Bücher

Vom Wert des lokalen Wissens

Der Berliner Kulturanthropologe Christian Reichel ist zwischen 2011 und 2014 in Rahmen eines internationalen Forschungsprojektes der Frage nachgegangen, wie die Bewohner*innen des hochalpinen Safientals den längerfristigen Wandel des Klimas wahrnehmen und bewerten und vor allem, wie sie mit den neuen Herausforderungen umgehen. In seiner wissenschaftlichen, aber durchaus auch für Laien lesbaren Publikation stellt er nicht nur die Ergebnisse seiner offensichtlich mit viel Empathie durchgeführten «Feldforschung» vor, sondern bietet auch einen vertieften und hoch reflektierten Einblick in die methodischen Fragestellungen kulturanthropologischer Arbeit. Dabei plädiert er mit Blick auf Politik und Wissenschaft entschieden dafür, das breite und historisch tradierte lokale Wissen der Menschen vor Ort miteinzubeziehen, wenn es um die Realisierung technischer Massnahmen geht – seien das bauliche Schutzmassnahmen, Zonenpläne oder auch naturerhaltende Bewirtschaftungsformen. Das eigentlich Innovative am Projekt ist jedoch eine als Kommunikationsplattform gedachte online zugängliche Multimediakarte, in die das Wissen aller Akteur*innen bezüglich Naturgefahren wie Lawinen und Murgänge einfliesst. an

Christian Reichel
Mensch – Umwelt – Klimawande
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Globale Herausforderungen und lokale Resilienz im Schweizer Hochgebirge

transcript Verlag 2020
Kartoniert, 295 Seiten, 55 Abbildungen, Online-Karten
ISBN 978-3-8376-4696-2
CHF 56.90
Link zu den Karten: https://multimedia.transcript-verlag.de/safiental/

Das Lächeln der Bakterien

Kennt ihr das Zahlwort Quintillion? So sieht eine Quintillion aus: 1 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000. Mit ihr kann man gut beziffern, wie viele Bakterien es auf der Erde geben könnte, nämlich vier bis sechs Quintillionen – wissenschaftlich geschätzt. Ludger Weß portraitiert in seinem Bakterienatlas fünfzig Arten dieser knubbligen, haarigen, stachligen und sanftgliedrigen Wesen. Er macht dies mit Liebe, Fachwissen und einer gehörigen Portion Ehrfurcht. «Tiere und Pflanzen kommen und gehen, Bakterien aber bleiben und haben bisher noch jede erdgeschichtliche Katastrophe überlebt.» Insgesamt geht es in diesem äusserst schön gemachten Büchlein oft um Geburt und Tod mit gelegentlichen Blähungen. So finden wir Freunde wie Staphylococcus aureus und Escherichia coli oder Propionibacterium freudenreichii unter den Portraits. Klar, als Sennerinnen und Sennen versuchen wir Herr und Frau über die Bakterien zu sein, aber wer Augen und Ohren ins Buch versenkt, kann ein leicht überhebliches Schmunzeln der Bakterien vernehmen. Hört ihr es? gh

Ludger Weß
Winzig, zäh und zahlreich

Ein Bakterienatlas

Naturkunden Band 62
Matthes & Seitz 2020
Gebunden, 280 Seiten, 50 Abbildungen
ISBN 978-3-95757-842-6
CHF 35.90
www.matthes-seitz-berlin.de

Leben und Sterben und Leben

Was für ein schöner Gedanke: «Wenn ich tot bin, sollen mich Raben in die Lüfte tragen.» Der sich das wünscht, ist ein Freund des Biologen Bernd Heinrich und dieser hat ein Gelände in Maine, USA, auf dem er Leichen von Kühen und Schafen verrotten lässt und untersucht, welche Tiere bei welchem Wetter zu welcher Zeit usw. die Kadaver fressen. Das grüne Begräbnis verweigert Heinrich dem Freund, aber mit dessen Wunsch beginnt das Buch «Leben ohne Ende». Der Inhalt handelt von Metamorphosen lebendigen Materials in anderes lebendiges Material. Heinrich erzählt von Käfern, die Mäuse vergraben, von Pilzen, die sich Bäume einverleiben, von einem Pottwal, der sich unter Wasser in unzähliges Leben auflöst – überall wo ein Leben aufhört, wird es zum Futter. Dabei geht er wissenschaftlich vor, seine Studien lesen sich jedoch leicht: Es sind Geschichten eines neugierigen Forschers, gespickt mit Lebensphilosophie. Das Buch hat mich inspiriert. Letzten Sommer habe ich ein tot geborenes Kalb nicht vergraben, sondern in eine Steinwüste gelegt. Der Forscher darf alles. Wie lange würde es wohl dauern, bis der Fuchs, der Wolf, die Kolkis, die Würmer und Insekten den Kadaver verspiesen hätten? Nach einer Woche war praktisch nichts passiert, nach zwei Wochen waren Kopf und Bauch von Würmern zerfressen, nach drei Wochen musste ich weiterziehen. Wurde das Kalb, weil tot bereits vor der Geburt, vom Wildtier verschmäht? Ich weiss es nicht, aber Forschsetzung folgt. Eines jedenfalls ist gewiss: Es sind nicht unbedingt Raben, die einen in die Lüfte erheben, es können auch Würmer sein, die einen in den Boden wuseln. gh

Bernd Heinrich
Leben ohne Ende

Der ewige Kreislauf des Lebendigen

Naturkunden Band 48
Matthes & Seitz 2019
Gebunden, 203 Seiten, Illustrationen
ISBN 978-3-95757-618-7
CHF 48.90
www.matthes-seitz-berlin.de

Macht nicht nur satt

Vom Sura Kees im Montafon zum Höhlenkäse in der Türkei: Ursula Heinzelmann, Käseexpertin aus Deutschland, nimmt den Leser mit zu einem weltweiten, lesbaren Käse-Tasting. In 15 Kapiteln beschreibt sie die Individualität der einzelnen Sorten und unterstreicht diese dabei mit sehr persönlichen Porträts der Käsemacher:innen. «Käse ist immer Konzentrat und Ausdruck einer ganz bestimmten Situation. Er widerspiegelt Landstriche, Wirtschaft, Sozialordnung, Politik, Erinnerungen und Träume», so die Autorin. Für mich als Älplerin ist das zwar keine brandneue Erkenntnis – aber eine gute Erinnerung daran, dass mein Alpkäs nicht nur satt macht, sondern auch eine ganze Welt in sich trägt. Werde ihn in Zukunft mit mehr Achtung hinunterschlingen. Das Buch ist das richtige Geschenk für den geleckten Käsenerd aus Zürich. Oder für die Sennerin, die nächstes Jahr aus der Schotte mal was anderes machen will als Ziger oder Schweinefutter. Auf jeden Fall muss es zusammen mit einem Stück Käse verschenkt werden. Vielleicht ja ein schicker Mascarplin aus Graubünden. Wo’s den gibt, steht im Buch. js

Ursula Heinzelmann
Vom Käsemachen

Tradition, Handwerk und Genuss

Suhrkamp Insel Verlag 2018
Gebunden, 235 Seiten,
wenige Fotografien
ISBN 978-3-458-17767-8
CHF 29.90
www.suhrkamp.de

Komplexes gut erklärt

Du weisst alles über Ökonomie und alles über Freihandel – oder du bist dir bei beidem unsicher? Egal, dieses schmale Büchlein erklärt dem Unwissenden vieles und der Alleswissenden wird das Wissen an den rechten Ort platziert. Binswanger kann einen komplexen Sachverhalt so aufdröseln, dass einem das Lichtlein aufgeht, auch wenn man von Elektrizität nichts versteht. Zuerst legt Binswanger dar, woher das Mantra kommt, dass steigender Wohlstand den Freihandel benötige und dass es ein alter Gipsvogel ist, der da in den Köpfen der Ökonomen nistet. Wobei es ihm dabei in erster Linie um den Agrarfreihandel geht, nicht um den Freihandel bei anderen Gütern und Diensten. Als Zweites erklärt er, wieso der Bauer immer weniger verdient, hingegen die Verarbeitung und der Handel immer mehr. Als Drittes: Agrarfreihandel nützt den Bauern in Entwicklungsländern nichts, sie geraten dadurch in dieselbe landwirtschaftliche Tretmühle wie die Bauern hier: Immer mehr produzieren zu immer günstigeren Preisen. Binswangers Fazit: «Freihandel führt nicht zu befreiten Bauern, sondern zur Befreiung vieler Länder von ihren Bauern.» Ueli Maurer und Bundesamt für Landwirtschaft: Bitte lesen. gh

Mathias Binswanger:
Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel

Gebunden, 100 Seiten
Picus Verlag 2020
ISBN 978-3-7117-2094-8
CHF 21.50
www.picus.at

Der optimistische Wanderer

Wir erinnern uns an die whatsalp-Tour von Wien bis Nizza dem Alpenbogen entlang, 1800 Kilometer, 119 Tage (zalp 29/2018). Einer, der schon bei TransALPedes 1992 dabei war, der Geograf Dominik Siegrist, erzählt im «Alpenwanderer» aus persönlicher Sicht seine Eindrücke. Was hat sich in den 25 Jahren verändert, wie ist der heutige Stand von Leben, Wirtschaft, Tourismus, Kultur, Natur? Oder mit anderen Worten: Wie steht es mit der Abwanderung und Überalterung, mit Verwilderung und Kulturlandverlust, mit der Verschandelung und Umweltzerstörung durch Energiekonzerne, Tourismusorganisationen und Autobahnlobby? Wenn man sich durch die chronologischen Tagebucheinträge und die leider sehr kurz gehaltenen «Themenfenster» liest, wird einem bewusst: Es ist wie anderswo auch. Was an Natur oder Kulturlandschaft, an Dorfleben mit diversen Initiativen gerettet werden wollte, hat teils funktioniert und teils nicht. Die whatsalp-Wandersleute verköstigen sich zwar vermehrt mit regionalen Produkten auf Bio-Bauernhöfen, aber ebenso sind Gebiete verlassen worden, konnten Strassenprojekte nicht aufgehalten werden, ist der «Funpark Alpen» ausgebaut worden. Siegrist bleibt insgesamt optimistisch, nur wird einem nicht ganz klar, wieso. gh

Dominik Siegrist:
Alpenwanderer

Eine dokumentarische Fußreise von Wien nach Nizza

kartoniert, 232 Seiten
Haupt Verlag 2019
ISBN 978-3-258-08122-9
CHF 29.–
www.haupt.ch

Historischer Tanz auf der Allmende

In elf Beiträgen geht es um das gemeinsame Bewirtschaften von Land. So, wie wir es von der Alp her kennen: mit Genossenschaften und Korporationen. Das Buch diskutiert und behandelt in meist historisch orientierten Beiträgen, wie man das macht, machen kann, woher das kommt, wohin das gehen könnte, wie man das alles sehen kann und wie es von WissenschaftlerInnen verschieden gesehen wird. Dabei geben sich die Beiträge etwas sperrig, ausser man kann neben Deutsch auch gut Französisch und Italienisch und versteht diese drei Sprachen in wissenschaftlich geprägter Form. Interessant sind die Artikel zu den Aushandlungen: Welche Kräfte wirkten in welcher Form auf das Miteinander beim Bewirtschaften der Alpen? Wie agierten Gemeinde, Kanton, Bund, Interessengruppen wie Forst, Umweltschutz, Schweizerischer Alpwirtschaftlicher Verein, und wie die Bauern und Älpler? Was löste ein Alpkataster, was lösten die ersten Subventionen aus? Wie haben sich die Genossenschaften/Korporationen entwickelt? Können wir von diesem Rückblick für das Weitergehen etwas lernen, profitieren? Antworten und Diskussionen dazu im Buch. gh

Head-König, Lorenzetti, Stuber, Wunderli (Hg.):
Pâturages et fôrets collectifs / Kollektive Weiden und Wälder

Économie, participation, durabilité / Ökonomie, Partizipation, Nachhaltigkeit

kartoniert, 296 Seiten
Chronos 2019
ISBN 978-3-0340-1533-2
CHF 38.00
www.chronos-verlag.ch

Ein lehrreiches Buch für jede Alphütte

Dem aufmerksamen Beobachter verraten Alpenpflanzen mit ihrem jeweilig spezifischen Wuchs und ihren eigenwilligen Blüten- und Blätterformen viel über Überlebensstrategien im klimatisch anspruchsvollen Alpenraum. Dieses Buch hilft einem beim Erkennen dieser Merkmale. In einer kurzen Einleitung zeigen die Autoren den geschichtlichen Hintergrund der Alpenpflanzen auf und mit welchen Strategien sie die vielfältigen Lebensräume der Alpen besiedeln konnten. Einige Arten sind nach Lebensräumen geordnet, andere nach Überlebens- oder Vermehrungsstrategien. Neben den Samenpflanzen haben auch einige Bärlappe, Farne und Flechten den Weg in das Buch gefunden. Die mit dem Lebensraum einhergehende «Überlebensstrategie» ist für jede Art kurz beschrieben. So erfährt der und die Lesende z. B. spannende Details über Sinn und Funktion glänzender Blätter bei der Silberwurz an sonnigen oder den Vorteil des Polsterwuchses des Schweizer Mannsschilds an kalten Standorten. Die anatomischen Merkmale der 50 Arten beschreiben die Autoren mit genauer Beobachtungsgabe in den Artenporträts, welche mit Illustrationen ergänzt werden. Interessant sind auch die Abschnitte über Vorkommen und Verbreitung der Pflanzen sowie deren Wirkung als Heilpflanzen. Der Einfluss des Menschen auf die Alpenpflanzen wird kritisch dargestellt und regt zum Nachdenken an. Die Symbiose von einfach verständlichen sowie wissenschaftlich fundierten Details über die spannenden Arten macht dieses Buch zu einem unverzichtbaren Bestandteil für jede Alp- oder Berghütte. Martin Götsch

Schauer, Caspari:
Überlebenskünstler

50 aussergewöhnliche Alpenpflanzen

Gebunden, 256 Seiten, viele Bilder und Illustrationen
Haupt Verlag 2019
ISBN 978-3-258-08079-6
CHF 39.00
www.haupt.ch

Zum Beispiel die Gestaltungsmacht der Rinder

Schöne Bücher animieren zum Lesen. Wenn dann auch noch der Inhalt überzeugt, sind wir rundum angeregt – ein Glücksfall. Das Gleiche gilt für Webseiten. Wer mal (wieder) eine solche Erfahrung machen will, gebe www.aether.ethz.ch ein und freue sich über die Kreativität, die einem da entgegensprudelt. Für die dritte Ausgabe der ETH-Reihe Æther haben sich WissenschaftlerInnen mit der Alpenforschung um 1750 auseinandergesetzt. Sie haben Bilder, Gegenstände und Texte von damals angeschaut und gelesen und dann jene Themen bearbeitet, die sie bei dieser Durchsicht besonders faszinierten: die Gestaltungsmacht der Rinder zum Beispiel; das Himmelsblau als Thema und Fragen von Landschaftsmalerei und Alpinismus; das nomadisierende Leben der Bergbevölkerung; die Vermarktung von Alpenprodukten und anderes mehr. Eine bunte Text-Bild-Mischung ist dabei entstanden, geistiges Stimulans und Augenweide in einem. Rahel Wunderli

Æther 03:
Montan-Welten

Alpengeschichte abseits des Pfadesn

intercom Verlag 2019
Online: www.aether.ethz.ch
Printausgabe: www.intercomverlag.ch/shop

Wo denn sonst?

Sterben in den Bergen – ja wo denn sonst? Der Möglichkeiten sind viele: im Bett, im Stall, in der Felsspalte, auf der Kinoleinwand, unter der Lava, im Eis, in der Lawine, im Tunnel, im Krieg, als Nahrung für die Berggottheiten, unter einer Mutterkuh. Von Letzterem berichtet dieses Buch zwar nicht, aber ansonsten wird vom Sterben berichtet, so weit die Zeitachse reicht und so weit die Berge sich auf der Erdkugel erheben. Thematische, geografische und historische Breite also. Das Buch ist der Zusammenzug von 24 Vorträgen am Montafoner Gipfeltreffen 2016 im österreichischen Schruns. Wir lesen zum Beispiel vom «Jahr ohne Sommer» 1816, wo das Vieh wegen Schneefalls dreimal von den Alpen runtermusste, die Ernten in Europa aufgrund von Vulkanausbrüchen, klimatischen und politischen Wirren knapp ausfielen, der Hunger ein historisches Mass erreichte. Auf den Teller kamen gesottenes Heu, Blacken, frisches Gras, Wurzeln. Auszehrung und Lungensucht rafften viele Menschen dahin, auch von einem erfrorenen Alphirten ist die Rede. Oder wir lesen von Tod und Gemetzel in Heimatfilmen, von Intrigen gepaart mit der Kraft von Lawinen und Gewehren, über allem thront die unbezwingbare Natur usw. Ein Beitrag reist knapp vor das gelobte Land, wo Mose auf Gottes Befehl auf den Berg Nebos steigt und zum letzten Mal mit Gott spricht. Der Berg als Ort, wo Mose berufen wurde, wo Mose seinen Bruder begraben hat, wo Mose Gebote und Gesetze Gottes erhalten hat, wo Mose stirbt. gh

Kasper, Rollinger, Rudigier (Hg.):
Sterben in den Bergen

Realität – Inszenierung – Verarbeitung

Gebunden, 461 Seiten
Böhlau Verlag Wien 2018
ISBN 978-3-205-20012-3
CHF 52.90
www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Faszinierend

Die Autorinnen nehmen uns mit auf ihre Reisen rund um die Welt der Landwirtschaft und wie sie sein könnte, wenn wir begreifen würden, dass alles miteinander in Beziehung steht: Mensch, Tier, Pflanze, Boden. Wir besuchen eine Mikrofarm in Frankreich, die grösste solidarische Landwirtschaft in Südkorea, wir diskutieren über den Bauernlohn, ob wir Tiere töten dürfen und wie wir von der Gen-Baumwolle wegkommen. Daneben erfahren wir, dass Erbsen Ohren haben, dass der Regenwurm ein Bioturbator ist und wie die Ulmen mit Parfum gegen den Ulmenblattkäfer vorgehen. Das alles ist verständlich geschrieben, spannend zu lesen und manchmal macht es Knack im Hirn. Zum Ende des Buches wünscht man dessen Gedankengut in die Etagen des Bundesamts für Landwirtschaft und auf die oberen Heubühnen des Schweizer Bauernverbands. In der Hoffnung, sie würden aus ihren Tretmühlen von «immer grösser, immer effizienter» hinausfallen. Von uns haben sie je ein Buch bekommen. gh

Florianne Koechlin, Denise Battaglia:
Was Erbsen hören und wofür Kühe um die Wette laufen

Verblüffendes aus der Pflanzen- und Tierwelt

gebunden, 250 Seiten
Lenos Verlag 2019
ISBN: 978-3-85787-490-1
CHF 33.50
www.lenos.ch

Was sagt mir die Zahl 17?

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Erstens: Befragung von 6 BewohnerInnen des Maderanertals, unterschiedlich in Bezug auf Alter, Geschlecht, Ausbildung, Beruf usw., zu ihrer Einstellung zur Wildnis. Befund: Eher skeptisch. Zweitens: Befragung von 24 Fachexperten verschiedener Kantone aus Forst, Umweltschutz, Jagd, Landwirtschaft, Tourismus, Raumentwicklung. Ihre Antwort: Es braucht unberührte Gebiete, jedoch lieber woanders als im eigenen Kanton. Drittens: Wildnis-Inventar der Schweiz aufgrund diverser Kriterien und Einschätzungen von Wildnisexperten; Arealstatistik-Vergleich der letzten 24 Jahre. Fazit: 17 Prozent. 17 Prozent Wildnisfläche. Neben den Schutzgebieten Sihlwald und Nationalpark liegen diese Gebiete vor allem im Hochgebirge und rund um die Gletscher. Was sagt mir diese Zahl? Ist das viel oder wenig? Bezogen auf was? Die Kriterien für die Wildnisbeurteilung werden zwar ausführlich erörtert, aber ebenso die vielen Unklarheiten bei der Erhebung der Daten. Was wollen wir von der Wildnis? Muss sie uns nützen oder wollen wir Wildnis nur der Wildnis wegen? Diesen Eindruck hinterlässt das Buch, auch wenn die AutorInnen Aspekte wie Naturerfahrung, Tourismus, Ökoksystemleistungen, Ressourcenschonung, Bildung und Forschung mit in die Wildnisdiskussion tragen. Wer mitreden will, soll lesen. gh

Moos, Radford, von Atzigen, Bauer, Senn, Kienast, Kern, Conradin:
Das Potenzial von Wildnis in der Schweiz

kartoniert, 145 Seiten, 30 Abb., 8 Tab.
Haupt Verlag 2019
ISBN: 978-3-258-08112-0
CHF 36.00
www.haupt.ch

Ein Buch für Kämpfer

Die Autoren konstatieren, dass die Einführung von Umweltmassnahmen bei der Landwirtschaft keine Verbesserungen bei der Bodenfruchtbarkeit und der Biodiversität gebracht haben. Sie benennen den Stickstoffeintrag als hauptsächlichen Treiber einer umweltzerstörenden Landwirtschaft – aber seien wir ehrlich, es sind die Menschen. Kurzum: Zuviel Dünger, zuviel importierte Futtermittel, zuviel Heuschnitte, zuviel Pestizide, zuviel Ausrichtung auf industrielle Landwirtschaft bedeutet weniger Biodiversität und weniger Bodenfruchtbarkeit. Der Ausweg aus diesem Dilemma: «Regenerative Milch- und Fleischproduktion». Damit ist gemeint, dass wir mit Mensch, Tier und Natur so umgehen, das sie sich immer wieder regenerieren können. Anhand einer Modellhochrechnung, zweier Hofportraits und zigtausend Zahlen wird bewiesen, dass eine regenerative Landwirtschaft möglich, sinnvoll und erstrebenswert ist. Für die Kühe heisst das: Gras, Heu, Rauhfutter – kein Kraftfutter, kein Silomais. Für die Bauern: extensivere, ökologische Landwirtschaft mit weniger Tieren. Für die Konsumenten: Weniger Fleisch verzehren. gh

Stolze, Weisshaidinger, Bartel, Schwank, Müller, Biedermann:
Chancen in der Landwirtschaft in den Alpenländern

Wege zu einer raufutterbasierten Milch- und Fleischproduktion in Österreich und der Schweiz

kartoniert, 173 Seiten, 24 Abb., 17 Tab.
Haupt Verlag 2019
ISBN: 978-3-258-08099-4
CHF 36.00
www.haupt.ch

Kommt mal runter von der Kuh (1)

Die zwei Bücher «Kuhhorn» und «Von der Würde der Kuh» scharwenzeln um das Themenfeld «Kuh» und unseren Umgang mit ihr. Wir wissen, die Kuh, das Rind ist ein tolles Tier, ein Tier wie wir. Jetzt muss man aber eine Kuh nicht zum Kulttier machen, nur weil sie zuerst unsere Kulturlandschaft frisst und dann auf unserem Teller landet, man muss ihr Wesen nicht übermässig überhöhen und es ist unnötig, die Kuh an ihren Hörnern aufzuhängen um ein Medienstar aus ihr zu machen, weder als methanausstossendes Monster noch als leuchtendes Wesen voller Güte und Liebe – erstes ist Schwachsinn zweites Vermenschlichung (auch daneben).

David Hunziker:
Kuhhorn

Die Würde der Kuh und die Grenzen der industriellen Landwirtschaft

Hardcover, 164 Seiten
AT Verlag 2018
ISBN 978-3-03800-997-9
CHF 19.90
www.at-verlag.ch

Kommt mal runter von der Kuh (2)

Inhaltlich sind sich die beiden Bücher ziemlich ähnlich, es kommen weitgehend dieselben Leute zu Wort. In beiden Büchern finden sich Wissenschaft, Kosmos, Gesellschaftskritik, am Rande etwas Philosophie zum Tier «Kuh» und zum Tier «Mensch». In beiden lesen wir Vieles, was wir an Geräuschen rund um die Kuhhorn-Initiative schon vernommen haben. Das Buch «Kuhhorn» tendiert in Richtung Gesellschaftskritik und Philosophie, das Büuch «Würde» in Richtung Esoterik und Wiedergekäutem aus Martin Otts «Kühe verstehen». Die grossen Fragen: wie geht richtiges Bauern, wie geht eine Landwirtschaft ohne Ausbeutung von Boden und Tieren, diese Fragen werden vielfältig diskutiert – aber sie bleiben. Denn um unsere Beziehung zur Kuh geht es nur am Rande, wenn wir die Kuh in den Stall der Landwirtschaftspolitik stellen. Deren Maxime bleibt weiterhin: Grösser und effizienter, wie dumm und dümmer das auch ist. Da wünscht man sich als Leser, als Leserin mehr Bücher zum Thema «die Würde der Bauern und warum sie verloren geht». gh

Martin Ott, Armin Capaul, Anet Sprengler Neff, Christian Butscher, Eva-Maria Wilhelm:
Von der Würde der Kuh

Aufsätze und Gespräche

Gebunden, 139 Seiten
Fona Verlag 2018
ISBN 978-3-03781-097-2
CHF 28.00
www.fona.ch

Archäologie auf den Alpen

Spätestens seit dem Boom um Ötzi gehört es zum Allgemeinwissen, dass die Alpen in prähistorischer Zeit kein menschenleerer Ort waren. Und spätestens seit einem gross angelegten archäologischen Forschungsprojekt im schweizerisch-österreichischen Grenzgebiet der Silvretta ist bekannt, dass auch die hochalpine Weidewirtschaft inkl. Milchverarbeitung bis ins dritte Jahrtausend v. Chr. zurückreicht. Weitaus weniger im Fokus des Interesses stehen jedoch die mehr oder weniger sichtbaren Überreste von Alphütten, die als Zeugen der historischen Alpwirtschaft praktisch auf jeder Alp zu finden sind. Angesichts der beschränkten finanziellen Mittel werden solche alpine Wüstungen, d. h. in historischer Zeit aufgelassene Gebäude, höchstens dann untersucht, wenn sie durch Bautätigkeiten zerstört werden. Auch die umfangreiche Dokumentation von knapp vierhundert Trockenmauern im östlichen Berner Oberland auf rund 1400 bis 2000 m ü. M., auf die sich Brigitte Andres in ihrer Dissertation stützt, hängt mit Plänen zusammen, die Infrastruktur der hochalpinen Skigebiete auszubauen. Während der sorgfältig erarbeitete Katalogteil trotz seiner Anschaulichkeit eher etwas für Fachfrauen und -männer ist, bietet der Text für alle an der Geschichte der Alpwirtschaft Interessierten eine Fülle an Informationen. Obwohl Fachliteratur, ist der Text gut verständlich geschrieben und angenehm zu lesen. an

Brigitte Andres:
Alpine Wüstungen im Berner Oberland

Ein archäologischer Blick auf die historische Alpwirtschaft in der Region Oberhasli
 
gebunden, 364 Seiten, 187 Abbildungen
Schweizer. Burgenverein 2017
ISBN 978-3-908182-26-9
CHF 70.–
www.burgenverein.ch

Ein Winkel voll Herrgott

Das Buch «Geister, Bann und Herrgottswinkel» zeigt mit vielen Bildern, Informationen und Geschichten, wie sich unsere Vorfahren gegen Geister, Gespenster und andere Bedrohungen zu wehren versuchten. Es erzählt von Zauberbüchern, von christlichen und vorchristlichen Symbolen in Haus und Stall, von Geisterzimmern, von starken Kreuzen, Medaillons und Amuletten, von Kraft besonderer Kräuter, von Zauberwurzeln und Hufeisen, von Lärmbräuchen, von Fruchtbarkeitsritualen und Liebeszauber.

Das Buch führt die LeserInnen auf eine Gratwanderung zwischen Glauben und Aberglauben und animiert zu einer spannenden Auseinandersetzung mit unserer «geistigen» Heimat. Ein sagenhaftes Sagenbuch. gh

Hanspeter Niederberger, Christoph Hirtler:
Geister, Bann und Herrgottswinkel

 
bildfluss-Verlag
Neuauflage Altdorf 2017
ISBN 978-3-9524501-2-3
CHF 50.–
www.bildfluss.ch

Mit Hilfe der Kolkraben

Geschichtlich beginnt das Buch im 16. Jahrhundert mit hölzernen Gämsfallen und dem Ausgraben von Murmeltieren, konzentriert sich dann aber ausführlich auf die Jahre 1910 bis 2014. Haller hat lange recherchiert und legt Fälle von Wilderei (und Morde an Wildhütern) sachlich dar, mittels Karten, Diagrammen und Bildern. Im Nationalpark sind Zahlen zur Wilderei bekannt: In 100 Jahren wurden 77 Wildererbeuten festgestellt: 34 Gämsen, 28 Rothirsche, 9 Alpensteinböcke, 3 Rehe und 3 Steinadler. Rundherum schleicht sich jedoch die Dunkelziffer: Da die Gesetze in den drei Ländern unterschiedlich streng sind, wird Wild über die Grenze getrieben oder mit Salzlecksteinen in das Land mit den weniger straffen Gesetzen gelockt. Die Ausführungen zur heutigen Lage zeigen, dass die Wilderei im Dreiländereck zurückgegangen ist, wenn sie auch in Italien noch beliebter ist als in Österreich oder der Schweiz.

Haller versucht ferner den Gründen von Wilderei nachzugehen, Verständnis hat er indes nicht. Sein Psychogramm zu den modernen Wilderern: Es habe darunter «Draufgänger ebenso wie Duckmäuser, Machtmenschen und Materialisten, Rebellen wie Romantiker und viele andere». gh

Heinrich Haller:
Wilderei im rätischen Dreiländereck

Grenzüberschreitende Recherchen mit einer Spurensuche bis nach Tibet
 
gebunden, 304 Seiten
Haupt Verlag, Bern 2016
ISBN 978-3-258-07965-3
CHF 39.–
www.haupt.ch

Das Nutztier als Produkt einer spezifischen Form von Biopolitik

Wie wir Tiere nutzen, unterliegt einer ständigen Neuorientierung, in Bezug auf die Haltung wie auch auf die Verwertung für Nahrungsmittel oder Kleider. Einerseits bestimmen BürgerInnen, PolitikerInnen, Grossverteiler und die Agrarwissenschaft, wie Tiere gehalten und verwertet werden, andererseits haben es die Bäuerinnen und Bauern selbst in der Hand, wie sie mit ihren Tieren umgehen.

Das Buch «Tiere nutzen» beschreibt in 12 Beiträgen die Haltung und Nutzung von Tieren sowie deren Tötung aus unterschiedlichen Blickwinkeln, meist von Deutschland und Österreich aus geschaut.

Befremdlich wirkt, dass die AutorInnen vielfach von Akteuren, von Produzenten, von Ökonomien, von Verbrauchern, von Konsumierenden und Gesellschaften sprechen, aber kaum konkret benennen, wer genau was macht. Eindeutige Bezeichnungen wie «Bauer» und «Metzger» kommen praktisch nicht vor, sie sind «Akteure in der Produktionsökonomie». Tiere tauchen oft in Umschreibungen wie «organisches Material einer komplexen und undurchsichtigen Versorgungsökonomie» auf. Man bekommt den Eindruck, die Wissenschaftler würden Tiere lieber mit Kamera, Feldstecher und Literaturauswertung anschauen, als ihr Gefieder und Fell zu kraulen. gh

Lukasz Nieradzik, Brigitte Schmidt-Lauber (Hg.):
Tiere nutzen

Ökonomien tierischer Produktion in der Moderne
 
212 Seiten, Broschur
StudienVerlag, Innsbruck 2016
ISBN 978-3-7065-5568-5
ca. CHF 35.–
www.studienverlag.at

Lushütten Alp

Lushüttenalp? Noch nie gehört. Darüber gibts ein Buch? Wo ist denn das? Lushütten liegt zwei Wanderstunden westlich vom Napf oder nördlich von Trub den «Brandöschgrabe» hinauf und ist laut Vorwort «eine der schönsten Emmentaler Alpen». Auch wenn die Weiden nur knapp über 1300 Meter gehen, ist die Rundum-Aussicht zum Jura, ins alpine Gebirge und die emmentalische Hügelszene berauschend – und falls nicht, hilft das Alprestaurant. Nun hat sich die Alpgenossenschaft Lushütten zum 150-jährigen Jubiläum selber eine Chronik geschenkt. Ein unspektakuläres Werk und deswegen so sympathisch. Die Autorin, selber Genossenschafterin, hat unzählige Dokumente, Pacht- und Arbeitsverträge, Protokolle von Gemeindeversammlungen und Ähnliches ausgegraben, in thematisch angelegte Kapitel gegliedert und reich bebildert. Möglich, dass dies vor allem involvierte Kreise interessiert, trotzdem erfahren auch wir Lushüttenunkundigen von Mobbing und Intrigen, von Frevel an Holz und Wild, von Wasser- und Hirtpersonalsuchenden, vom Gerangel um Strassenbau, Waldnutzung und Telefonkosten. Es «mönschelet» halt allenorten und schon immer. gh

Regina M. Heiniger-Leuenberger:
Lushütten Alp

Zum 150-jährigem Bestehen der Alpgenossenschaft Lushütten
 
136 Seiten, Broschur
Kulturbuchverlag, Riedtwil 2016
ISBN 978-3-905939-35-4
CHF 20.–
www.herausgeber.ch
www.lushuette.ch

Bittschön, was ist ein Fugibootschä?

In wenigen Worten die Fülle an Bildern und Informationen, die Hirtler auf 500 Seiten zusammengefasst hat, zu umreissen, fällt schwer. Da helfen nur Stichworte: Geschichte der Urner Berglandwirtschaft, Essay von Fredi M. Murer, historische Rückblenden von Urner Fotografen, Kurzporträts von 22 Alpen, Literatursplitter von Arno Camenisch, 100 Tage Alp in Bildern von Christof Hirtler, Ausblicke in die Zukunft. Die Seele des Buches aber sind die eindrücklichen Erzählungen der Urner Bergbäuerinnen, Bergbauern und ÄlplerInnen. Hirtler lässt sie reden und wir hören ihnen gebannt zu – was haben diese Leute gearbeitet, geschwitzt, entbehrt. «Schiär nit zum gläübä, wiän äs gsy isch und äs hit isch.» So wird Berglerleben erlebbar. Und wer nicht weiss, wer und was ein «Tinner» und ein «Fugibootschä» ist, den lassen wir weiter rätseln – soll er das Buch kaufen. gh

Christof Hirtler:
Hirt, Tinner und Fugibootschä

Urner Berglandwirtschaft – früher, heute, morgen
 
495 Seiten, gebunden
viele Farbbilder
bildfluss, Altdorf 2015
ISBN 978-3-9524501-1-6
CHF 56.–
www.bildfluss.ch

Von Hannibal bis heute

Ohne jeden Zweifel gehört der an der Universität Luzern lehrende Historiker Jon Mathieu zu den besten und renommiertesten KennerInnen der Geschichte der Alpen. Galt sein Interesse zu Beginn seiner Forschungen eher kleinräumigen Verhältnissen – etwa dem Unterengadin in der Neuzeit (Bauern und Bären, Chur 1987) –, so wurden die grösseren Zusammenhänge in seinem Schaffen immer wichtiger, bis hin zur globalen Dimension, indem er die Geschichte der Alpen in den Kontext anderer grosser Gebirgszüge, wie etwa der Anden und des Himalayas, stellte (Die dritte Dimension, Basel 2011). Kein Wunder also, dass sich der deutsche Verlag Reclam für eine geplante, kulturhistorisch ausgerichtete «Geschichte der Alpen» für eine breite LeserInnenschaft an ihn wandte. Keine leichte Aufgabe, galt es doch einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren und einen geografischen Raum von Südfrankreich bis in die Slowakei abzudecken. Dank seines breiten und fundierten Wissens gelingt es Mathieu jedoch, einen spannenden und gut strukturierten Überblick von den ersten steinzeitlichen Wildbeutern bis zum Entstehen der Alpenkonvention zu geben. Zur Sprache kommen dabei u.a. sowohl die politische Geschichte, die ökonomischen Verflechtungen mit dem Umland, unterschiedliche Entwicklungen der Land- und Alpwirtschaft, die Sozialstrukturen der alpinen Bevölkerung, die Bedeutung religiöser und magischer Vorstellungen für die Bewältigung des Lebensalltags, als auch die (Aussen-)Wahrnehmung der Alpen und ihrer BewohnerInnen durch Wissenschaft und Gesellschaft. ab

Jon Mathieu:
Die Alpen

Raum – Kultur – Geschichte
 
254 Seiten, 88 Abb., gebunden
Reclam Stuttgart 2015
ISBN 978-3-15-011029-4
CHF 50.–
www.reclam.de

Gemeinsam auf dem Acker

Konsumenten graben, jäten, ernten gemeinsam mit Gemüsebäuerinnen – und sichern durch Vorauszahlung für mindes­tens eine Saison deren Einkommen. Dies ist das Grundprinzip der «solidarischen Landwirtschaft»; das Risiko von Ausfällen durch schlechtes Wetter oder Schädlingsbefall wird dadurch von den Konsument­Innen mitgetragen. Ihre wöchentliche Gemüsetasche holen sie in einem regionalen Depot ab – vielleicht hats darin wegen ungünstiger Witterung einmal weniger Bohnen als geplant, dafür mehr Brokkoli und Rüebli.

1978 wurde in Genf die erste Gemüseko­operative Europas gegründet. Seither sind in der Schweiz rund 50 Projekte mit mehreren Tausend Beteiligten entstanden. Bettina Dyttrich portraitiert ein Dutzend Beispiele und lässt die Lesenden kritisch an der Erfolgsgeschichte teilnehmen, Gior­gio Hösli liefert die Bilder dazu. Im Anhang finden sich Tipps und Stolpersteine für Bäuerinnen, Bauern und Interessierte, die solidarisch landwirtschaften wollen. Und die es nicht wollen, bekommen einen Einblick in eine andere Form der Landwirtschaft, die neben der konventionellen machbare Alternativen aufzeigt. Ein wichtiges Hand- und Lesebuch, das vermittelt: Es scheint Freude zu machen, so zu arbeiten! Lesen, verschenken – und staunen, was sich weiter bewegt … cs

Bettina Dyttrich, Giorgio Hösli:
Gemeinsam auf dem Acker

Solidarische Landwirtschaft in der Schweiz
 
288 Seiten, gebunden
170 Farbbilder
Rotpunktverlag, Zürich 2015
ISBN 978-3-85869-667-0
CHF 38.–
www.rotpunktverlag.ch

Ohne Heimatzwang

Auch wenn die MusikerInnen aus der «Szene» den Begriff «Neue Volksmusik» ablehnen, haben Johannes Rühl und Dieter Ringli, Leiter des Festivals Alpentöne, ihr Buch so benannt – wohl im Wissen, dass man benennen muss, was man beschreiben will. Der erste Teil des Buch geht den Ursprüngen nach, lotet die Bezüge zu anderen Musikgenres aus, holt die ExponentInnen ans Licht und rückt manche falsche Vorstellung an den richtigen Ort. Denn «neu» ist diese Volksmusik natürlich keineswegs, die meisten MusikantInnen bedienen sich bei altem Material. Sie ist «auch keine Rebellion oder gar Revolution, wie das von Journalisten immer wieder heraufbeschworen wird. Die Zeiten, als man gegen eine erstarrte, nationalkonservative Traditionspflege angetreten ist, sind längst vorbei», schreibt Ringli. Die Annäherung der «neuen» und der «traditionsbehafteten» Szene bleibt jedoch zaghaft. Dies mag einerseits an den MusikerInnen selber liegen, an ihrer unterschiedlichen politischen Gesinnung, an ihrer unterschiedlichen musikalischen Herkunft und Ausbildung – andererseits am Publikum, das bei den «Neuen» mehrheitlich urban geblieben ist. Zu hören ist die Musik auf Radio SRF 2 und nicht auf Radio Eviva.

Das Buch ist dank seiner breiten Auseinandersetzung mit der Schweizer Volksmusik unerhört und ausgesprochen spannend. Es enthält als Goodie eine CD mit den wichtigsten VertreterInnen der «Neuen Volksmusik» wie Alpine Experience, Stimmhorn, Hujässler, Doppelbock, Nadja Räss, Erika Stucky und anderen mehr. gh

Dieter Ringli, Johannes Rühl:
Die Neue Volksmusik

Siebzehn Porträts und eine Spurensuche in der Schweiz
 
362 Seiten, gebunden
mit Musik-CD
Chronos Verlag, Zürich 2015
ISBN 978-3-0340-1310-9
CHF 38.–
www.chronos-verlag.ch

Totgesagte leben länger

Man hofft und wünscht es den alten Nutztierrassen des Alpenraums und ihren engagierten Züchtern, dass sich dieses Sprichwort bewahrheiten möge. Und liest zwischen den Zeilen von ihrem Überlebenskampf, weniger um Futter und Raum, mehr gegen Überalterung, Verengung des Genpools und Veränderung erwünschter Rasseeigenschaften durch unpassende Haltungsformen. Der Autor, als Nebenerwerbslandwirt selber Züchter einiger seltener Nutztierrassen, hat sich im europäischen Alpenraum auf die Suche nach regional entstandenen Tierrassen gemacht. Und wer die Nase voll hat von den immer gleichen Rindern oder Ziegen und auf der Suche ist nach Tieren, die sich in Hunderten von Jahren perfekt an die Bedingungen der Berglandwirtschaft angepasst haben, wird hier fündig. Geordnet nach verschiedenen Alpenländern und -regionen stellt der Autor seltene Nutztiere diverser Gattungen (Rinder, Pferde, Esel, Schafe, Ziegen, Schweine, Geflügel, Kaninchen, Hunde) in Bildern und Steckbriefen vor. Er zeigt das Verbreitungsgebiet und nennt Kontaktadressen. Auch Tierhalter, die diese Rassen nutzen und züchten, kommen zu Wort. Ergänzt wird der reich bebilderte Buch-Schatz durch einen kurzen Abriss zur Entstehung der alpinen Kulturlandschaft und zur Entwicklung der Nutztierrassen. ab

Günter Jaritz:
Seltene Nutztiere der Alpen

7000 Jahre geprägte Kulturlandschaft
 
336 Seiten, gebunden
viele Farbbilder
Verlag Anton Pustet, Salzburg 2014
ISBN 978-3-7025-0744-2
CHF 51.90, EUR 39.00
www.pustet.at

Bis auf den Grund der Milch

Eine Wiese ist etwas Schönes zum Anschauen, aber fressen können wir sie nicht. Auch wenn die üppigsten Gräser und Kräuter uns locken, wir würden verhungern. Dank Wiederkäuern und anderen Milchtieren kommt die Wiesenahrung trotzdem auf unsere Teller und in unsere Gläser. Die Zeitschrift «Journal Culinaire» steckt den Trinkhalm tief in den Rohstoff Milch, gibt Auskunft zu politischen, chemischen und gesundheitlichen Aspekten. Es schreiben Wissenschaftlerinnen, Kulturphilosophen, Historikerinnen, Köche und Milchexperten zu allen Fragen der Milch, die uns schon immer interessierten, deren Antworten wir als der Gattung Säugetiere zugehörig schon immer vermissten. Was tut die Kuh für den Boden? Was ist der Unterschied zwischen frischer Milch und Rohmilch? Warum vertragen die einen Milch nicht, für andere ist sie der Aufbaustoff fürs Immunsystem? Wie beeinflusst die Haltbarmachung der Milch unsere Gesundheit und unsere Gesellschaft? Verziert werden die nicht immer leicht verdaulichen, aber doch sättigenden Texte mit Milch-Spezialrezepten für Leute, die Exklusivität vor das eigentliche Nahrungsmittel stellen. Hier verstrudelt sich die Diskussion um die Milch in den Ideologien Wohlstandsverirrter. Aber dafür kann das «Journal Culinaire» nichts. Fazit: Journal lesen, Milch trinken, Käse fressen. gh

Journal Culinaire
Frische Milch

Kultur und Wissenschaft des Essens
No. 18/2014
 
150 Seiten, Hardcover oder Download
Edition Wurzer & Vilgis, Münster 2014
ISBN 978-3-941121-18-8
CHF 24.–, EUR ca. 15.–
www.journal-culinaire.de

Entwicklungen im Alpenraum

Werner Bätzings «Die Alpen» ist das Standardwerk zur Geschichte, Kultur und Nutzung des Alpenbogens. 1984 erschien die erste Ausgabe, jetzt, 2015, die vierte. Bätzing hat das Buch wiederholt umgearbeitet, ausgebaut und mit neuen Gesichtspunkten und Erkenntnissen in seiner Aussage präzisiert. Standardwerke haben es an sich, dass sie im eigenen Büchergestell stehen, ein paar Eselsohren und Fettflecken aufweisen, um den Anschein zu erwecken, man hätte sie gelesen. Autor und Titel kennt man auswendig, den Inhalt vom Hörensagen. «Die Alpen» aber lohnt sich geneigtest zu lesen. Bätzing hat sich in über dreissig Jahren ein Wissen zum Alpenraum erarbeitet, von dem wir profitieren können und auch sollten. Besonders, weil er keine technokratischen Daten ausbreitet oder ideologische Eigeninteressen verfolgt, sondern den Menschen mit seinem Bemühen, in den Alpen zu (über)leben, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen und Ausführungen stellt. Wir folgen Bätzing von der Besiedelung des Alpenraums über das Agrar- und Industriezeitalter bis zum «Verschwinden der Alpen» in der modernen Dienstleistungsgesellschaft. Er schnürt dabei nicht bloss den Geschichtsknäuel auf, es geht dem Kulturgeografen um die Verknüpfung zeitlicher und komplexer Gesellschaftsentwicklungen. Wer die Entwicklungen im Alpenraum in ihrer Gesamtheit verstehen will, soll das Buch kaufen – und auch lesen. gh

Werner Bätzing:
Die Alpen

Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft
 
484 Seiten, gebunden
mit 14 Tabellen, 34 Karten und 134 Abbildungen
4., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage
Verlag C. H. Beck, München 2015
ISBN 978-3-406-67339-9
CHF 49.– EUR 38.–
www.chbeck.de

dazu erschienen:
Werner Bätzing:
Zwischen Wildnis und Freizeitpark

Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen
Rotpunktverlag, Zürich 2015
ISBN 978-3-858-69648-9
CHF 11.–, EUR 9.90
www.rotpunktverlag.ch

Agrarwirtschaft diskutieren

Wir kaufen «Ernährung» ein, wir kochen, wir essen, wir verdauen, wir scheissen sie. Am Rande ist uns bewusst, dass wir uns damit nicht nur existenziell am Leben erhalten, sondern auch die Ausgestaltung der Landwirtschaft beeinflussen. Als Konsumenten können wir die Frage, wie man «Ernährung» herstellen soll, nicht der Politik überlassen – sie vertritt ihre meist wirtschaftlichen Eigeninteressen, forciert industrielle Landwirtschaft und verhindert keinen Hungertoten. – Okay, kein Alpthema. Aber nach all den lauschigen Portraitbüchern, schnusligen Erlebnisberichten, folkloristischen Heimatfilmen der letzten Jahre, darf es auch wieder mal schwerer verdauliche Kost sein. Der «widerspruch Nr. 64» diskutiert in spannenden Beiträgen, wie wir vom Agrobusiness zur Agrikultur gelangen könnten. Unsere Empfehlung zur Pflichtlektüre für den Sommer 2014. gh

Widerspruch 64
Ernährung – Agrobusiness oder Agrikultur

 
208 Seiten,broschiert
Widerspruch, Zürich 2014
ISBN 978-3-85869-592-5
CHF 25.–
www.widerspruch.ch

Ausgedehnte Stafelwirtschaft

Zu einer Alp gehört für uns eine gut ausgebaute Alphütte und ein gemauerter Stall. Um die unterschiedlichen Höhenstufen geeignet zu beweiden, können es drei Stafel sein, eventuell ergänzt durch feste oder mobile Melkstände. Alther beschreibt in ihrem Buch eine weiter ausgedehnte Bewirtschaftungsform, bei der Käsereigerätschaften, Vieh und Zeltplane pro Sommer auf bis zu 17 Stationen gezügelt werden. Auf der Alp Trona Soliva im Veltlin melkt und käst die Familie Manni heute noch mit einfachsten Mitteln bei und in rudimentären Steinmauern, dem «Calécc», geschützt durch eine zügelbare Zeltplane als Dach. Gemolken wird von Hand, hergestellt wird zweimal täglich «Bitto» (Käse) und «Maschérpa» (Ziger) aus Kuh- und Ziegenmilch.

15 Alpbetriebe betreiben diese traditionelle Bewirtschaftungform noch. Hygienerichtlinien, Strassenbau und ganzjährige Talproduktion des «Bitto»-Käse machen ihre Existenz jedoch ungewiss. Wenn das reich bebilderte Buch von Alther einen Beitrag zum Bestehen der Caléec-Wirtschaftsweise und nicht nur zur Musealisierung leistete, wäre das toll. gh

Yolanda Alther:
Vertikal Mobil

Ein Beitrag zum Verständnis alpiner Wirtschaftsformen in der Archäologie
 
136 Seiten,broschiert
140 Schwarz-Weiss-Bilder
Archäologischer Dienst Graubünden, Südostschweiz Buchverlag, Chur 2014
ISBN 978-3-906064-24-6
CHF 24.–
www.suedostschweiz-buchverlag.ch

Bestandesaufnahme Alpwirtschaft

Das Buch, das die Ergebnisse von 80 Forschenden aus 17 Institutionen während 5 Jahren zusammenfasst, bietet für Leser ausserhalb der Alpwirtschaft eine gut lesbare, verständliche Bestandsaufnahme der momentanen Bewirtschaftung der Alpen mit all ihren Facetten (Futterpotenzial, Tierwohl, Tiergesundheit, Arbeitsort, Produkteherstellung, Tourismus, Landschaftspflege). Wer in der Alpwirtschaft schon etwas länger arbeitet, wird nur punktuell Neues erfahren. Forscher können wohl Daten erheben, Statistiken erstellen und Zahlen in Grafiken zusammenfassen, das Wissen und die Erfahrung über die Alpwirtschaft ist aber bei den Leuten, die auf den Alpen arbeiten.

Dem Buch liegen zwei Film-DVDs bei: Auf der einen DVD erzählen Älpler über ihre Weideführung und -pflege (sehenswert), auf der anderen flimmert der Film Sommerzeit, der ein paar Forscher von AlpFutur auf ihren Alpwegen begleitet (überflüssig). gh

AlpFUTUR:
Zukunft der Schweizer Alpwirtschaft

Fakten, Analysen und Denkanstösse aus dem Forschungsprogramm AlpFUTUR
 
198 Seiten, broschiert
viele Farbbilder
2 DVD
WSL und Agroscope ART, 2013
ISBN 978-3-905621-55-6
CHF 30.–
www.wsl.ch

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