Graubünden hat einen neuen NAV Alp

Seit 1. März hat der Kanton Graubünden einen revidierten «Normalarbeitsvertrag für das Alp- und Hirtschaftspersonal», den «NAV Alp». Er bringt Verbesserungen, es bleiben aber auch Unklarheiten.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Der Kanton Graubünden ist der einzige Kanton mit einem separaten NAV für die Alp, die meisten Kantone haben nur einen NAV Landwirtschaft. Grundsätzlich ist ein separater NAV Alp eine gute Sache, denn der NAV Landwirtschaft nimmt auf die speziellen Arbeitsbedingungen auf der Alp zu wenig Rücksicht. Auch für andere Bergkantone wäre ein eigener NAV sinnvoll – und man könnte über einen nationalen NAV Alp nachdenken, der dann für alle Alpen gilt. Doch die Alparbeiten in den verschiedenen Kantonen unterscheiden sich stark, vielleicht zu stark für einen einheitlichen NAV.

Alles, was vertraglich klar geregelt ist, darüber muss man nicht streiten, daher sind Verträge grundsätzlich eine gute Sache. Doch auch ein NAV kann nicht alles regeln, sonst wäre er meterlang. Und: Wer streiten will, findet immer einen Grund und immer eine Lücke in jeglichem Vertrag.

Zum NAV Alp allgemein

Grundsätzlich gilt für Arbeitsverhältnisse auf Bündner Alpen der NAV Alp. Soll etwas abweichend geregelt werden, muss dies in einem schriftlichen Vertrag festgehalten werden. Ist ein Sachverhalt weder im NAV noch vertraglich geregelt, gilt das Obligationenrecht (OR). Das Arbeitsgesetz gilt für die Alp nicht, da es «Betriebe der landwirtschaftlichen Urproduktion» (Art. 2 Abs. 1d Arbeitsgesetz) nicht einbezieht.

Was ist neu, was hat geändert, worauf ist zu achten?

  • Neu ist klar und deutlich ausformuliert, dass der NAV Alp durch einen anderen schriftlich festgehaltenen Vertrag ausgehebelt werden kann. Die vorherige Regelung war gesetzeswidrig (siehe OR Art 360). Ebenfalls wird darauf hingewiesen, dass bei Arbeiten, für die es einen Gesamtarbeitsvertrag GAV gibt, der GAV zur Anwendung kommt; also zum Beispiel die Gästebewirtung dem GAV Gastgewerbe unterstellt ist.

  • Die Arbeitszeit soll weiterhin 14 Stunden pro Tag Anfang Sommers nicht überschreiten, das bleibt sich gleich. Auch bei den Jugendlichen bleibt die Höchstarbeitszeit, die Altersjahre wurden aber analog zu den Bestimmungen des Arbeitsgesetzes nach unten angepasst.

  • Im Artikel Überstundenarbeit werden die Arbeitnehmer darauf hingewiesen, dass sie zur Überstundenarbeit verpflichtet sind, soweit es ihnen «nach Treu und Glauben zugemutet werden kann». Allerdings bleibt hier der NAV unklar, ab wann genau Überstunden greifen und wie sie entlöhnt werden.
    Muss ein Arbeitnehmer während längerer Zeit mehr als 11Stunden (bzw. 14 Stunden im ersten Alpmonat) arbeiten, gibt das OR vor, dass er mit einem Zuschlag von 25% entlöhnt werden muss. Allerdings muss der Arbeitnehmer seine Überstunden beweisen können und sie dem Arbeitgeber mitteilen.

  • Neu widmet sich ein Artikel den Ferien, der Freizeit und den Feiertagen. Da diese Tage auf den meisten Alpen in Graubünden nicht eingezogen werden können, müssen sie mit dem Lohn abgegolten werden. Der Lohn dafür muss auf der Lohnabrechnung (und, sofern vorhanden, im Arbeitsvertrag) je einzeln aufgeführt werden:

    • Ferienentschädigung 8,33 %

    • Freizeitentschädigung 16,67 %

    • Feiertagsentschädigung 1 % (während der Alpzeit nur 1. August, egal ob an einem Sonntag oder Werktag)

Sind diese Entschädigungen in der Lohnabrechnung nicht aufgeführt, können sie vom Arbeitnehmer nachträglich eingefordert werden.

  • Etwas ausgebaut wird der Artikel Kompetenzen. Kurz gesagt: Der Alpmeister muss dem Personal schriftlich vorlegen, wer von der Genossenschaft für was zuständig ist und auf wen das Alppersonal hören muss. Die Verantwortungsbereiche im Team sind «unmissverständlich zu regeln». Dieser Artikel kann, sofern ihm nachgelebt wird, manche Kompetenzprobleme lösen.

  • Der Artikel Lohn enthält einige Präzisierungen. Eine Teilzahlung per Ende Monat kann von den Arbeitnehmenden verlangt werden (nicht höher als im Umfang der geleisteten Arbeit). Dazu wird etwas deutlicher auf die Pflicht des Arbeitgebers hingewiesen, bei Beginn des Arbeitsverhältnisses eine schriftliche Bestätigung über den Lohn abzugeben, dazu einen allfällig schriftlichen Arbeitsvertrag, sowie ein Exemplar des NAV Alp.

  • Neu wird bei der Dauer des Arbeitsverhältnisses darauf hingewiesen, dass Vor- und Abschlussarbeiten ebenfalls zum Arbeitsverhältnis gehören. Das heisst, in diesen Tagen erhalten die ÄlplerInnen ebenfalls Lohn und sind versichert.

  • Neu ist der Artikel 10: Unterkunft, der ziemlich unkonkret formuliert ist: «Die Arbeitnehmenden haben Anspruch auf eine quantitativ und qualitativ hinreichende Unterkunft.» Punkt. Doch wie hätten wir es besser gemacht? Im Streitfall vor Gericht kann man sich jetzt zumindest auf diesen Artikel berufen, wenn die Behausung einer Ruine gleicht.

  • Im Artikel zu den Versicherungen wird explizit darauf hingewiesen, dass die Arbeitnehmenden die Prämie der Krankenkasse bezahlen müssen, auch wenn der Arbeitgeber für sie eine solche abschliesst. Zudem wird ausführlicher auf die Krankentaggeldversicherung eingegangen, die neu mit einer Leistungsdauer von mindestens 720 Tagen bei 80 % Lohn abgeschlossen werden muss. Unverständlicherweise wurde bei der Versicherung für das Krankentaggeld keine Regelung einbezogen, ab welchem Tage diese greifen muss. Daher können im Krankheitsfall Lohnlücken entstehen – trotz gegenteiliger Aussage des Regierungsrates in seinen Erläuterungen zum NAV Alp. Vollständigkeitshalber wird noch aufgeführt, dass der Arbeitgeber eine Unfallversicherung für den Arbeitnehmer abzuschliessen hat. Es wird jeweils erklärt, wie die Prämien zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt sind.

Was wurde verpasst?

Der NAV Alp gibt die Richtschnur vor, an der man selber seine Knöpfe knüpfen muss. Dabei bleibt der neue Vertrag soweit möglich unkonkret, was Arbeitsstunden, Überstunden, Freizeit, und Lohnregelungen betreffen. Dies muss dann in einem schriftlichen Vertrag zwischen den Arbeitsparteien geregelt werden. Wo das nicht gemacht wird – wie eben in vielen Fällen und aus unterschiedlichen Gründen – nützt der NAV im Streitfall wenig. Das ist schade, denn je klarer ein Grundsatzvertrag, desto weniger Masse gibt es zum interpretieren und streiten.

Unserer Meinung nach fehlen:

  • eine klare Überstundenregelung mit benanntem Lohnzuschlag oder Lohnbonus

  • ein Artikel zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses (Probezeit, Kündigungsfrist, Entlassung)

  • beim Krankentaggeld eine Regelung, ab welchem Tag die Versicherung greifen muss; das ist schade.

Was hat sonst noch geändert?

Alter Vertrag: 9 Artikel mit 3760 Zeichen
Neuer Vertrag: 11 Artikel mit 5140 Zeichen

Fürs genaue Hinschauen die Links: