Bücher

Agrarwirtschaft diskutieren

Wir kaufen «Ernährung» ein, wir kochen, wir essen, wir verdauen, wir scheissen sie. Am Rande ist uns bewusst, dass wir uns damit nicht nur existenziell am Leben erhalten, sondern auch die Ausgestaltung der Landwirtschaft beeinflussen. Als Konsumenten können wir die Frage, wie man «Ernährung» herstellen soll, nicht der Politik überlassen – sie vertritt ihre meist wirtschaftlichen Eigeninteressen, forciert industrielle Landwirtschaft und verhindert keinen Hungertoten. – Okay, kein Alpthema. Aber nach all den lauschigen Portraitbüchern, schnusligen Erlebnisberichten, folkloristischen Heimatfilmen der letzten Jahre, darf es auch wieder mal schwerer verdauliche Kost sein. Der «widerspruch Nr. 64» diskutiert in spannenden Beiträgen, wie wir vom Agrobusiness zur Agrikultur gelangen könnten. Unsere Empfehlung zur Pflichtlektüre für den Sommer 2014. gh

Widerspruch 64
Ernährung – Agrobusiness oder Agrikultur

 
208 Seiten,broschiert
Widerspruch, Zürich 2014
ISBN 978-3-85869-592-5
CHF 25.–
www.widerspruch.ch

Ausgedehnte Stafelwirtschaft

Zu einer Alp gehört für uns eine gut ausgebaute Alphütte und ein gemauerter Stall. Um die unterschiedlichen Höhenstufen geeignet zu beweiden, können es drei Stafel sein, eventuell ergänzt durch feste oder mobile Melkstände. Alther beschreibt in ihrem Buch eine weiter ausgedehnte Bewirtschaftungsform, bei der Käsereigerätschaften, Vieh und Zeltplane pro Sommer auf bis zu 17 Stationen gezügelt werden. Auf der Alp Trona Soliva im Veltlin melkt und käst die Familie Manni heute noch mit einfachsten Mitteln bei und in rudimentären Steinmauern, dem «Calécc», geschützt durch eine zügelbare Zeltplane als Dach. Gemolken wird von Hand, hergestellt wird zweimal täglich «Bitto» (Käse) und «Maschérpa» (Ziger) aus Kuh- und Ziegenmilch.

15 Alpbetriebe betreiben diese traditionelle Bewirtschaftungform noch. Hygienerichtlinien, Strassenbau und ganzjährige Talproduktion des «Bitto»-Käse machen ihre Existenz jedoch ungewiss. Wenn das reich bebilderte Buch von Alther einen Beitrag zum Bestehen der Caléec-Wirtschaftsweise und nicht nur zur Musealisierung leistete, wäre das toll. gh

Yolanda Alther:
Vertikal Mobil

Ein Beitrag zum Verständnis alpiner Wirtschaftsformen in der Archäologie
 
136 Seiten,broschiert
140 Schwarz-Weiss-Bilder
Archäologischer Dienst Graubünden, Südostschweiz Buchverlag, Chur 2014
ISBN 978-3-906064-24-6
CHF 24.–
www.somedia-buchverlag.ch/

Bestandesaufnahme Alpwirtschaft

Das Buch, das die Ergebnisse von 80 Forschenden aus 17 Institutionen während 5 Jahren zusammenfasst, bietet für Leser ausserhalb der Alpwirtschaft eine gut lesbare, verständliche Bestandsaufnahme der momentanen Bewirtschaftung der Alpen mit all ihren Facetten (Futterpotenzial, Tierwohl, Tiergesundheit, Arbeitsort, Produkteherstellung, Tourismus, Landschaftspflege). Wer in der Alpwirtschaft schon etwas länger arbeitet, wird nur punktuell Neues erfahren. Forscher können wohl Daten erheben, Statistiken erstellen und Zahlen in Grafiken zusammenfassen, das Wissen und die Erfahrung über die Alpwirtschaft ist aber bei den Leuten, die auf den Alpen arbeiten.

Dem Buch liegen zwei Film-DVDs bei: Auf der einen DVD erzählen Älpler über ihre Weideführung und -pflege (sehenswert), auf der anderen flimmert der Film Sommerzeit, der ein paar Forscher von AlpFutur auf ihren Alpwegen begleitet (überflüssig). gh

AlpFUTUR:
Zukunft der Schweizer Alpwirtschaft

Fakten, Analysen und Denkanstösse aus dem Forschungsprogramm AlpFUTUR
 
198 Seiten, broschiert
viele Farbbilder
2 DVD
WSL und Agroscope ART, 2013
ISBN 978-3-905621-55-6
CHF 30.–
www.wsl.ch

Lasst die Hörner los

Wenn es um die Bedeutung der Hörner für die Kuh geht, geht es auch um Kühe ohne Hörner. Denn würden wir nicht enthornen oder hornwegzüchten, dann müssten wir uns nicht über des Horns Bedeutung unterhalten, es wäre einfach an der Kuh wie das Ohr, der Schwanz, die Glocke und die TVD-Nummer. Das ideologisch vernagelte Diskussionsfeld rund um die Hörner hat die Grösse einer unendlichen Kuhhaut, aber schlussendlich kappen wir die Hörner, weil wir es können und die Kuh oder Geiss nicht stirbt, sondern auch hornlos Milch und Fleisch liefert. Die Broschüre bleibt hier eher sachlich, wenn auch der biodynamische Hintergrund der AutorInnen durchschimmert. Kurz und informativ wird auf Beschaffenheit und Aufbau des Horns sowie der Klauen eingegangen, die Wichtigkeit der Hörner für den Stoffwechsel sowie für das Selbstbewusstsein und die Herdenhierarchie der Tiere wird erklärt. Man erfährt, wie die Hörner mit der Ausgestaltung des Körpers zusammenhängen und wie sich die Hörner beim Embryo entwickeln, und man kennt nach der Lese den Unterschied zwischen Horn und Geweih. Lektüre für die, die es schon immer wussten, aber vor allem für die, die es noch wissen sollten. gh

Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL (Hrsg.):
Die Bedeutung der Hörner für die Kuh

 
16-seitige Broschüre
FiBL, Frick 2015
ISBN 978-3-03736-272-3
CHF 9.– EUR 7.–
www.fibl.org

Es klopft, es schellt, es glingelet

Ob Schölle oder Klopfe, ob Rumpla, Glungge, Bisse oder Plümpe – Glocken und Treicheln werden auf der ganzen Welt geschwungen und geschlagen um Unheil zu vertreiben, Olympische Spiele einzuläuten, die Zeit anzugeben, dem Nachbar den Schlaf zu rauben, eine Geburt oder den Tod zu verkünden, die Alpzeit einzuläuten usw. Nutzen, Brauchtum und handwerkliche Herstellung werden im Buch mit vielen Bildern und in ausführlichen Texten aufgezeigt. Eine kurze Klanganalyse wird erstellt, der Schellenriemen und seine Verzierungen näher betrachtet, Sammler und Händler kommen zu Wort. Kurz: Ein umfassender Einblick in die Glockenkunde. gh

Claude Quartier, Robert Schwaller:
Glocken und Treicheln

Tradition, Handwerk, Kultur
 
184 Seiten, gebunden
240 Farbfotos
AT Verlag, Aarau 2013
ISBN 978-3-03800-668-8
CHF 44.90

Gut und Bös

Zwei Philosophen aus Wien erkunden den Alpenraum, um von den dort lebenden Menschen Weisheiten und Wahrheiten nach Hause zu bringen. Das klingt spannend, doch leider misslingt die Mission. Und nervt. Die Autoren präsentieren die Alpenbewohner als hehren und edlen Menschenschlag, seiner Scholle und der Gemeinschaft verpflichtet, moralisch und geistig sauber wie quellfrisches Wasser. Laut Buch hat der Alpenbewohner weder Handy noch Satellitenfernsehen, ist weder besoffen noch intrigant, schlägt weder Frau noch Kind, ist weder bei der FPÖ noch bei facebook, denn sein alleiniges Ansinnen ist es, schöne Häuser zu bauen, den Nachbarn zu lieben und brav die Steuern zu bezahlen. Ja gopfertammi, wo sind wir denn hier gelandet? Die Philosophen haben es verpasst, die Elemente des alpinen Lebens in realistischen Lebensentwürfen darzustellen, sie machen aus der ländlichen Lebensweise eine Gegenwelt zur städtischen, die sie als verdorben empfinden. Das Land ist gut, die Stadt ist bös, das Buch ist dumm, das ist schade. gh

Rahim Taghizadegan, Eugen-Maria Schulak:
Die Alpenphilosophie

Eine Spurensuche nach vergessenen
Weisheiten und Werten
 
272 Seiten, gebunden
viele Farbbilder
Servus 2015
ISBN 978-3-7104-0004-9
CHF 31.50, EUR 21.95

Symbolfigur von Horn bis Schwanz

Es ist nicht das erste Buch zur oder über die Kuh, und da die Schweizer Kuh unsterblich scheint, wird es nicht das letzte sein. Möglicherweise täuscht aber auch der Titel, denn im Buch geht es – trotz der vielen vielen Abbildungen der Kuh in der Kunst, in der Werbung und als Gebrauchskuh im Stall, auf der Weide, in der Besamungsstation, in der Metzgerei – um uns selbst, quasi um den «Schweizer» in der Kuh. Nach 200 Seiten blättern, schauen, sinnieren kommt es einem unglaublich vor, dass die Kuh noch als Freundin neben uns steht. Neben uns, die wir sie als multifunktionales Wappentier und in der Werbung benutzt, als Hochleistungstier missbraucht und in der Kunst und in der Politik für jedwelche Zwecke entehrt haben. Wer wären wir, wenn wir dieses genügsame Tier nicht hätten ... gh

Marc Valance:
Die Schweizer Kuh

Kult und Vermarktung eines nationalen Symbols
 
212 Seiten, gebunden
244 farbige und 9 sw Bilder
hier + jetzt, Baden 2013
ISBN 978-3-03919-291-5
CHF 59.–
http://shop.hierundjetzt.ch

Weisser Rohstoff

Die deutsche Agrarwissenschaftlerin Andrea Fink-Keßler erzählt die Geschichte der Milch von den Anfängen bis zur grossindustriellen Nutzung. So weit die schriftlichen Dokumente zurückreichen, erleben wir die Kulturgeschichte der Milch in vielen Teilen der Welt, von der ersten Nutzung für den Heimgebrauch über die bäuerliche Wirtschaft bis hin zur Massenware Milch, mit der gehandelt und spekuliert wird. Dabei gerät auch die Ausnutzung der Kuh und des Bodens ins Visier, mitsamt allen Unsinns, die sich die moderne Gesellschaft leistet. Anfänglich ein Nahrungsmittel, wird die Milch denaturiert zum reinen Verkaufsartikel. Politiker, Bauern, der Handel – keiner, der nachdenkt, wohin die Milchstrasse führen wird, aber alle brausen auf ihr munter los. Ein Buch mit einer Fülle von Informationen, die eine Tause überschäumen lässt. gh

Andrea Fink-Keßler:
Milch

Vom Mythos zur Massenware
 
286 Seiten, gebunden
oekom, München 2013
ISBN 978-3-86581-311-4
CHF 27.90
www.oekom.de

Hah: Erkannt!

Was ist das jetzt wieder für eine Maus, die zerquetscht in der Falle hockt? Und im Feldstecher: War das ein Wiesel, ein Hermelin oder ein Marder? Von welchem Tier stammt der Kot am Wegrand, was für ein Tier hat diese Tatzenspur hinterlassen? Fragen über Fragen, die sich den neugierigen ÄlplerInnen stellen. Antwort gibt das reichbebilderte Buch von Laura Canalis über die 86 Säugetierarten in den Alpen. Jedes Tier wird mit Grösse, Gewicht, Aussehen, Silhouette, Nahrung, Lebensraum – und welchem anderen Tier es als Nahrung dient – näher beschrieben. Individuelle Verhaltensweisen, ohne allzusehr in die Tiefe zu gehen, ergänzen die Bestimmungsdaten. Ein Glossar, weitergehende Literatur und Internetlinks runden das Buch ab. Umweltfaktoren wie Klimaerwärmung, Ozongehalt in der Luft oder die Auswirkung der Alpwirtschaft auf den Lebensraum der Tiere werden leider nicht thematisiert. gh

Laura Canalis:
Säugetiere der Alpen

Der Bestimmungsführer für alle Arten
 
270 Seiten, 400 Farbfotos
Flexibroschur
Verlag Haupt, Bern 2013
ISBN 978-3-258-07790-1
CHF 38.90
www.haupt.ch

Gute alte Zeit

Gute alte Zeit? Wer mit dem österreichischen Kulturanthropologen Roland Girtler in die bäuerliche Welt des oberösterreichischen Bergdorfes Spital am Pyhrn eintaucht, könnte ins Zweifeln kommen. Girtler, der selbst im kleinen Bergdorf aufgewachsen ist, hat keine distanziert-akademische Studie verfasst, sondern zeichnet mithilfe einer Fülle von Interviews ein Bild der durch Armut, Religiosität und eine starre Gesellschaftsordnung geprägten Lebensverhältnisse der bäuerlichen Bevölkerung. Zur Sprache kommen dabei durchaus auch die hässlichen Seiten, etwa die bäuerliche Willkür gegenüber Knechten und Mägden, das Schicksal unehelicher Kinder oder die Faszination, die der Nationalsozialismus insbesondere auf die perspektivlosen Angehörigen der ländlichen Unterschicht ausübte. Deutlich wird in den Erzählungen aber auch, wie stark sich die Lebensbedingungen und die Familien- und Geschlechterbeziehungen, nicht zuletzt durch den Einfluss der technischen Entwicklung, im Verlaufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderten. an

Roland Girtler:
Aschenlauge

Die alte Kultur der Bauern
 
366 Seiten, gebunden
Böhlau Verlag, Wien 2012
CHF 35.50
ISBN 978-3-205-78858-4
www.boehlau-verlag.com

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