig und ich bin mir sicher, dass sie auch die Menschen, die dort leben, prägt. Ich hatte das Gefühl, dass sich dies oft durch eine gewisse Ruhe und Zurückhaltung ausdrückt, im Verhalten untereinander aber auch mir gegenüber. Es war diese Tonalität, in der ich die Geschichte erzählen und mich auch den Berglern nähern wollte.

Mir missfallen Filme, die umgehend und mit grossem Aufwand die Gefühle ihrer Figuren verkaufen. Und ich finde in den Gesichtern der Laien gibt es sehr viel zu entdecken. Ich interessiere mich mehr für den Menschen, den ich vor mir habe und weniger für die Figur, wie sie im Drehbuch stand. Dementsprechend sehe ich es auch als Teil meiner Arbeit, bei der Inszenierung der Laien nicht zu übertreiben. Die Gefühlsregungen der Bergler liegen oft im Verborgenen. Sie gehen nach innen, liegen in der Tiefe. Man sucht nach ihnen, wie nach einem verborgenen Schatz.

Wie schwierig war es, Laiendarstellerinnen und -darsteller zu finden, die engagiert genug waren, um die Rollen von Anna und Marco zu spielen?
Die Besetzung des Films war komplex. Sie hat fast drei Jahre gedauert. Michèle Brand, die die Anna spielt, hat auf unsere Anzeige in einer Lokalzeitung geantwortet. Weil ich wusste, dass sie den Film tragen musste, habe ich über eine lange Zeit hinweg immer wieder Testaufnahmen mit ihr gemacht. Es war wichtig ein starkes Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Für die Rolle von Marco habe ich mit über 250 Männern gesprochen und sie fotografiert. Diejenigen, die ich interessant fand, habe ich dann auf ihrem Hof oder im Dorf oder auf der Alp wiedergesehen und ausführlich mit ihnen gesprochen. Simon Wisler haben wir beispielsweise auf einem Schwingfest entdeckt. Ich erinnere mich noch an seine erste Reaktion, als ich ihn bei meinem Besuch auf seinem Hof fragte, ob er sich vorstellen könne, in einem Film mitzuwirken: «Vielleicht für zwei oder drei Tage, wenn es regnet», antwortete er mir. Die Arbeit der Bergbauern ist enorm fordernd, vor allem im Sommer. Da kann man keinen einzigen Tag verschwenden. Ich bin Simon sehr dankbar, dass er sich auf das Abenteuer eingelassen hat.

War Marcos Körperlichkeit für Sie wichtig? Sowohl was seinen Charakter betrifft, als auch für sein Spiel?

Simon (Marco) ist wahrscheinlich einer der wuchtigsten und stärksten Männer, die ich kenne! Aber auch er ist nicht von der Gefahr einer Krankheit gefeit, die ihn befällt, ihn schwächt und letztlich zerstört. Ich glaube, das ist ein wichtiger Aspekt der Geschichte, dass wir im Leben Dingen ausgesetzt sind, die nicht in unserer Macht stehen. Es geht darum, wie wir damit umgehen. Und um diese Frage dreht sich meiner Meinung nach der Film.

Um noch einmal auf die Körperlichkeit von Marco zurückzukommen: Ich fand ihn auch deshalb interessant, weil für mich in diesem wuchtigen, mächtigen Körper eine grosse Melancholie schlummert und ein sensibler Wesenskern zum Vorschein kommt. Ich habe bewusst nach einem Gegensatz zu Annas Körperlichkeit gesucht, die ja sehr fein und zart ist, dann aber zum Schluss mit grosser Gelassenheit und Stärke den Widrigkeiten trotzt.

Wieso war es wichtig, dass Marco nicht aus dem Tal stammt?

Ich fand die Idee interessant, jemanden von aussen in das kleine Bergdorf kommen zu lassen, dessen Präsenz und Wirkung im Dorf vieles durcheinanderbringt. Die Bergler reagieren unterschiedlich auf den Aussenseiter, den Neuen. Einige sind von Anfang an skeptisch, andere wie Alois begegnen ihm mit Offenheit, schätzen seine Tatkraft, wieder andere fühlen sich in ihren Vorurteilen bestätigt. Das Dorf reagiert mit einer breiten Palette an Reaktionen, wie sie in jeder Gesellschaft zu beobachten sind, wenn sich Neues ankündigt, Veränderungen anbahnen oder Gefahr naht. Es gibt die Skeptiker, warnende Stimmen, aber auch Menschen die offen und gelassen auf Veränderungen reagieren. Für Anna bedeutet Marco zu Beginn das grosse Glück, später aber, auf Grund seiner Krankheit und Wesensänderung, entpuppt er sich auch für sie als schwere Prüfung.

Sprechen wir über die Musik im Film. Sie ist sehr interessant: Zum Beispiel Ihre Verwendung des Eurodance-Hits What is Love, oder der Chor, der die ganze Geschichte erzählt. Sollte es sich anfühlen wie ein griechischer Chor?
Ja, ich finde die Geschichte zwischen Anna und Marco lässt schon in ihrer Grundstruktur eine Verwandtschaft zur griechischen Tragödie erkennen. Wir haben den Tumor, der als Schicksalsschlag mit ungewissem Ausgang das Liebespaar und insbesondere Anna auf die Probe stellt. Meine Idee war es, dementsprechend den Dorfchor als Erzähler zu installieren, der das Geschehen kommentiert und strukturiert. Dem Zuschauer bietet sich so von Zeit zu Zeit die Möglichkeit, das Gesehene zu ordnen, das Gezeigte zu reflektieren. Die Geschichte ist ja in grossen Ellipsen und im Wechsel der Jahreszeiten erzählt. Der Chor hilft den gesamten Bogen der Geschichte zu gestalten.

Trotz der tragischen Elemente macht der Film deutlich, dass Anna kein passives Opfer der Umstände oder der Männer ist. Was fanden Sie neben der Kraft der «wahren Liebe» interessant und der enorm schwierigen Entscheidung, die Anna treffen muss?
Was mich fasziniert ist, wenn ich von Menschen höre, denen es gelingt, den Partner nicht für dessen Krankheit verantwortlich zu machen, auch wenn die Folgen oft schwer zu ertragen sind. Auf der anderen Seite trägt Anna auch eine Verantwortung ihrem sozialen, familiären Umfeld gegenüber. Das ist ein schmaler Grat und ich finde die Frage der Abwägung, wie man sich in einer solchen Situation verhält und welche Entscheidungen man trifft, ist nie leicht zu beantworten. Ich glaube auch, dass es so etwas wie «die wahre Liebe» nicht gibt. Ich denke Liebe kann ihre Form immer wieder verändern.

Das Schöne an der Geschichte ist doch, dass Anna trotz der widrigen Umstände, gegen die sie antritt und kämpft, nie ihre Haltung verliert. Sie lässt sich weder von der Dorfgemeinschaft noch durch religiöse Versprechen davon abbringen, ihrem eigenen Kompass zu folgen. Das macht sie für mich, auf eine besondere Weise, sehr stark und eigenständig. Es gelingt ihr, die Krankheit ihres Mannes als etwas zu akzeptieren, dem sie zwar ausgeliefert ist, an dem sie aber nicht verzweifelt. Darin zeigt sich für mich eine menschliche Grösse, die mich berührt und beglückt.