Rolle, Funktion und Ausbildung von Schafhirten und -hirtinnen

Bericht zum Vortrag von Marc Mallen, Ethnopastoralist, anlässlich der Informationstagung „Schafsömmerung im Wandel” vom 12. November 2004 an der Universität in Neuchatel.


                        
                            
                        
                            
                                
                            
                        
    


                        
                    

                    
                

Die vom BUWAL organisierte Informationstagung in Neuchatel diente der Information und Diskussion rund um das Thema der Schafsömmerung. Präsentationen von Fachleuten aus verschiedensten Arbeitsbereichen beleuchteten aktuelle Forschungsarbeiten, Konflikte im Zusammenhang mit Übernutzung/Trittschäden/Erosion sowie Unternutzung/Vergandung, Fragen zur gesundheitlichen Wechselwirkung zwischen Schafen und wilden Huftieren, Möglichkeiten von veterinärmedizinischen Kontrollen und schliesslich auch die Rolle und Ausbildung von HirtenInnen.

Marc Mallen betrachtete zuerst die Identität des Hirten, seine Rolle, seine Funktion. Trotz der langen Geschichte des Hirtenberufs wird er heute oft in die Kategorie der „Landwirtschaftlichen Hilfskräfte” eingestuft, der Hirte verrichtet Lohnarbeit für die Schäfer. Doch der Hirtenberuf lässt sich nicht bloss über ein spezifisches technisches Können definieren, sondern vielmehr über die zentrale Verbindung des Hirten zum Lebendigen und somit zu einem vielschichtigen, komplexen Aufgabenbereich. Im Zentrum seiner Arbeit steht die Herde, er geht ihr voraus oder folgt ihrer Bewegung, er soll sie bestmöglich ernähren, pflegen, lenken, beobachten und schützen. Die Tiere sollen im Herbst möglichst vollzählig, gesund und gut genährt an die Schäfer übergeben werden. Dazu muss sich der Hirte im Gebirgslebensraum sicher orientieren können und die Vegetation seiner Alpweiden kennen. Er muss einen Sinn entwickeln für seine Herde und seine Alp.

Da der Einfluss der Schafsömmerung auf die Umwelt in der heutigen Zeit unumstritten ist (negativ wie postiv), wird der Rolle des Hirten als „Landschaftspfleger” vermehrt Beachtung geschenkt. Gut geführte Herden können zur Erhaltung offener Weidelandschaften und der Artenvielfalt beitragen. Je erfahrener ein Hirte ist, umso besser kann er seine Zeit und seinen Raum definieren und einteilen, immer in Rücksicht auf das Wohlergehen der Tiere und die Erhaltung der Vegetation für kommende Alpsommer.

Bedingt durch seine starke Verbindung zum Lebendigen und zur Natur ist auch die Bewegung von grosser Bedeutung. Täglich geht der Hirte zu Fuss mit der Herde mit, meist alleine, ist selber in Bewegung, auch innerlich. Dabei ist er mit dem Zyklus von Leben und Tod konfrontiert, mit der Gefahr, der Angst, der Stille und der Verantwortung sich selbst und den Tieren gegenüber.

Wie lassen sich nun Hirten ausbilden, wie lässt sich solches Wissen weitergeben? Ganz klar handelt es sich um eine subtile Art von Wissen, welches neben den handwerklichen Fertigkeiten und Erfahrungen viel mit dem Zusammenspiel und der Schulung aller Sinneswahrnehmungen zu tun hat.

Im Gegensatz zur Schweiz existieren in Frankreich verschiedene Schulen und Zentren, welche eine Ausbildung zum Hirten anbieten: „l’École Rambouillet”, „Etcharry dans les Pyrénées-Atlantiques”, „l’Association des Patres en Arièges”, „La Motte-Servolex en Savoie”... Es ist einleuchtend, dass bei dieser Ausbildung die gelebten Erfahrungen von grosser Wichtigkeit sind und, dass die französischen Schulen ihren Unterricht alternierend aus theoretischen Teilen und Praktika aufbauen. Zu den verschiedenen Fähigkeiten, welche erlernt und geübt werden, gehört z.B. auch die Organisation des Tagesablaufs: Dieser hat sich nach den Tieren, der Vegetation und der Witterung zu richten und entzieht sich dem gewohnten Arbeitsrhythmus der Gesellschaft. Besonders für noch unerfahrene Hirten ist der Beginn einer Alpsaison schwierig, da die Tage lang sind und die Herde oft erst noch ihr Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln muss. Eine Tagesplanung ist notwendig, damit die Grundbedürfnisse des Hirten wie Schlafen, Essen und Körperpflege nicht vernachlässigt werden.

Die angebotenen Ausbildungen an den französischen Schulen dauern ca. ein Jahr, was relativ kurz ist, aber doch ein Fundament darstellen können, auf welchem sich in der Praxis und mit der Unterstützung von einem erfahrenen Hirten und Lehrmeister das Wissen weiter vertiefen lässt.

Es zeigte sich unter den Tagungsteilnehmern einstimmig, dass in der Schweiz ein Mangel an gut ausgebildeten, professionellen SchafhirtInnen besteht. Zudem ist zu erwarten, dass sich mit der neuen Sömmerungsverordnung, der Forderung nach kontrollierter Weideführung und „Nachhaltigkeit” in der Alpbewirtschaftung, sowie dem vermehrten Auftauchen von Grossraubtieren, die Bedeutung einer guten Behirtung zunehmen wird.


Riccarda Lüthi machte ihre ersten Alp- und Hirtenerfahrungen im Glarnerland auf einer Mutterkuh und Rinderalp während des Biologiestudiums. Danach Diplomarbeit in Zentralasien und Beobachtungen vor Ort zu einem Wildschaf (Marco Polo Schaf) und dessen Weideverhalten. In engem Kontakt mit der dort vorherrschenden Weidewirtschafts- und traditionellen Hirten und Nomaden- resp. Halbnomaden -Kultur. Im Sommer 2004 angestellt als Mitarbeiterin in der „raschen Eingreifgruppe” im Herdenschutzzentrum Jeizinen. Auf verschiedenen Schafalpen (auch eine Ziegenalp) der Schweiz im Einsatz, wo sich Alpverantwortliche auf Grund von Wolfsschäden für Schutzmassnahmen entschieden hatten (Bedrettotal TI, Graubünden Zügelaktion über den Kistenpass, Zwischbergtal Pontimia). Dabei lag der Schwerpunkt auf der praktischen Unterstützung der betroffenen Schäfer und Hirten.