Bücher

Flugobjekt der Superlative

Der grösste aller Vögel in den Alpen. Knapp 3 Meter Spannweite, 5 bis 7 Kilo Gewicht. Maximale Nutzlast 2,5 Kilogramm. Das ist der Bartgeier. Im Himalaya siedelt er in Höhen bis 7500 m ü. M., fühlt sich aber am Rande der Wüste Gobi ebenfalls zu Hause. Er kann bis zu 25 Zentimeter lange Knochen in einem Stück verschlucken, auch wenn sie 6 Zentimeter breit sind. Da kann es dann 30 Stunden dauern, bis die sauren Magensäfte den Knochen vollständig aufgelöst haben. Knochen decken bis zu 90 Prozent des Futterbedarfs eines Bartgeiers, 200 bis 300 Gramm pro Tag genügen ihm. Trotzdem: Eine Bartgeierfamilie verspeist Knochengerüste von jährlich 50 bis 70 Steinböcken, Gämsen oder Schafen etc. Dies und noch ein grosser Haufen mehr an Flügelfedern und Knochengerüsten ist zu lesen – und auf schnabelscharfen Bildern zu schauen – im frisch herbeigeflogenen Bartgeierbuch aus dem Hause Haupt. Es geht um Ansiedlung, Leben und Tod des Bartgeiers in allen Aspekten. Und nicht zuletzt um unser Tun für und gegen ihn. Beim Barte des Geiers: ein abendverschlingendes Buch. gh

Weyrich, Baumgartner, Hegglin, Lörcher
Der Bartgeier

Seine erfolgreiche Wiederansiedlung in den Alpen

Haupt Verlag 2021
Geb., 248 Seiten, 206 Fotos
ISBN 978-3-258-08192-2
CHF 48.00
www.haupt.ch

Vom Wert des lokalen Wissens

Der Berliner Kulturanthropologe Christian Reichel ist zwischen 2011 und 2014 in Rahmen eines internationalen Forschungsprojektes der Frage nachgegangen, wie die Bewohner*innen des hochalpinen Safientals den längerfristigen Wandel des Klimas wahrnehmen und bewerten und vor allem, wie sie mit den neuen Herausforderungen umgehen. In seiner wissenschaftlichen, aber durchaus auch für Laien lesbaren Publikation stellt er nicht nur die Ergebnisse seiner offensichtlich mit viel Empathie durchgeführten «Feldforschung» vor, sondern bietet auch einen vertieften und hoch reflektierten Einblick in die methodischen Fragestellungen kulturanthropologischer Arbeit. Dabei plädiert er mit Blick auf Politik und Wissenschaft entschieden dafür, das breite und historisch tradierte lokale Wissen der Menschen vor Ort miteinzubeziehen, wenn es um die Realisierung technischer Massnahmen geht – seien das bauliche Schutzmassnahmen, Zonenpläne oder auch naturerhaltende Bewirtschaftungsformen. Das eigentlich Innovative am Projekt ist jedoch eine als Kommunikationsplattform gedachte online zugängliche Multimediakarte, in die das Wissen aller Akteur*innen bezüglich Naturgefahren wie Lawinen und Murgänge einfliesst. an

Christian Reichel
Mensch – Umwelt – Klimawande
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Globale Herausforderungen und lokale Resilienz im Schweizer Hochgebirge

transcript Verlag 2020
Kartoniert, 295 Seiten, 55 Abbildungen, Online-Karten
ISBN 978-3-8376-4696-2
CHF 56.90
Link zu den Karten: https://multimedia.transcript-verlag.de/safiental/

Das Lächeln der Bakterien

Kennt ihr das Zahlwort Quintillion? So sieht eine Quintillion aus: 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000. Mit ihr kann man gut beziffern, wie viele Bakterien es auf der Erde geben könnte, nämlich vier bis sechs Quintillionen – wissenschaftlich geschätzt. Ludger Weß portraitiert in seinem Bakterienatlas fünfzig Arten dieser knubbligen, haarigen, stachligen und sanftgliedrigen Wesen. Er macht dies mit Liebe, Fachwissen und einer gehörigen Portion Ehrfurcht. «Tiere und Pflanzen kommen und gehen, Bakterien aber bleiben und haben bisher noch jede erdgeschichtliche Katastrophe überlebt.» Insgesamt geht es in diesem äusserst schön gemachten Büchlein oft um Geburt und Tod mit gelegentlichen Blähungen. So finden wir Freunde wie Staphylococcus aureus und Escherichia coli oder Propionibacterium freudenreichii unter den Portraits. Klar, als Sennerinnen und Sennen versuchen wir Herr und Frau über die Bakterien zu sein, aber wer Augen und Ohren ins Buch versenkt, kann ein leicht überhebliches Schmunzeln der Bakterien vernehmen. Hört ihr es? gh

Ludger Weß
Winzig, zäh und zahlreich

Ein Bakterienatlas

Naturkunden Band 62
Matthes & Seitz 2020
Gebunden, 280 Seiten, 50 Abbildungen
ISBN 978-3-95757-842-6
CHF 35.90
www.matthes-seitz-berlin.de

Leben und Sterben und Leben

Was für ein schöner Gedanke: «Wenn ich tot bin, sollen mich Raben in die Lüfte tragen.» Der sich das wünscht, ist ein Freund des Biologen Bernd Heinrich und dieser hat ein Gelände in Maine, USA, auf dem er Leichen von Kühen und Schafen verrotten lässt und untersucht, welche Tiere bei welchem Wetter zu welcher Zeit usw. die Kadaver fressen. Das grüne Begräbnis verweigert Heinrich dem Freund, aber mit dessen Wunsch beginnt das Buch «Leben ohne Ende». Der Inhalt handelt von Metamorphosen lebendigen Materials in anderes lebendiges Material. Heinrich erzählt von Käfern, die Mäuse vergraben, von Pilzen, die sich Bäume einverleiben, von einem Pottwal, der sich unter Wasser in unzähliges Leben auflöst – überall wo ein Leben aufhört, wird es zum Futter. Dabei geht er wissenschaftlich vor, seine Studien lesen sich jedoch leicht: Es sind Geschichten eines neugierigen Forschers, gespickt mit Lebensphilosophie. Das Buch hat mich inspiriert. Letzten Sommer habe ich ein tot geborenes Kalb nicht vergraben, sondern in eine Steinwüste gelegt. Der Forscher darf alles. Wie lange würde es wohl dauern, bis der Fuchs, der Wolf, die Kolkis, die Würmer und Insekten den Kadaver verspiesen hätten? Nach einer Woche war praktisch nichts passiert, nach zwei Wochen waren Kopf und Bauch von Würmern zerfressen, nach drei Wochen musste ich weiterziehen. Wurde das Kalb, weil tot bereits vor der Geburt, vom Wildtier verschmäht? Ich weiss es nicht, aber Forschsetzung folgt. Eines jedenfalls ist gewiss: Es sind nicht unbedingt Raben, die einen in die Lüfte erheben, es können auch Würmer sein, die einen in den Boden wuseln. gh

Bernd Heinrich
Leben ohne Ende

Der ewige Kreislauf des Lebendigen

Naturkunden Band 48
Matthes & Seitz 2019
Gebunden, 203 Seiten, Illustrationen
ISBN 978-3-95757-618-7
CHF 48.90
www.matthes-seitz-berlin.de

Macht nicht nur satt

Vom Sura Kees im Montafon zum Höhlenkäse in der Türkei: Ursula Heinzelmann, Käseexpertin aus Deutschland, nimmt den Leser mit zu einem weltweiten, lesbaren Käse-Tasting. In 15 Kapiteln beschreibt sie die Individualität der einzelnen Sorten und unterstreicht diese dabei mit sehr persönlichen Porträts der Käsemacher:innen. «Käse ist immer Konzentrat und Ausdruck einer ganz bestimmten Situation. Er widerspiegelt Landstriche, Wirtschaft, Sozialordnung, Politik, Erinnerungen und Träume», so die Autorin. Für mich als Älplerin ist das zwar keine brandneue Erkenntnis – aber eine gute Erinnerung daran, dass mein Alpkäs nicht nur satt macht, sondern auch eine ganze Welt in sich trägt. Werde ihn in Zukunft mit mehr Achtung hinunterschlingen. Das Buch ist das richtige Geschenk für den geleckten Käsenerd aus Zürich. Oder für die Sennerin, die nächstes Jahr aus der Schotte mal was anderes machen will als Ziger oder Schweinefutter. Auf jeden Fall muss es zusammen mit einem Stück Käse verschenkt werden. Vielleicht ja ein schicker Mascarplin aus Graubünden. Wo’s den gibt, steht im Buch. js

Ursula Heinzelmann
Vom Käsemachen

Tradition, Handwerk und Genuss

Suhrkamp Insel Verlag 2018
Gebunden, 235 Seiten,
wenige Fotografien
ISBN 978-3-458-17767-8
CHF 29.90
www.suhrkamp.de

Komplexes gut erklärt

Du weisst alles über Ökonomie und alles über Freihandel – oder du bist dir bei beidem unsicher? Egal, dieses schmale Büchlein erklärt dem Unwissenden vieles und der Alleswissenden wird das Wissen an den rechten Ort platziert. Binswanger kann einen komplexen Sachverhalt so aufdröseln, dass einem das Lichtlein aufgeht, auch wenn man von Elektrizität nichts versteht. Zuerst legt Binswanger dar, woher das Mantra kommt, dass steigender Wohlstand den Freihandel benötige und dass es ein alter Gipsvogel ist, der da in den Köpfen der Ökonomen nistet. Wobei es ihm dabei in erster Linie um den Agrarfreihandel geht, nicht um den Freihandel bei anderen Gütern und Diensten. Als Zweites erklärt er, wieso der Bauer immer weniger verdient, hingegen die Verarbeitung und der Handel immer mehr. Als Drittes: Agrarfreihandel nützt den Bauern in Entwicklungsländern nichts, sie geraten dadurch in dieselbe landwirtschaftliche Tretmühle wie die Bauern hier: Immer mehr produzieren zu immer günstigeren Preisen. Binswangers Fazit: «Freihandel führt nicht zu befreiten Bauern, sondern zur Befreiung vieler Länder von ihren Bauern.» Ueli Maurer und Bundesamt für Landwirtschaft: Bitte lesen. gh

Mathias Binswanger:
Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel

Gebunden, 100 Seiten
Picus Verlag 2020
ISBN 978-3-7117-2094-8
CHF 21.50
www.picus.at

Der optimistische Wanderer

Wir erinnern uns an die whatsalp-Tour von Wien bis Nizza dem Alpenbogen entlang, 1800 Kilometer, 119 Tage (zalp 29/2018). Einer, der schon bei TransALPedes 1992 dabei war, der Geograf Dominik Siegrist, erzählt im «Alpenwanderer» aus persönlicher Sicht seine Eindrücke. Was hat sich in den 25 Jahren verändert, wie ist der heutige Stand von Leben, Wirtschaft, Tourismus, Kultur, Natur? Oder mit anderen Worten: Wie steht es mit der Abwanderung und Überalterung, mit Verwilderung und Kulturlandverlust, mit der Verschandelung und Umweltzerstörung durch Energiekonzerne, Tourismusorganisationen und Autobahnlobby? Wenn man sich durch die chronologischen Tagebucheinträge und die leider sehr kurz gehaltenen «Themenfenster» liest, wird einem bewusst: Es ist wie anderswo auch. Was an Natur oder Kulturlandschaft, an Dorfleben mit diversen Initiativen gerettet werden wollte, hat teils funktioniert und teils nicht. Die whatsalp-Wandersleute verköstigen sich zwar vermehrt mit regionalen Produkten auf Bio-Bauernhöfen, aber ebenso sind Gebiete verlassen worden, konnten Strassenprojekte nicht aufgehalten werden, ist der «Funpark Alpen» ausgebaut worden. Siegrist bleibt insgesamt optimistisch, nur wird einem nicht ganz klar, wieso. gh

Dominik Siegrist:
Alpenwanderer

Eine dokumentarische Fußreise von Wien nach Nizza

kartoniert, 232 Seiten
Haupt Verlag 2019
ISBN 978-3-258-08122-9
CHF 29.–
www.haupt.ch

Historischer Tanz auf der Allmende

In elf Beiträgen geht es um das gemeinsame Bewirtschaften von Land. So, wie wir es von der Alp her kennen: mit Genossenschaften und Korporationen. Das Buch diskutiert und behandelt in meist historisch orientierten Beiträgen, wie man das macht, machen kann, woher das kommt, wohin das gehen könnte, wie man das alles sehen kann und wie es von WissenschaftlerInnen verschieden gesehen wird. Dabei geben sich die Beiträge etwas sperrig, ausser man kann neben Deutsch auch gut Französisch und Italienisch und versteht diese drei Sprachen in wissenschaftlich geprägter Form. Interessant sind die Artikel zu den Aushandlungen: Welche Kräfte wirkten in welcher Form auf das Miteinander beim Bewirtschaften der Alpen? Wie agierten Gemeinde, Kanton, Bund, Interessengruppen wie Forst, Umweltschutz, Schweizerischer Alpwirtschaftlicher Verein, und wie die Bauern und Älpler? Was löste ein Alpkataster, was lösten die ersten Subventionen aus? Wie haben sich die Genossenschaften/Korporationen entwickelt? Können wir von diesem Rückblick für das Weitergehen etwas lernen, profitieren? Antworten und Diskussionen dazu im Buch. gh

Head-König, Lorenzetti, Stuber, Wunderli (Hg.):
Pâturages et fôrets collectifs / Kollektive Weiden und Wälder

Économie, participation, durabilité / Ökonomie, Partizipation, Nachhaltigkeit

kartoniert, 296 Seiten
Chronos 2019
ISBN 978-3-0340-1533-2
CHF 38.00
www.chronos-verlag.ch

Ein lehrreiches Buch für jede Alphütte

Dem aufmerksamen Beobachter verraten Alpenpflanzen mit ihrem jeweilig spezifischen Wuchs und ihren eigenwilligen Blüten- und Blätterformen viel über Überlebensstrategien im klimatisch anspruchsvollen Alpenraum. Dieses Buch hilft einem beim Erkennen dieser Merkmale. In einer kurzen Einleitung zeigen die Autoren den geschichtlichen Hintergrund der Alpenpflanzen auf und mit welchen Strategien sie die vielfältigen Lebensräume der Alpen besiedeln konnten. Einige Arten sind nach Lebensräumen geordnet, andere nach Überlebens- oder Vermehrungsstrategien. Neben den Samenpflanzen haben auch einige Bärlappe, Farne und Flechten den Weg in das Buch gefunden. Die mit dem Lebensraum einhergehende «Überlebensstrategie» ist für jede Art kurz beschrieben. So erfährt der und die Lesende z. B. spannende Details über Sinn und Funktion glänzender Blätter bei der Silberwurz an sonnigen oder den Vorteil des Polsterwuchses des Schweizer Mannsschilds an kalten Standorten. Die anatomischen Merkmale der 50 Arten beschreiben die Autoren mit genauer Beobachtungsgabe in den Artenporträts, welche mit Illustrationen ergänzt werden. Interessant sind auch die Abschnitte über Vorkommen und Verbreitung der Pflanzen sowie deren Wirkung als Heilpflanzen. Der Einfluss des Menschen auf die Alpenpflanzen wird kritisch dargestellt und regt zum Nachdenken an. Die Symbiose von einfach verständlichen sowie wissenschaftlich fundierten Details über die spannenden Arten macht dieses Buch zu einem unverzichtbaren Bestandteil für jede Alp- oder Berghütte. Martin Götsch

Schauer, Caspari:
Überlebenskünstler

50 aussergewöhnliche Alpenpflanzen

Gebunden, 256 Seiten, viele Bilder und Illustrationen
Haupt Verlag 2019
ISBN 978-3-258-08079-6
CHF 39.00
www.haupt.ch

Zum Beispiel die Gestaltungsmacht der Rinder

Schöne Bücher animieren zum Lesen. Wenn dann auch noch der Inhalt überzeugt, sind wir rundum angeregt – ein Glücksfall. Das Gleiche gilt für Webseiten. Wer mal (wieder) eine solche Erfahrung machen will, gebe www.aether.ethz.ch ein und freue sich über die Kreativität, die einem da entgegensprudelt. Für die dritte Ausgabe der ETH-Reihe Æther haben sich WissenschaftlerInnen mit der Alpenforschung um 1750 auseinandergesetzt. Sie haben Bilder, Gegenstände und Texte von damals angeschaut und gelesen und dann jene Themen bearbeitet, die sie bei dieser Durchsicht besonders faszinierten: die Gestaltungsmacht der Rinder zum Beispiel; das Himmelsblau als Thema und Fragen von Landschaftsmalerei und Alpinismus; das nomadisierende Leben der Bergbevölkerung; die Vermarktung von Alpenprodukten und anderes mehr. Eine bunte Text-Bild-Mischung ist dabei entstanden, geistiges Stimulans und Augenweide in einem. Rahel Wunderli

Æther 03:
Montan-Welten

Alpengeschichte abseits des Pfadesn

intercom Verlag 2019
Online: www.aether.ethz.ch
Printausgabe: www.intercomverlag.ch/shop

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