Bücher

Wo denn sonst?

Sterben in den Bergen – ja wo denn sonst? Der Möglichkeiten sind viele: im Bett, im Stall, in der Felsspalte, auf der Kinoleinwand, unter der Lava, im Eis, in der Lawine, im Tunnel, im Krieg, als Nahrung für die Berggottheiten, unter einer Mutterkuh. Von Letzterem berichtet dieses Buch zwar nicht, aber ansonsten wird vom Sterben berichtet, so weit die Zeitachse reicht und so weit die Berge sich auf der Erdkugel erheben. Thematische, geografische und historische Breite also. Das Buch ist der Zusammenzug von 24 Vorträgen am Montafoner Gipfeltreffen 2016 im österreichischen Schruns. Wir lesen zum Beispiel vom «Jahr ohne Sommer» 1816, wo das Vieh wegen Schneefalls dreimal von den Alpen runtermusste, die Ernten in Europa aufgrund von Vulkanausbrüchen, klimatischen und politischen Wirren knapp ausfielen, der Hunger ein historisches Mass erreichte. Auf den Teller kamen gesottenes Heu, Blacken, frisches Gras, Wurzeln. Auszehrung und Lungensucht rafften viele Menschen dahin, auch von einem erfrorenen Alphirten ist die Rede. Oder wir lesen von Tod und Gemetzel in Heimatfilmen, von Intrigen gepaart mit der Kraft von Lawinen und Gewehren, über allem thront die unbezwingbare Natur usw. Ein Beitrag reist knapp vor das gelobte Land, wo Mose auf Gottes Befehl auf den Berg Nebos steigt und zum letzten Mal mit Gott spricht. Der Berg als Ort, wo Mose berufen wurde, wo Mose seinen Bruder begraben hat, wo Mose Gebote und Gesetze Gottes erhalten hat, wo Mose stirbt. gh

Kasper, Rollinger, Rudigier (Hg.):
Sterben in den Bergen

Realität – Inszenierung – Verarbeitung

Gebunden, 461 Seiten
Böhlau Verlag Wien 2018
ISBN 978-3-205-20012-3
CHF 52.90
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Faszinierend

Die Autorinnen nehmen uns mit auf ihre Reisen rund um die Welt der Landwirtschaft und wie sie sein könnte, wenn wir begreifen würden, dass alles miteinander in Beziehung steht: Mensch, Tier, Pflanze, Boden. Wir besuchen eine Mikrofarm in Frankreich, die grösste solidarische Landwirtschaft in Südkorea, wir diskutieren über den Bauernlohn, ob wir Tiere töten dürfen und wie wir von der Gen-Baumwolle wegkommen. Daneben erfahren wir, dass Erbsen Ohren haben, dass der Regenwurm ein Bioturbator ist und wie die Ulmen mit Parfum gegen den Ulmenblattkäfer vorgehen. Das alles ist verständlich geschrieben, spannend zu lesen und manchmal macht es Knack im Hirn. Zum Ende des Buches wünscht man dessen Gedankengut in die Etagen des Bundesamts für Landwirtschaft und auf die oberen Heubühnen des Schweizer Bauernverbands. In der Hoffnung, sie würden aus ihren Tretmühlen von «immer grösser, immer effizienter» hinausfallen. Von uns haben sie je ein Buch bekommen. gh

Florianne Koechlin, Denise Battaglia:
Was Erbsen hören und wofür Kühe um die Wette laufen

Verblüffendes aus der Pflanzen- und Tierwelt

gebunden, 250 Seiten
Lenos Verlag 2019
ISBN: 978-3-85787-490-1
CHF 33.50
www.lenos.ch

Was sagt mir die Zahl 17?

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Erstens: Befragung von 6 BewohnerInnen des Maderanertals, unterschiedlich in Bezug auf Alter, Geschlecht, Ausbildung, Beruf usw., zu ihrer Einstellung zur Wildnis. Befund: Eher skeptisch. Zweitens: Befragung von 24 Fachexperten verschiedener Kantone aus Forst, Umweltschutz, Jagd, Landwirtschaft, Tourismus, Raumentwicklung. Ihre Antwort: Es braucht unberührte Gebiete, jedoch lieber woanders als im eigenen Kanton. Drittens: Wildnis-Inventar der Schweiz aufgrund diverser Kriterien und Einschätzungen von Wildnisexperten; Arealstatistik-Vergleich der letzten 24 Jahre. Fazit: 17 Prozent. 17 Prozent Wildnisfläche. Neben den Schutzgebieten Sihlwald und Nationalpark liegen diese Gebiete vor allem im Hochgebirge und rund um die Gletscher. Was sagt mir diese Zahl? Ist das viel oder wenig? Bezogen auf was? Die Kriterien für die Wildnisbeurteilung werden zwar ausführlich erörtert, aber ebenso die vielen Unklarheiten bei der Erhebung der Daten. Was wollen wir von der Wildnis? Muss sie uns nützen oder wollen wir Wildnis nur der Wildnis wegen? Diesen Eindruck hinterlässt das Buch, auch wenn die AutorInnen Aspekte wie Naturerfahrung, Tourismus, Ökoksystemleistungen, Ressourcenschonung, Bildung und Forschung mit in die Wildnisdiskussion tragen. Wer mitreden will, soll lesen. gh

Moos, Radford, von Atzigen, Bauer, Senn, Kienast, Kern, Conradin:
Das Potenzial von Wildnis in der Schweiz

kartoniert, 145 Seiten, 30 Abb., 8 Tab.
Haupt Verlag 2019
ISBN: 978-3-258-08112-0
CHF 36.00
www.haupt.ch

Ein Buch für Kämpfer

Die Autoren konstatieren, dass die Einführung von Umweltmassnahmen bei der Landwirtschaft keine Verbesserungen bei der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität gebracht haben. Sie benennen den Stickstoffeintrag als hauptsächlichen Treiber einer umweltzerstörenden Landwirtschaft – aber seien wir ehrlich, es sind die Menschen. Kurzum: Zuviel Dünger, zuviel importierte Futtermittel, zuviel Heuschnitte, zuviel Pestizide, zuviel Ausrichtung auf industrielle Landwirtschaft bedeutet weniger Biodiversität und weniger Bodenfruchtbarkeit. Der Ausweg aus diesem Dilemma: «Regenerative Milch- und Fleischproduktion». Damit ist gemeint, dass wir mit Mensch, Tier und Natur so umgehen, das sie sich immer wieder regenerieren können. Anhand einer Modellhochrechnung, zweier Hofportraits und zigtausend Zahlen wird bewiesen, dass eine regenerative Landwirtschaft möglich, sinnvoll und erstrebenswert ist. Für die Kühe heisst das: Gras, Heu, Rauhfutter – kein Kraftfutter, kein Silomais. Für die Bauern: extensivere, ökologische Landwirtschaft mit weniger Tieren. Für die Konsumenten: Weniger Fleisch verzehren. gh

Stolze, Weisshaidinger, Bartel, Schwank, Müller, Biedermann:
Chancen in der Landwirtschaft in den Alpenländern

Wege zu einer raufutterbasierten Milch- und Fleischproduktion in Österreich und der Schweiz

kartoniert, 173 Seiten, 24 Abb., 17 Tab.
Haupt Verlag 2019
ISBN: 978-3-258-08099-4
CHF 36.00
www.haupt.ch

Kommt mal runter von der Kuh (1)

Die zwei Bücher «Kuhhorn» und «Von der Würde der Kuh» scharwenzeln um das Themenfeld «Kuh» und unseren Umgang mit ihr. Wir wissen, die Kuh, das Rind ist ein tolles Tier, ein Tier wie wir. Jetzt muss man aber eine Kuh nicht zum Kulttier machen, nur weil sie zuerst unsere Kulturlandschaft frisst und dann auf unserem Teller landet, man muss ihr Wesen nicht übermässig überhöhen und es ist unnötig, die Kuh an ihren Hörnern aufzuhängen um ein Medienstar aus ihr zu machen, weder als methanausstossendes Monster noch als leuchtendes Wesen voller Güte und Liebe – erstes ist Schwachsinn zweites Vermenschlichung (auch daneben).

David Hunziker:
Kuhhorn

Die Würde der Kuh und die Grenzen der industriellen Landwirtschaft

Hardcover, 164 Seiten
AT Verlag 2018
ISBN 978-3-03800-997-9
CHF 19.90
www.at-verlag.ch

Kommt mal runter von der Kuh (2)

Inhaltlich sind sich die beiden Bücher ziemlich ähnlich, es kommen weitgehend dieselben Leute zu Wort. In beiden Büchern finden sich Wissenschaft, Kosmos, Gesellschaftskritik, am Rande etwas Philosophie zum Tier «Kuh» und zum Tier «Mensch». In beiden lesen wir Vieles, was wir an Geräuschen rund um die Kuhhorn-Initiative schon vernommen haben. Das Buch «Kuhhorn» tendiert in Richtung Gesellschaftskritik und Philosophie, das Büuch «Würde» in Richtung Esoterik und Wiedergekäutem aus Martin Otts «Kühe verstehen». Die grossen Fragen: wie geht richtiges Bauern, wie geht eine Landwirtschaft ohne Ausbeutung von Boden und Tieren, diese Fragen werden vielfältig diskutiert – aber sie bleiben. Denn um unsere Beziehung zur Kuh geht es nur am Rande, wenn wir die Kuh in den Stall der Landwirtschaftspolitik stellen. Deren Maxime bleibt weiterhin: Grösser und effizienter, wie dumm und dümmer das auch ist. Da wünscht man sich als Leser, als Leserin mehr Bücher zum Thema «die Würde der Bauern und warum sie verloren geht». gh

Martin Ott, Armin Capaul, Anet Sprengler Neff, Christian Butscher, Eva-Maria Wilhelm:
Von der Würde der Kuh

Aufsätze und Gespräche

Gebunden, 139 Seiten
Fona Verlag 2018
ISBN 978-3-03781-097-2
CHF 28.00
www.fona.ch

Archäologie auf den Alpen

Spätestens seit dem Boom um Ötzi gehört es zum Allgemeinwissen, dass die Alpen in prähistorischer Zeit kein menschenleerer Ort waren. Und spätestens seit einem gross angelegten archäologischen Forschungsprojekt im schweizerisch-österreichischen Grenzgebiet der Silvretta ist bekannt, dass auch die hochalpine Weidewirtschaft inkl. Milchverarbeitung bis ins dritte Jahrtausend v. Chr. zurückreicht. Weitaus weniger im Fokus des Interesses stehen jedoch die mehr oder weniger sichtbaren Überreste von Alphütten, die als Zeugen der historischen Alpwirtschaft praktisch auf jeder Alp zu finden sind. Angesichts der beschränkten finanziellen Mittel werden solche alpine Wüstungen, d. h. in historischer Zeit aufgelassene Gebäude, höchstens dann untersucht, wenn sie durch Bautätigkeiten zerstört werden. Auch die umfangreiche Dokumentation von knapp vierhundert Trockenmauern im östlichen Berner Oberland auf rund 1400 bis 2000 m ü. M., auf die sich Brigitte Andres in ihrer Dissertation stützt, hängt mit Plänen zusammen, die Infrastruktur der hochalpinen Skigebiete auszubauen. Während der sorgfältig erarbeitete Katalogteil trotz seiner Anschaulichkeit eher etwas für Fachfrauen und -männer ist, bietet der Text für alle an der Geschichte der Alpwirtschaft Interessierten eine Fülle an Informationen. Obwohl Fachliteratur, ist der Text gut verständlich geschrieben und angenehm zu lesen. an

Brigitte Andres:
Alpine Wüstungen im Berner Oberland

Ein archäologischer Blick auf die historische Alpwirtschaft in der Region Oberhasli
 
gebunden, 364 Seiten, 187 Abbildungen
Schweizer. Burgenverein 2017
ISBN 978-3-908182-26-9
CHF 70.–
www.burgenverein.ch

Ein Winkel voll Herrgott

Das Buch «Geister, Bann und Herrgottswinkel» zeigt mit vielen Bildern, Informationen und Geschichten, wie sich unsere Vorfahren gegen Geister, Gespenster und andere Bedrohungen zu wehren versuchten. Es erzählt von Zauberbüchern, von christlichen und vorchristlichen Symbolen in Haus und Stall, von Geisterzimmern, von starken Kreuzen, Medaillons und Amuletten, von Kraft besonderer Kräuter, von Zauberwurzeln und Hufeisen, von Lärmbräuchen, von Fruchtbarkeitsritualen und Liebeszauber.

Das Buch führt die LeserInnen auf eine Gratwanderung zwischen Glauben und Aberglauben und animiert zu einer spannenden Auseinandersetzung mit unserer «geistigen» Heimat. Ein sagenhaftes Sagenbuch. gh

Hanspeter Niederberger, Christoph Hirtler:
Geister, Bann und Herrgottswinkel

 
bildfluss-Verlag
Neuauflage Altdorf 2017
ISBN 978-3-9524501-2-3
CHF 50.–
www.bildfluss.ch

Mit Hilfe der Kolkraben

Geschichtlich beginnt das Buch im 16. Jahrhundert mit hölzernen Gämsfallen und dem Ausgraben von Murmeltieren, konzentriert sich dann aber ausführlich auf die Jahre 1910 bis 2014. Haller hat lange recherchiert und legt Fälle von Wilderei (und Morde an Wildhütern) sachlich dar, mittels Karten, Diagrammen und Bildern. Im Nationalpark sind Zahlen zur Wilderei bekannt: In 100 Jahren wurden 77 Wildererbeuten festgestellt: 34 Gämsen, 28 Rothirsche, 9 Alpensteinböcke, 3 Rehe und 3 Steinadler. Rundherum schleicht sich jedoch die Dunkelziffer: Da die Gesetze in den drei Ländern unterschiedlich streng sind, wird Wild über die Grenze getrieben oder mit Salzlecksteinen in das Land mit den weniger straffen Gesetzen gelockt. Die Ausführungen zur heutigen Lage zeigen, dass die Wilderei im Dreiländereck zurückgegangen ist, wenn sie auch in Italien noch beliebter ist als in Österreich oder der Schweiz.

Haller versucht ferner den Gründen von Wilderei nachzugehen, Verständnis hat er indes nicht. Sein Psychogramm zu den modernen Wilderern: Es habe darunter «Draufgänger ebenso wie Duckmäuser, Machtmenschen und Materialisten, Rebellen wie Romantiker und viele andere». gh

Heinrich Haller:
Wilderei im rätischen Dreiländereck

Grenzüberschreitende Recherchen mit einer Spurensuche bis nach Tibet
 
gebunden, 304 Seiten
Haupt Verlag, Bern 2016
ISBN 978-3-258-07965-3
CHF 39.–
www.haupt.ch

Das Nutztier als Produkt einer spezifischen Form von Biopolitik

Wie wir Tiere nutzen, unterliegt einer ständigen Neuorientierung, in Bezug auf die Haltung wie auch auf die Verwertung für Nahrungsmittel oder Kleider. Einerseits bestimmen BürgerInnen, PolitikerInnen, Grossverteiler und die Agrarwissenschaft, wie Tiere gehalten und verwertet werden, andererseits haben es die Bäuerinnen und Bauern selbst in der Hand, wie sie mit ihren Tieren umgehen.

Das Buch «Tiere nutzen» beschreibt in 12 Beiträgen die Haltung und Nutzung von Tieren sowie deren Tötung aus unterschiedlichen Blickwinkeln, meist von Deutschland und Österreich aus geschaut.

Befremdlich wirkt, dass die AutorInnen vielfach von Akteuren, von Produzenten, von Ökonomien, von Verbrauchern, von Konsumierenden und Gesellschaften sprechen, aber kaum konkret benennen, wer genau was macht. Eindeutige Bezeichnungen wie «Bauer» und «Metzger» kommen praktisch nicht vor, sie sind «Akteure in der Produktionsökonomie». Tiere tauchen oft in Umschreibungen wie «organisches Material einer komplexen und undurchsichtigen Versorgungsökonomie» auf. Man bekommt den Eindruck, die Wissenschaftler würden Tiere lieber mit Kamera, Feldstecher und Literaturauswertung anschauen, als ihr Gefieder und Fell zu kraulen. gh

Lukasz Nieradzik, Brigitte Schmidt-Lauber (Hg.):
Tiere nutzen

Ökonomien tierischer Produktion in der Moderne
 
212 Seiten, Broschur
StudienVerlag, Innsbruck 2016
ISBN 978-3-7065-5568-5
ca. CHF 35.–
www.studienverlag.at

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