Bücher

Lou, Philosoph der Tiere (und Menschen)

Einer mit Hausverstand

Der Südtiroler Lou Blaas ist ein eindrücklicher Mensch. Wer ihn leibhaftig trifft, dem bleibt er haften. Zusammen mit der Journalistin Christine Losso hat er über sein Leben ein Buch gemacht, er erzählt, sie schreibt auf. In jungen Jahren gemobbt und erniedrigt, erkämpft sich Lou entlang von Schicksalsschlägen und Glückstätscheln ein kräftiges Selbstvertrauen. Insbesondere die Verbundenheit mit Tier und Natur helfen ihm dabei – und vielleicht die dreissig Alpsommer auf der Fürstenalp im Bündnerland. Von der Alp erfährt man im Buch jedoch nicht viel, im Zentrum steht seine Biografie und seine Arbeit mit Hunden. Zu Hunden hat Lou ein feines Gespür und wahrscheinlich fliesst bei ihm etwas Wolfsblut durch die Adern. Das Buch erzählt nicht wenige Geschichten, in denen er leidende Hunde vor ihren psychotischen HalterInnen rettet. Lous Biografie kann man aber auch als Ratgeber von einem mit Hausverstand lesen, Lebensweisheiten gibt es genügend. gh

Christine Losso
Lou, Philosoph der Tiere (und Menschen)
Wie der kleine Lorenz zum Lou wurde

Taschenbuch, 280 Seiten
Epubli, Berlin 2024
ISBN 978-3-8187-1168-9

www.lou-blaas.com

Engadinerinnen, Angelika Overath

Frauenleben im Engadin

Angelika Overath erzählt in ihrem Buch «Engadinerinnen» die Lebensgeschichten von 18 «ganz normalen» Frauen aus dem Hochtal: von der Weberin bis zur Ärztin, von jung bis alt, von einheimisch bis zugezogen. Mit diesem Buch geht die Autorin auf die Suche nach dem Ursprung der Stärke, die die Engadiner Frauen für sie ausstrahlen, und rückt dabei auch die oft unsichtbare Arbeit von Frauen in den Vordergrund. Wie das Leben eben spielt, sind auch die Geschichten sehr unterschiedlich. Sie führen die Leser:innen in andere Länder und auf andere Kontinente und enden schliesslich alle in der Berglandschaft des Engadins. Die sehr kurz gehaltenen Porträts der einzelnen Frauen kratzen leider nur an der Oberfläche der Lebensgeschichten und bleiben – weil reduziert auf wenige Seiten – etwas flach. Schade. mn

Angelika Overath
Engadinerinnen
Frauenleben in einem hohen Tal

Gebunden, 200 Seiten, 36 Fotografien
Limmat Verlag, Zürich 2024
ISBN 978-3-03926-067-6

www.limmatverlag.ch

Von hier und dort

Schön! Endlich ein Buch des Hirten, Weinbauern und Lehrers Blaise Hofmann auf Deutsch. In der Romandie wurde er durch sein Buch «Estive» bekannt, eine scharfsinnige Auseinandersetzung mit dem Beruf des Schafhirten. Im aktuellen Buch ranken seine Gedanken um die Unvereinbarkeit von BäuerInnen und StädterInnen. In Notizen, Gesprächen und geschichtlichen Rückblicken versucht Hofmann zu verstehen, wieso die Verständigung von hier und dort so schwierig ist. Dabei ist er kaum anklagend, dafür oft ironisch, manchmal etwas ratlos – für uns Leser­Innen ist das unterhaltend, erhellend und wir lernen, dass Klischees nicht einfach überwunden werden können. Zu einem «guten» Ende kommt es im Buch natürlich nicht, dafür wären wir aus der Stadt und vom Land verantwortlich. (gh)

Blaise Hofmann
Die Kuh im Dorf lassen
oder die Herausforderungen einer nach­haltigen Landwirtschaft in der Schweiz

Taschenbuch, 188 Seiten
Atlantis Literatur, Zürich 2024
978-3-7152-5037-3, CHF 24.90

www.atlantisliteratur.ch

Rasant und explosiv

Es gibt Bücher, die reissen einen weg aus den Gedanken an geblähten Käse, weg vom Groll im Team, weg von den Beigen ungespaltener Holzklafter, weg von Moderhinke und Lippengrind, hin an einen Ort, den man bis zur letzten Seite nicht verlassen will. Augstburgers Bücher sind so, in seinen Bergromanen verwebt er unversöhnliche Familiendramen, politische Intrigen, aktuelle gesellschaftliche Konflikte und tragische Liebesgeschichten zu Spinnennetzen, in denen man strampelnd hängen bleibt.
Nicht anders im «Tal der Schmetterlinge»: Die Explosion eines Munitionsdepots der Armee zerstört 1950 das Bergdorf Althäusern. Das Dorf wurde wieder aufgebaut, doch auch siebzig Jahre später lauern noch Geheimnisse und Granaten in den Grüften. Dem allem kommt die Wissenschaftlerin Meret Sager – unterwegs im Auftrag eines unbekannten Investors, bei Althäusern ein energieautarkes Dorf zu planen – allmählich auf die Schliche. Nebenbei wird eine leidenschaftliche Jugendliebe ausgerollt, es verenden Hunderte von Forellen, Corona blinkt zuweilen auf und eine Alp stürzt ab. Rasantes Kopfkino. (gh)

Urs Augstburger
Das Tal der Schmetterlinge

Hardcover, 384 Seiten mit Lesebändchen
Bilgerverlag, Zürich 2023
978-3-03762-103-5, CHF 36.00

www.bilgerverlag.ch

Unten im Tal, Paolo Cognetti

Unten im Tal

Obwohl «Unten im Tal» mit nur 144 Buchseiten vergleichsweise kurz daherkommt, tauchen wir umso tiefer ein. Es geht um ein ungleiches Brüderpaar. Luigi ist Dorfpolizist, Dagebliebener, hat einen festen Platz in der Dorfgemeinschaft und wird bald Vater. Fredo ist nach Kanada ausgewandert, reist als Holzer und Trucker der Arbeit hinterher und ist stark alkoholkrank. Beide treffen wieder zusammen, als nach dem Versterben ihres Vaters die Erbschaft geklärt werden soll: das Haus ihrer Kindheit, ein altes Haus hoch oben in den Wäldern von Fontana Fredda, einem Weiler in den Bergen des Piemont. Eigentlich aber geht es um all das, was nicht romantisiert werden kann: um Arbeitslosigkeit, Schweigen, Neid, Naturgewalt, Alkoholsucht, Tristesse, leere Dörfer in der Nebensaison, Abwanderung und den Bau eines Skigebiets – mitten durch Wälder, die Jahrhunderte alt sind. Ein wunderbares Buch, schlicht, rau und sprachgewaltig. (aw)

Paolo Cognetti
Unten im Tal

Gebunden, 144 Seiten
Penguin Verlag, Basel 2023
ISBN 978-3-328-60364-1

www.penguin.de

Granitschädel und Luchstatzen

In den Berner Oberländer Bergtälern werden erbitterte Fehden ausgetragen, die quer durch ganze Dörfer, Sippschaften, Familien gehen. Jäger und Schafhalter gegen Naturschützer und Stadtromantiker stehen als Prototypen für die verfeindeten Lager. Ein Wilderer schickt die vier abgehackten, blutigen Pfoten eines Luchses ans zuständige Bundesamt. Die Boulevardmedien heizen die Stimmung an. Julius Leen, dreadlockstragender Zivi im Luchsprojekt, gerät zwischen sämtliche Fronten. Nicht nur die Stumpen der Granitschädel rauchen. Eine unheilvolle Bierwette führt zu einem Wettjagen.
Haudegen, Linke und Nette, gewilderte Luchse und Wissenschaftler begegnen sich in der Beiz und am Berg, werden von konträren Ideologien und Lebensformen gelenkt und bilden damit einen spannenden Stoff zu dieser vielseitigen, erhellenden und anheimelnden Geschichte über die wiederangesiedelten Luchse in der Schweiz. (gh)

Urs Mannhart
Luchs

Hardcover mit Lesebändchen
komplett revidierte Ausgabe 2023
Bilgerverlag, Zürich
978-3-03762-106-6, CHF 35.90

www.bilgerverlag.ch

Von Zweifel bis Erfahrung

Flurina Pothoven erzählt authentisch, persönlich und sehr ehrlich aus ihrem Leben als Schafhirtin. Man erfährt von ihren vielfältigen Erlebnissen als noch unerfahrene, junge Frau bei ihrem ers­ten Hütetag auf der Winterweide bis hin zum Alpabzug nach ihrem sechsten Alpsommer, bei dem sie als gestandene und überzeugte Schafhirtin dasteht. Die Autorin lässt uns dabei ebenso an ihren Ängsten, Zweifeln und ihrer Unwissenheit als Anfängerin und den damit verbundenen typischen Stress­situationen teilhaben wie auch an ihren Erfolgserlebnissen und Erkenntnissen als Hirtin, die mit der Zeit über sich selbst hinauswächst.
Einfühlsam erzählt sie von den ihr anvertrauten Schafen, dem täglichen Hüten, von den schlechten Unterkünften, von der mangelnden Wertschätzung gegenüber Schafhirtinnen, dem fehlenden Wasser, von guten Nachbarhirten, von ihrer Angst um die Tiere, vom Kontrollverlust, von unterstützenden, aber auch gemeinen Bauern und nebenbei auch von ihren Gedanken zu Freiheit, Unabhängigkeit und Vergänglichkeit. Ein Buch, das weder dramatisiert noch beschönigt, sondern schlicht und einfach erzählt, wie es mit den Schafen am Horizont so sein kann. Doris Theiner

Flurina Pothoven
Schafe am Horizont

Gebunden, 236 Seiten
Books on Demand 2023
978-3-7578-8201-3, CHF 46.90

buchshop.bod.ch

Heimatroman ohne Kitsch

Der Autor Plinio Martini (1923–1979) wuchs mit seinen sieben Brüdern unter anderem im Val Bavona im Tessin auf. Sein Leben lang unterrichtete er als Lehrer. Im Jahr 2023 wäre er 100 Jahre alt geworden, dies nahm der Limmat-Verlag zum Anlass, sein Erfolgsbuch «Nicht Anfang und nicht Ende» neu zu verlegen.
Der Autor erzählt die Geschichte von Gori, der in einem kleinen Dorf im Maggiatal aufwächst. Ein Leben geprägt von Armut und Hunger. Hin- und hergerissen zwischen Bleiben oder Gehen wandert er schliesslich nach Amerika aus. Das Buch erzählt von Emigration, verlassenen Dörfern, bitterer Armut und der Landwirtschaft im Tessin. Durch Gori erleben wir hautnah eine individuelle Lebensgeschichte in einem Stück Schweizer Historie. Dem Autor gelingt es, die feinen Gefühle und Zwischentöne der Protagonisten aufzunehmen und die schweizerische Sozialpolitik gegen die Armen und Migranten zu thematisieren. Dadurch wird das Buch zu einem differenzierten Heimatroman, fern allen nostalgischen Kitschs. (jm)

Plinio Martini
Nicht Anfang und nicht Ende

Gebunden, 240 Seiten
Limmat Verlag, Zürich 2023
978-3-85791-495-9, CHF 32.00

www.limmatverlag.ch

Kriminell-kitschige Geschichtsstunde

So kitschig Buchtitel und Bild daherkommen (eine Frau in strahlend weissem Kleid – die Sennerin? – steht bei Sonnenuntergang am Berg), so wird es textlich auch auf den ersten fünfzig Seiten. Irgendwie weiss das Buch nicht recht, was es sein soll: Dokumentarisch und lästig sinnlich wird beschrieben, wie es auf einer Alp am Calanda Mitte 1900 zugeht, es wird jemand im Käskessi ermordet und auch an Erotik an den Berghängen spart Philipp Gurt nicht.
Als ich das Buch schon entnervt weglegen will, geht es so richtig los: Mit rasender Geschwindigkeit stürze ich in einen historischen Kriminalroman, bin mittendrin beim grossen Waldbrand 1943 und tauche erst auf den letzten Seiten wieder auf in meiner eigenen Realität. Als Älplerin finde ich «Graubündner Totentanz» ein wenig zäh, ich habe ja eine Ahnung davon, wie es früher als Sennerin war auf der Alp. Trotzdem würde ich den Calanda-Krimi allen empfehlen, die leichte und spannende Lektüre bevorzugen, und jenen, die mehr erfahren wollen über die spannende Geschichte von Chur. Anja Wittmann

Philipp Gurt
Graubündner Totentanz
Landjäger Caminada und die Sennerin

Broschur, 320 Seiten
Kampa Verlag 2023
978-3-311-12067-4, CHF 21.50

www.kampaverlag.ch

Schöne Landwirtschaft

Rico Kessler und seine Frau Claudia Staubli bewirtschaften seit mehr als zwanzig Jahren einen Bauernhof im Baselbieter Jura. Wobei er immer wieder betont, dass sie die ausgebildete Landwirtin und Betriebsleiterin ist. Kessler selbst arbeitet Teilzeit für Pro Natura. Das Buch zeigt uns eine Landwirtschaft, die keine zerstörten Agrarwüsten schafft, sondern ökologische Vorzeigeprojekte hervorbringt, wie z. B. neue Hecken für den Neuntöter.
Persönliche Beobachtungen und hofeigene Naturschutzinitiativen werden in einen grösseren Kontext von Agrarpolitik, historischen Entwicklungen und ökologischen Sachverhalten gestellt. Und doch liest sich das Buch wie ein modernes Märchen: worin sich keine persönlichen Dramen abspielen, niemand scheitert, auch wenn die knallharte Agrarpolitik Bauernfamilien in finanzielle Abhängigkeiten drängt und die kapitalistische Marktlogik die Welt regiert. Zum Glück, denn Rico Kessler und Claudia Staubli besitzen den notwendigen Idealismus weiterzumachen. (jm)

Rico Kessler
Stolze Kühe, krumme Rüebli
Unser Leben als Kleinbauern

Gebunden, 160 Seiten, 28 farbige Abbildungen
Hier und Jetzt 2022
ISBN 978-3-03919-557-2
CHF 41.90

www.hierundjetzt.ch

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