Sur Cunfins – Dunnas Ad Alp

In den 70ern und 80ern kamen sie zuhauf: Männer und Frauen aus dem Schweizerischen Mittelland, um den Sommer auf einer Alp zu verbringen. Dem Moloch Stadt entfliehen, in der Abgeschiedenheit der Berge Rindern nachjagen, käsen, zu sich selber finden.


                        
                            
    
    


                        
                    

                    
                

Flucht in die heilende Oase

In den 70ern und 80ern kamen sie zuhauf: Männer und Frauen aus dem Schweizerischen Mittelland, um den Sommer auf einer Alp zu verbringen. Dem Moloch Stadt entfliehen, in der Abgeschiedenheit der Berge Rindern nachjagen, käsen, zu sich selber finden. Die Natur als heilende Oase. UnterländerInnen, Ausländerlnnen, aber auch Einheimische, interessieren sich wieder vermehrt für eine Übersömmerung auf der Alp, darunter auch Frauen. Der seit Ende des 19. Jahrhunderts vorhandene Natur-Enthusiasmus scheint sich ins neue Jahrtausend hinübergerettet zu haben.

Frauen schreiben Alpgeschichte

Dass Frauen nicht erst in den letzten 30 Jahren Alparbeit verrichteten, belegen in Graubünden historische Quellen und orale Überlieferungen. Es wird angenommen, dass die Sennereiarbeit ursprünglich den Frauen zukam, die neben der Nahrungszubereitung auch die Milch zu verarbeiten begannen, sowohl in der Haussennerei als auch im familiären Einzelbetrieb auf der Alp.

Die Alparbeit stellte dort eine grosse Zusatzbelastung dar, wo Frauen während des Tages noch ins Tal hinunterstiegen, kochten und beim Heuen mithalfen, bevor sie gegen Abend wieder den Aufstieg unter die Füsse nahmen und strickend auch diese Zeit nutzten. Wo die Frauen während der Heuernte entbehrbar waren, blieben sie mit den Kindern und älteren Personen des Haushalts während des ganzen Sommers auf der Alp.

Männer drängen in die Frauendomäne

Aus der Alpwirtschaft «verdrängt» wurden einheimische Frauen vor allem mit der zunehmenden Zusammenfassung der Privatsennereien zu genossenschaftlichen Alpbetrieben. Verstärkt setzte dieser Wandel ab 1850 ein, erhielt im 20. Jahrhundert starke Beschleunigung und vollzog sich dann fast ausschliesslich in jüngeren Siedelgebieten Graubündens. Zur Bewältigung der nunmehr physisch anstrengenderen Arbeit, wie es hiess, wurden Sennen, Zusennen und Hirten angestellt. Beibehalten wurde die Frauenarbeit auf den Alpen überall dort, wo Einzelsennereien weiterbestehen konnten oder die Männer entweder wegen Saisonarbeit häufig abwesend oder in Bereichen wie Tourismus und Passverkehr tätig waren. Eine Ausnahme bildet das Samnaun, wo weibliches Personal auch auf genossenschaftlich betriebenen Alpen zu finden war.

Frauenfiguren in Alpensagen

Facettenreich treten Frauen in oralen Überlieferungen wie Alpensagen auf:

Neben feenhaften Gestalten, Wildfrauen und incognito-Senninnen, die unter Männerkleidern ihren weiblichen Körper verbergen, sind Hirtinnen, Mütter und Geliebte der Sennen auf den Alpen zugegen – letztere auch als Do-it-yourself-Puppen, wie in Sennentuntschi-Sagen berichtet wird.

Die Gegenwart verschiedenster Frauenfiguren in der Alpenmythologie lässt auf eine starke Verwurzelung mit dem Aufgabenbereich der Milchverarbeitung schliessen. Und diese «Tradition» hat in den 7Oer Jahren ihre Fortsetzung gefunden, jedoch unter veränderten Vorzeichen.

Älplerinnen heute

Dass ledige Frauen in gemischt-geschlechtlichen Gruppen den Sommer auf der Alp verbringen, ist eine neuzeitliche Erscheinung: Die männlichen Dominanz in der Alpwirtschaft ist in den 7Oer Jahren durchbrochen worden, was hauptsächlich auf den Mangel an einheimischem und ausländischem Alppersonal sowie auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen – ausgelöst durch die 68er- und die feministische Bewegung – zurückzuführen ist.

Ein erneuter Einzug der Frauen in die Alpbewirtschaftung hat also stattgefunden. In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der auf Bündner Alpen beschäftigten Personen zwar von 2000 auf 1000 zurückgegangen, der Frauenanteil ist heute jedoch dreimal grösser. Sowohl einheimische Frauen wie auch Unterländerinnen oder Ausländerinnen sind als (Zu)-Senninnen und Hirtinnen tätig.

Was motiviert sie dazu?
Welches sind ihre Erfahrungen?
Wie gelingt das Pendeln zwischen den Lebenswelten Stadt und Alp?

Im Film «sur cunfins» werden zwei Frauen dazu befragt, die auf mehrjährige Alperfahrungen zurückblicken können. Die Engadinerin Silvia Schlegel, ehemals Zeichnungslehrerin in Basel, arbeitet von Frühling bis Herbst als Hirtin auf der Ardezer Alp Urezzas und ist im Winter auf Reisen. Die Theologin und Sennin Christina Kurth, wohnhaft im Bündner Oberland und teilzeitlich in Basel tätig, käst diesen Sommer ausnahmsweise zu Hause in Val – und vermisst das Alpleben.

Hoch oben, weg von allem als Lebenselixier?


sur cunfins dunnas ad alp
ein Film von Flavia Caviezel
2001; 24 Minuten; PAL/Stereo; romanische OV, deutsche oder französische UT

Kamera: Aufdi Aufdermauer
Ton: Susanna Kumschick, Giorgio Andreoli
Licht: Giorgio Andreoli
Schnitt: Flavia Caviezel
Online-Editing: Videocompany Zofingen, Davide Legittimo
Tonmischung: Zentralton Zürich, Ruedi Gfeller
Musik: Franco Mettler
Musikaufnahme: Andreas Möckli
Standfotografie: Karin Wegmüller
Produktion: Flavia Caviezel, für die Televisiun Rumantscha TvR
Finanzielle Unterstützung: Kulturförderung Kanton Graubünden, Stadt Chur


Der Text stützt sich hauptsächlich auf folgende Quellen:

  • Mathieu, Jon: Bauern und Bären. Chur: Octopus Verlag, 1994.

  • Schweizer Alpkataster, Kanton Graubünden, 2. Teil.

  • Walser-Biffiger, Ursula: Wild und Weise. Aarau: AT-Verlag, 1998.

  • Weiss, Richard: Das Alpwesen Graubündens. Chur: Octopus Verlag, 1992 (1941).

Anmerkung: Der ganze Text ist vom Filmplakat übernommen.